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Im Interview: Franziska Fichtner vom Jugendclub OFT

Leipzigs Jugendliche auf dem Radar

Franzi Fichtner aus dem Jugendclub OFT des Bürgervereins Messemagistrale © Volly Tanner

In normalen Zeiten gibt es in Leipzig ein breites Netz an Angeboten für Kinder und Jugendliche. Jetzt – in der Isolation – können diese nur sehr eingeschränkt wirksam werden. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit Franziska Fichtner, die im Offenen Freizeittreff OFT (Straße des 18. Oktober 10a) des Bürgervereins Messemagistrale tätig ist und fragte sie aus, wie denn derzeit überhaupt gearbeitet werden kann.

Ahoi: Guten Tag, Franzi! Du arbeitest für den Jugendclub Messemagistrale, auch in den Zeiten der Pandemie und Isolation. Dabei erreichst du die Kinder und Jugendlichen mit mehreren digitalen Formaten, wie z. B. „Zeichnen mit Franzi“. Funktioniert das?

Franzi: Die digitalen Angebote an sich funktionieren gut. Also die reine Durchführung. Ich bin selbst überrascht, wie gut es sich über die digitalen Plattformen arbeiten lässt und wie viel Spaß die virtuelle soziale Arbeit machen kann. Teilweise habe ich das Gefühl, dass das Fokussieren auf das Gegenüber besser gelingt, teils wegen der viel geringeren Anzahl an Teilnehmer*innen pro Angebot und das konzentriertere Sprechen über den Bildschirm.

Dass es zum Beispiel so gut möglich ist, auch nicht bekannte Kinder wie deine Tochter über Zoom so gut kennenzulernen und gemeinsam eine spaßige und schöne Stunde zu verbringen, hätte ich nicht gedacht.Franziska Fichtner

Schwierigkeiten gibt es eher im Erreichen der Kinder und Jugendlichen. Während des Lockdowns versuchen wir unsere Besucher*innen hauptsächlich über Instagram und Facebook zu erreichen, im Wohngebiet hängen aber auch in unseren Schaukästen meine Angebote aus. Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass meine Angebote wie „Kreativ durch den Lockdown“ und „Fit durch den Lockdown“ eher die jüngeren Jugendlichen und Kinder (8 – 13) ansprechen sollen, diese aber nicht immer einen eigenen Insta-Account besitzen und womöglich gar nicht erreicht werden, oder eine aktive Mitwirkung bei der Teilnahme durch die Eltern erforderlich ist, zum Beispiel beim Einrichten von Zoom oder beim aktiven Unterstützen beim Suchen von Aktivitäten.

Das Schachangebot läuft gut, weil daran Stammspieler aus dem Stadtteilzentrum teilnehmen. Die meisten unserer Besucher*innen, die uns täglich auf den sozialen Medien folgen, sind zwischen 14 und 21 Jahre. Prinzipiell finde ich es wichtig, fast täglich etwas auf Instagram zu posten, damit diese wissen, dass wir da sind.

  

Ahoi: Um mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, auch um ihnen helfen zu können, braucht es ja auch Gesprächseinstiege und -räume. Wie kommen Kontakte zustande?

Franzi: Wir haben schon vor dem Lockdown unseren Besucher*innen erklärt, dass sie uns telefonisch oder über die sozialen Netzwerke erreichen können. Tina für den Seniorenbereich und ich für den OFT sind täglich zwischen 9-16 Uhr telefonisch und digital für die Menschen aus dem Stadtteil erreichbar und vor Ort (wir sind ja ein Stadtteilzentrum und bestehen aus drei Projekten: Seniorenbereich, dem OFT mit Kinder- und Jugendbereich und ein Projekt für Menschen mit Flucht-/Migrationshintergrund).

Viele unserer Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wollten vor dem Lockdown wissen, ob wir trotzdem vor Ort sind. Bei den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die uns aus dem täglichen OFT-Leben kennen, ist der Gesprächseinstieg kein Problem, da eine Beziehung zu ihnen schon vorhanden ist. Unsere Beratungsangebote werden überwiegend von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt. Wenn wir etwas nicht am Telefon klären können, besteht die Möglichkeit einer Einzelberatung im OFT entsprechend dem Hygienekonzept, welche sehr gut genutzt wird.

Ahoi: Wie geht es den Kindern und Jugendlichen mit der Isolation? Was bekommst du mit und wie kannst du unterstützen?

