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Interview: Schkeuditzer Oberbürgermeister Rayk Bergner

Wir haben etwas von einem gallischen Dorf

OBM Rank Bergner
Der OBM Bergner im naturbelassenen Teil von Schkeuditz © Stadt Schkeuditz

Schkeuditz ist die Stadt gleich in Flughafennähe und gleich am Rande Leipzigs. Um mehr über diesen schönen Ort zu erfahren, schloss sich Ahoi-Redakteur Volly Tanner mit dem Schkeuditzer Oberbürgermeister Rayk Bergner kurz, um über die Schönheiten, über die Probleme und über die Lösungen der Probleme der Stadt zu sprechen. Und wie es sich mit der großen, wuchtigen Dame Leipzig gleich vor der Haustüre lebt.

Ahoi: Guten Tag, Herr Bergner. Sie sind der Oberbürgermeister von Schkeuditz. Und dies sehr erfolgreich. Aber warum haben Sie dieses Amt angestrebt und übernommen? Ist doch auch stressig. Und es gibt immer so viele Leute, die alles besser wissen und können und dies auch permanent unaufgefordert herausposaunen. Oder ist Schkeuditz anders als Leipzig?

Ahoi nach Leipzig. Ich bin 2005 in den Schkeuditzer Ortsteil Glesien gezogen. In dieser Zeit war ich der Pressesprecher des Landkreises Nordsachsen. Bei dieser Tätigkeit und später als Leiter des Eigenbetriebes Bildungsstätten des Landkreises habe ich hautnah die Entwicklungen der Kommunen von Schkeuditz bis Torgau/Oschatz verfolgen können. Diese Erfahrungen und die als Stadtrat in Schkeuditz haben letztendlich den Ausschlag gegeben, zu kandidieren.

Es ist schon reizvoll, Verantwortung für eine Stadt zu übernehmen, die sich zurzeit fast explosionsartig entwickelt. In den letzten drei Jahren hat der Flughafen Leipzig/Halle, der zu 100 % auf Schkeuditzer Gemarkung liegt, eine rasante Entwicklung genommen. Mit Amazon Air wird Schkeuditz die Basis der vierten Airlines werden. Aktuell eröffnen die Logistiker Panattoni und greenfield ihre Zentren auf 170 000 m². Demnächst wird Dornier wieder Flugzeuge in Schkeuditz bauen und die Bundesagentur für Cybersicherheit kommt hoffentlich bald, so wie es die Ministerpräsidenten Kretschmer und Haseloff mit den Bundesinnenministern Kramp-Karrenbauer und Seehofer abgestimmt haben, nach Schkeuditz.

Das ist eine kleine Auswahl. Wir sind in der glücklichen Lage, mit weiteren interessanten Investoren sprechen zu können. Die vorhandenen Flächen in der Kernstadt und in den Ortsteilen werden knapp. Aber auch unsere einheimischen Firmen expandieren. Das Industriegebiet Nord ist gut gefüllt. Mittelständler aus Schkeuditz, wie Thiem Security Solutions und die Sattlerei Kübler, die älteste noch bestehende Schkeuditzer Firma, haben sich vergrößert und neue Produktionsstätten errichtet.

Wichtig ist es mir, wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung des gesellschaftlichen Miteinanders, die Entwicklung als Wohnstandort und nicht zuletzt als Stadt mit guten Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in einem Gleichgewicht zu halten und zu entwickeln. Ich glaube schon, dass Schkeuditz eine lebenswerte Stadt mit wunderbaren Ortsteilen ist.

Also insgesamt eine tolle Entwicklung, die natürlich auch stressig ist. Aber Stress kann auch gut sein und motivieren. Sicherlich gibt es auch in Schkeuditz Menschen, die Jogi Löw erklären können, wie man richtig Fußball spielt. Ich bin in den sozialen Medien sehr aktiv. Da wundert man sich manchmal schon über gefühlte „Fachkunde“. Meine Erfahrung ist aber, man muss den Menschen zuhören und mit ihnen sprechen. Das erfordert viel Zeit und ist nicht immer eine Freude. Aber ich erfahre danach auch viel Verständnis für unser Handeln.

