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  • Interviews
Gespräch mit dem Ensemble Weltkritik

Zu viele Nichtssager lehnen sich aus dem Fenster

Derzeit ist wieder Lachmesse in Leipzig, das Schaulaufen der im Kleinkunstsektor stilistisch sauber am Zwerchfell drückenden Epigonen mit Hintersinn. Uff! Was für ein Eingangssatz. Ahoi-Redakteur Volly Tanner fragte deshalb das Ensemble Weltkritik, schließlich sind die Beiden in der ersten Frontlinie auf der Lachmesse zugange. Gegen alle Shitstürme der Welt.

Die Weltkritik am Schlauch der Zeit
Die Weltkritik am Schlauch der Zeit © Stefan Hoyer

Ahoi: Guten Tag, liebe Bettina Prokert und lieber Maxim Hofmann. Ihr seid die legendäre Weltkritik, Vorreiter einer derzeit grassierenden Bewegung. Auf allen Kanälen Kritik an allem und jedem. Ist man da kabarettistisch nicht manchmal etwas ausgeknockt vom Wahnsinn der Welt?

B: Wir sind jetzt ganz anders gefordert! Absurde Überhöhung war früher Aufgabe der Satiriker. Aber wenn Querdenker ernsthaft glauben, von Merkel dressierte Mücken setzen auf Protest-Demos den Impfzwang durch, dann ist das kabarettistisch schwer zu toppen.

M: Das heute so viel getrötet wird, hat was mit diesen ausgeuferten sozialen Medien zu tun. Und uns gab es schon vor Facebook und Twitter. Und es ist etwas anderes, sich mit einem Programm aus Inhalt und Form vor ein Publikum zu stellen, denn irgendwas in Facebook zu furzen oder in Twitter zu tröten.

 

Ahoi: Ihr zeigt am 22.10. im Central Kabarett Leipzig, im Rahmen der Lachmesse, Euer „Chip, Chip, Hurra!“ Dabei surft ihr – wenn ich das richtig verstanden habe – extrem rasant durch die neue, smarte Welt. Die ist doch aber die „goldene“ und vielgepriesene Zukunft! Da könnt Ihr doch nix dagegen haben … oder doch? Aber was?

B: Ich finde es spannend zu überlegen, welche Aufgaben der Mensch in Zukunft an einen Algorithmus abgeben will: Job, Partnerwahl, Fitness, Autofahren… Was gewinnen wir, was verlieren wir dadurch? Beethovens unvollendete 10. Sinfonie wurde jetzt von einer KI fertigkomponiert. Da fragt man sich doch auch als Künstler: ist mein Job noch sicher oder habe ich in Zukunft sehr viel Tagesfreizeit?

M: Wir sind da zwiegespalten, wie sich das für Künstler gehört, die sich der Widersprüche des Lebens bewusst sind. Noch dazu sind wir ja zwei, und können die Widersprüche also immer auf zwei Figuren/Personen aufteilen.

 

Ahoi: Wieso seid ihr denn im Stück als Frau Sumpf-Pretzsch und Herr Lühmlich unterwegs? Kritiker unter Pseudonym … ist dies der nächste Schritt der Transformation?

B: Die Bühnenfiguren bieten mehr „Spiel“-Raum. Sie haben unsere Privat-Eigenschaften, nur eben potenziert. Frau Sumpf-Pretzsch bildet den pragmatischen, Bierkasten-stemmenden Gegenpart zum künstlerischen Feingeist Lühmlich.

M: Ich hatte gehofft, durch diese Tarnung mit einem Künstlernamen stalking und übertriebenem Fangebahren zu entgehen - und siehe da, es hat funktioniert.

 

Ahoi: Wenn meine Recherche mich nicht trügt, gibt es mittlerweile 13! Programme von euch. Wow! Spielt Ihr die auch noch alle? Wie funktioniert denn derzeit – unter 2G/3G/xG-Bedingungen das Bühnenkünstlerleben? Gibt es überhaupt noch ein Tourleben?

B: Meist haben wir ca. 2-3 Programme gleichzeitig am Start. Wir freuen uns, dass Auftritte wieder möglich sind, aber oft dürfen Veranstalter nur die Hälfte der Plätze verkaufen, was natürlich Stimmung und Gage schmälert. Aber die Hauptsache ist, dass die Leute jetzt wieder zurückfinden von der Netflix-Couch ins Live-Theater. Viele sind da noch zögerlich, aber nur live is life!

M: Es sind derzeit 5 Programme, die gespielt werden - und in Kombination mit Corona sprengt das Hirn und Nerven. Denn ja, es gibt ein Tourleben, aber ein nicht planbares und ein hyperflexibles.

 

Ahoi: Das kabarettistische Arbeiten ist ja auch Anfeindungen unterworfen – gibt es schon Selbstzensur bei Weltkritik? Oder anders gefragt: Wie weit kann sich die Kabarettistin und der Kabarettist von heute noch aus dem Fenster lehnen?

B: Offenbar haben wir sehr angenehmes, offenes Publikum. Man hat uns bisher noch keinen Shitstorm beschert.

M: Wir hatten wenig Anfeindungen und Diskussionen, entweder sind wir also zu gut oder zu schlecht. Es gibt bei uns jetzt eher Zuspitzung oder Präzisierung der Aussagen denn Selbstzensur. Wer was zu sagen hat, sollte sich weit aus dem Fenster lehnen. Zur Zeit lehnen sich aber zu viele zu weit aus dem Fenster, obwohl sie nichts zu sagen haben.

 

Ahoi: Ihr habt auch feine Preise im Schrank: das Connewitzer Eichhörnchen, den Cabinet-Kleinkunstpreis (den habe ich auch), den Klagenfurter Herkules und viele andere mehr. Welcher war Euch denn der Liebste und warum?

B: Den ersten Pokal gab es schon relativ schnell, nachdem wir uns als Duo zusammengefunden hatten. Deshalb war der für mich ein wichtiger Startschuss. So nach dem Motto: „Ja, das fetzt, was ihr macht. Macht ma so weiter.

M: Der Cabinet-Preis war die erste, sehr schöne, sehr unerwartete Wertschätzung. Der Rostocker Kogenzieher hat uns mit mit vielen spannenden Kollegen zusammengebracht. Die Preise sind alle wichtige Karrierebausteine, weil sie Mut machen, eine Qualitätsprüfung sind und Aufmerksamkeit und Kontakte bringen.

 

Ahoi: Und zum Abschluss: Was können die Gäste der Weltkritik am 22.10. denn erwarten? Menschen wollen ja gerne wissen, was sie bekommen. Die Katze im Sack wird immer seltener im Vorverkauf gewählt, hörte ich – also: gern mal die Werbetrommel rühren.

B: Es wird ein witzig-satirisch-musikalischer Schlagabtausch der analogen gegen die digitale Welt.

M: "Lange nich mehr so gelacht." "Wie kommt man auf sowas? Wo nehmt Ihr die Ideen her?" "Danke für den schönen Abend, das hat gut getan." Und warum die Zuschauer das sagen, das muss man schon selber rausfinden.

Ensemble Weltkritik im Netz:

www.weltkritik.de

 

Lachmesse Spielplan & Tickets:

www.lachmesse.de

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