Franzi: Tja... das ist wirklich schwer zu beantworten, teilweise habe ich mit Kids Kontakt oder man trifft sie zufällig im Viertel und andere sind total unterm Radar verschwunden, obwohl sie zu den Stammgästen gehörten. Von denen ich nichts mehr höre, frage ich mich schon, wie es denen wohl ergeht und hoffe, dass sie nach so einer langen Zeit wieder den Weg zu uns finden.

Ich glaube, für Kinder und Jugendliche sind diese Monate subjektiv viel, viel länger als für uns Erwachsene und ein paar Monate so bedeutungsvoll wie für Erwachsene Jahre. In den Monaten machen die Kids wahnsinnige körperliche und psychische Entwicklungsschritte. Um bestimme Kompetenzen entwickeln zu können, sind Schule und Peer-Group ganz entscheidend. Wenn wir an unsere Kindheit zurückdenken, kamen uns die sechs Wochen Sommerferien ja auch immer wie eine Ewigkeit vor. Nach den Sommerferien war man gefühlt jemand ganz Anderes als zuvor, Freundschaften und die Peergroups haben sich verändert.

Die meisten der Kids, die ich frage, wünschen sich, wieder zur Schule gehen und den OFT besuchen zu können. Wir werden auch ständig gefragt, wann wir wieder öffnen können.Franziska Fichtner

Wir als OFT bieten den Kindern und Jugendlichen einen Raum, in dem sie sich ohne Druck ausprobieren und entwickeln können, wo jeden Tag jemand zuverlässig da ist, anders aber als die Schule, weil wir keine Anforderungen an die Kids stellen, sondern Angebote machen. Das fehlt natürlich. Aber auch die körperliche Auslastung; bei uns im OFT haben wir den Fokus auf spiel- und sportpädagogischen Methoden, die Kids konnten stundenlang Tischtennis spielen, sich im Fitnessraum austoben oder kickern. Ich glaube, viele sind auch genervt von den „Hausaufgaben“. Ich kenne auch Kids, die bevorzugen würden, das ganze Schuljahr zu wiederholen, weil sie selber der Meinung sind, nicht viel gelernt zu haben. Andere sagen auch, dass sie von Geschwistern genervt sind, ihre Ruhe haben wollen oder einfach nur Langeweile haben.

Viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit weisen auch darauf hin, dass durch den Kontaktabbruch zu Schule und anderen Einrichtungen das Risiko steigt, Kindern und Jugendlichen nicht rechtzeitig bei Problemen zu Hause Unterstützung anbieten zu können. Ich denke, dass zu viel Medienkonsum, als Alternative zu Schule und Freunde treffen, negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Selbstbilds haben kann.

Ich, als Sozialarbeiterin des OFT, kann immer nur Angebote machen, ob digital, analog in den Schaukästen oder durch Kontakt, weil man sich zufällig im Viertel über den Weg läuft. Ob die Kids diese dann annehmen, liegt leider nicht in meiner Hand. Gegen die Langeweile bin ich mit meinen Online-Angeboten da, bei Kummer oder wenn es nur um´s Ausdrucken von Arbeitsblättern geht sind wir mit unseren Möglichkeiten vor Ort und helfen gern oder vermitteln an andere Netzwerkpartner.

Ahoi: Gibt es andere Möglichkeiten – weg vom digitalen Raum – um mit der „Klientel“ zu kommunizieren? Welche und wie werden diese wahrgenommen?

Franzi: Ohh... da habe ich die Frage schon bisschen beantwortet. Ja, wir bieten unsere „Nummer bei Kummer“ an, diese ist montags – freitags von 9 bis 16 Uhr besetzt. Darüber hinaus haben wir das Glück, im Stadtteil drei Schaukästen zu haben, dort hängen wir Neuigkeiten wie Angebote und wichtige Telefonnummern aus. Darüber hinaus bieten wir auch Einzelberatungen im OFT mit Hygieneregeln (Maske, Desinfektion und Abstand) an, diese aber nur mit vorheriger Terminvereinbarung. Diese werden hauptsächlich von den 16-bis 21-Jährigen genutzt. Dort geht es ganz viel um bürokratische Angelegenheiten wie Anträge ausfüllen, was wirklich schwer über´s Telefon funktioniert. Das wird wirklich sehr häufig genutzt, für diese Altersklasse ist es zurzeit auch sehr schwierig. Des Weiteren sind wir wie oben bereits erwähnt auch vor Ort, zum Glück. Die Kids und jungen Erwachsenen haben also auch die Möglichkeit, mit Maske und Abstand mal zu klingeln und so mit uns Kontakt aufzunehmen.