 

Ahoi: Jede Stadt kämpft mit Problemen. Welche sind denn aus Ihrer Sicht die Dringlichsten in Schkeuditz?

Auch da gibt es ein breites Spektrum. Eine wachsende Stadt bedeutet auch wachsende Aufgaben. Schkeuditz hatte in den letzten Jahren bereits eine gute Infrastruktur bei den Kindertagesstätten und Schulen. Fehlende Plätze waren kein Thema. Das hat sich grundlegend geändert. Momentan sind wir dabei, eine neue Grundschule in Dölzig zu bauen, in der Kernstadt eine Kindertagesstätte für 150 Kinder fertig zu stellen und die nächste für 120 Kinder im Stadtteil Modelwitz zu errichten. In Glesien und Radefeld müssen wir dringend neue Kapazitäten schaffen. Folgend auf die höheren Kinderzahlen in den Kitas kommt der Bedarf in den Grundschulen, in der Oberschule und im Gymnasium. Das bindet einen Großteil unseres Haushaltes. 

Die wirtschaftliche Entwicklung erfordert auch die Lösung des zu erwartenden Verkehrs. Unsere Straßen, sowie die Landes- und Bundesstraßen benötigen eine kapazitive und qualitative Aufwertung.

Die Instandhaltung der Straßen und Fußwege wurde zu Gunsten der Kindereinrichtungen gestreckt. Das macht sich bemerkbar.

Mit die größte Herausforderung der Zukunft liegt auch in der Digitalisierung der Verwaltung.

 

Ahoi: Und welche Lösungsideen gibt es?

Bei allen Problemen benötigen wir für die Lösung nicht nur mehr finanzielle Mittel. Vor allem erwarte ich eine stärkere Unterstützung vom Freistaat Sachsen. So übernimmt die Stadt Schkeuditz die größte Belastung durch den Ausbau des Flughafens. Damit ist nicht nur der Fluglärm gemeint. Die sich im Umfeld des Flughafens ansiedelnden Unternehmen, von Halle bis Leipzig, nutzen die Verkehrsinfrastruktur in und um Schkeuditz. Von diesen Entwicklungen profitiert die gesamte Region. 

Wir können als kleine Stadt die Folgen der Entwicklungen nicht allein tragen und benötigen die Solidarität und die Verantwortung des Freistaates für die mitteldeutsche Wirtschaftsregion und konkret dem Wohnstandort Schkeuditz.

 

Ahoi: In einem Interview mit dem Rostocker OBM sagte dieser: „Deutsche Verwaltungen sind so langsam, alles, was ich anschiebe mache ich ja eigentlich für meinen Nachfolger.“ Wie funktioniert denn die Schkeuditzer Verwaltung?

Nun, der Rostocker Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen ist ein dänischer Unternehmer, der seit knapp zwei Jahren als Rostocker Oberbürgermeister sehr erfolgreich, aber zum ersten Mal Erfahrungen in der deutschen Kommunalpolitik sammelt. Ob er damit schon alle deutschen Verwaltungen beurteilen kann, weiß ich nicht. Wahrscheinlich geht es ihm wie Reichskanzler Otto von Bismarck, der wohl ähnliche Erfahrungen in der mecklenburgischen Hauptstadt Rostock sammelte. Er sagte: „Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.“ 

Das Positive an dieser Aussage vom Kollegen Madsen ist aber auch, dass man als Oberbürgermeister sehr wohl auch an seinen Nachfolger denken muss. So sollte Stadtentwicklung nachhaltig sein. Nachfolgende Generationen müssen immer auf dem Vorhandenen aufbauen. Also sollte man etwas Vernünftiges hinterlassen. Außerdem kann ein Nachfolger schneller als gedacht das Amt übernehmen, weshalb ich versuche Bodenständigkeit und Bürgerorientierung in meiner Verwaltung vorzuleben.

Ansonsten ist die Schkeuditzer Stadtverwaltung durchaus in der Lage und macht es auch, schnell und flexibel auf die Anforderungen zu reagieren.

 

Ahoi: Leipziger glauben, wenn sie ihre Informationen nur aus der Presse haben, dass „Schkeuditz leben“ bedeutet, 24 Stunden mit Ohrenstöpseln und zugezogenen Fenstern zu vegetieren, weil durchgängig die Antonows drüberbrausen. Nun ist durch Corona weniger Flugverkehr, das ist klar. Aber wie ist der Zustand ohne Corona von der Belastung her?

Mit dieser Frage outen Sie sich als den sprichwörtlichen Leipziger, der dazu neigen soll, schon alles zu wissen, ohne informiert zu sein. Keine der Aussagen stimmt.

Der durch Corona nicht stattfindende Flugverkehr fand tagsüber statt und war als Belastung damit zu vernachlässigen. Die richtige Belastung der Bevölkerung in den Kommunen um den Flughafen findet nachts statt. Und mit Corona hat sich dieses Flugaufkommen noch verstärkt. 

Der Flughafen hat Ende des vergangenen Jahres die Unterlagen zum weiteren Ausbau der Öffentlichkeit zur Stellungnahme gegeben. Die Stadt Schkeuditz hat in einer 43-seitigen Stellungnahme ihre Forderungen zum möglichen Ausbau aufgestellt. Dieser Ausbau mit seinen Belastungen für die Anwohner, ist in unserer Bürgerschaft nicht unumstritten und greift in das Leben der Menschen ein. Auch hier erwarte ich vom Mehrheitsgesellschafter, dem Freistaat Sachsen, mehr Engagement, diese Belastungen zu reduzieren und akzeptabler zu machen.

Übrigens ist nach der Meldung in der LVZ vom 16.03.21 der Leipziger Stadtteil Lützschena der Stadtteil mit den höchsten Steigerungen bei den Eigenheimbaupreisen. Er ist auch der Stadtteil mit der stark kritisierten kurzen Südabkurvung, die nach den Wortführern dieser Kritik das Leben wie oben von Ihnen geschildert erscheinen lässt. Und es gibt in Schkeuditz auch Zuzug in unsere neuen Wohngebiete von Leipzigern, denen es in Leipzig einfach zu laut ist.

 

Ahoi: Was macht Schkeuditz lebenswert?

Jeder, mit dem ich darüber spreche, ist erstaunt, was Schkeuditz alles zu bieten hat! Und ehrlich, ich bin schon stolz, in dieser Stadt zu leben.

Es gibt viele Facetten, die Schkeuditz lebenswert machen.

Da ist die Lage zwischen den Oberzentren, Universitätsstädten, Wirtschaftsmetropolen, Kultur- und Sportstädten Leipzig und Halle. Das, was es in Schkeuditz wirklich nicht gibt, ist in kürzester Zeit mit Bahn oder Auto erreichbar.

Außer einen Hafen – und auch dort arbeiten wir gemeinsam mit den Anliegerstädten Leuna, Halle und vor allem Leipzig am Projekt Ausbau des Saale-Elster-Kanals – gibt es für jede Verkehrsart eine Anbindung. Fünf Autobahnanschlüsse an der BAB 9 und 14, drei Bundesstraßen, ÖPNV nach Leipzig und Halle, Regionalbusse und den Flughafen.

In Schkeuditz gibt es eine hervorragende medizinische Versorgung von Fachärzten und zwei Kliniken.

Die Bildungsangebote reichen von der Kinderkrippe bis zum Gymnasium oder dem größten Berufsschulzentrum des Landkreises Nordsachsen.

Schkeuditz hat bis in jeden Winkel ein leistungsfähiges Highspeed-Internet, das in weiten Teilen unsere Stadtwerke gebaut haben.