  

Ahoi: Was bietet ihr in den nächsten Wochen und Monaten noch an?

Franzi: Tschjaaa... schwierige Frage. Da hängt von den Coronaregeln ab. Sollten wir nicht wieder öffnen können, lassen wir uns noch diese Woche eine Outdoor-Aktion als weiteres Angebot einfallen, das muss aber mit den Hygieneregeln noch durchdacht werden.

Wenn wir wieder öffnen können, machen wir auf jeden Fall an einem Tag was Besonderes, wie kostenlose Waffeln oder Kakao mit Sahne, um alle wieder herzlich zu begrüßen. Generell haben wir einen festen Wochenplan mit Angeboten, Schach-AG, Tischtennis-AG, Kreativtreff, Sport.

Dann stehen ja die Osterferien vor der Tür, auch da müssen wir die aktuelle Coronasituation abwarten, um zu schauen, was möglich ist. In den Winterferien war eigentlich Jumphouse, Kochen, Lagerfeuer mit Stockbrot, Schneeflöckchenfest für die Kinder, Tuchakrobatik- und Einradworkshop geplant. Leider konnte nix davon stattfinden. Möglichkeiten und Ideen haben wir viele, wir können gerade nur schwierig planen. Außerdem fehlt uns zurzeit noch ein*e Mitarbeiter*in im OFT.

Die aktuelle Lage zeigt auch, dass wir in Sachen offene digitale Jugendarbeit noch einiges dazulernen können. Ich werde im März noch eine Fortbildung besuchen, um zu schauen, wie wir die digitale Jugendarbeit auch über den Lockdown hinaus in unseren OFT-Alltag einbinden können, um vielleicht auch dauerhaft Onlineangebote zu etablieren. Mal schauen... das ist zumindest das, was ich mir als Lehre aus dem Lockdown gezogen habe.

  

Ahoi: Und zu dir selber, liebe Franzi: Hast du das studiert? Wenn ja, wo und was konkret und wann und warum?

Franzi: Erst habe ich eine Ausbildung zur Mediengestalterin gemacht, nach einem Jahr auf Reisen und einem weiteren Jahr als Barkeeperin habe ich mich entschlossen, „Soziale Arbeit“ an der Fachhochschule Mittweida zu studieren, habe aber in Chemnitz gelebt. Es war also ein kleiner Umweg bis dorthin. Mein Schwerpunkt lag im Studium auf erlebnis- und kunstpädagogischen Methoden. Danach habe ich in Leipzig an der HTWK den Master in Teilzeit angefangen und nebenbei oder besser gesagt vollwertig als Sozialpädagogische Familienhilfe in Leipzig gearbeitet. Uii... mein Bachelor habe ich 2012 angefangen. Fertig war ich dann mit allem irgendwann 2017 und bin dann mit meinem Hund längere Zeit auf Wanderschaft gewesen, bevor ich wieder in die Soziale Arbeit eingestiegen bin.

Am Studium „Soziale Arbeit“ hat mich immer der ganzheitliche Blick auf den Menschen fasziniert. Im Studium ging es nicht nur um die psychologische Seite, sondern auch, in welcher Lebenswelt bewegt ein Mensch sich, in welcher ökonomischen Situation und in welcher Lebensphase befindet er sich? Was sind Risikofaktoren und was Kompetenzen? Welches sind gesellschaftliche Einflüsse? Darüber hinaus: wie sind gerade die Gesetzeslagen bei den verschiedenen Sozialbüchern (auswendig muss man das zwar nicht können, aber wissen, wo was steht) und wie funktioniert die Beantragung von Sozialleistungen? Das Ganze gepaart mit methodischer Arbeit, die einem Spaß macht, zum Beispiel Kunst- oder Erlebnispädagogik, dazu ein Hang zur Gesprächsführung, einer gesunden Portion Neugierde und Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten, das ist, was mir an dem Studium Soziale Arbeit gefallen hat.

  

Ahoi: Danke, liebe Franzi, für deine Antworten.

Bürgerverein Messemagistrale

Straße des 18. Oktober 10a
04103 Leipzig

Tel.: 0341 21 262 11

www.bv-messemagistrale.de

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