In 120 Vereinen und den aktiven Kirchgemeinden können sie ihren Interessen nachgehen. Davon sind 51 Sportvereine. In der Stadt gibt es vier leistungsstarke Chöre, Amateurtheater und Kunstausstellungen, sowie ein traditionsreiches Kulturhaus.

Wohnen kann man am idyllischen Dorfanger, demnächst in der Fabrikloft oder in einem der Eigenheimgebiete der Stadt.

Im Süden der Stadt gibt es die Anbindung an den Leipziger Auwald, im Norden ist mit dem Schladitzer See ein Freizeitangebot allerersten Güte vorhanden. Dort gibt es die Kulturbühne des Biedermeierstrandes. Es ist ein tolles Erlebnis, Musik, Tanz oder Theater zu erleben und dabei auf einen vom Sonnenuntergang rot gefärbten See zu blicken. Leider erst wieder nach Corona. Auf der Rackwitz-Seite ist mit „ALL and SEA“ ein tolles Wassersport Ressort entstanden. Für den Individualsport steht ein 7 km langer gut ausgebauter Seerundweg zur Verfügung. Für Naturliebhaber ist der Werbelliner See, auch ein Kohlerestloch im Norden, ein idealer Platz zum Beobachten einheimischer Vögel. Großen Wert lege ich auf die Botschaft: Schkeuditz hat Natur pur! Wenn man gewillt ist, dies erleben zu wollen.

 

Ahoi: Und Sie selbst, Herr Bergner - was haben Sie sich zuletzt in Schkeuditz mal ganz entspannt und außerhalb der Arbeit angeschaut?

Ich fahre gern mal entspannt mit meiner Frau durch Schkeuditz und schaue dabei gleich nach dem rechten. Oder besuche eins der Kulturangebote oder einen Wettkampf. Als Jugendlicher war ich natürlich in meinem Dorf bei der Feuerwehr. Deswegen besuche ich gern die Kameraden in den Feuerwehren der Stadt, die einen sehr engagierten Dienst leisten. 

Aber, um ehrlich zu sein: Ich bin sehr gern zuhause. Mit einer Tasse Kaffee auf der Terrasse früh morgens. Ob man es glaubt oder nicht, die idyllischsten Momente bei Vogelgezwitscher, die gibt es in hier Schkeuditz.

 

Ahoi: Wenn mal kein Corona ist, was sind denn da die kulturellen Höhepunkte Ihrer Stadt?

Da gibt es die großen Highlights wie die Schkeuditzer Kulturtage im Herbst oder das Neujahrskonzert mit der Staatskapelle Halle im Mitteldeutschen Modecenter oder das Nordsächsische Chorfestival, das vom Arion-Chor Glesien organisiert wird oder die Konzerte in der Altscherbitzer Kirche.

Und es gibt die ebenso interessanten und unterhaltsamen Angebote in der art-Kapella oder in der Villa Musenkuss. Kein Geheimtipp mehr ist die Kultur- und Pilgerkirche in Kleinliebenau mit ihren tollen Programmen. Am vorletzten Juni-Wochenende feiern unter normalen Umständen die Schkeuditzer ihr Stadtfest. Das sind immer drei tolle Tage. Und ganz wichtig, ich erwähnte es schon, die tollen vielfältigen Angebote im legendären Kulturhaus „Sonne“.

 

Ahoi: Mit dem großartigen Kulturhaus Sonne und den dort aktiven Menschen haben Sie wirklich ein tolles Pfund, um damit zu wuchern. Ich durfte da ja auch schon mal ran. Nun hörte ich von einem Wechsel in der Chefstruktur. Ist da was dran? Können Sie uns da mehr davon erzählen?

Ja, das Kulturhaus „Sonne“ ist wirklich eine Institution. Hier wurde zu DDR-Zeiten Rockgeschichte geschrieben. Die „Sonne“ war u.a. Heimstätte von Renft. Der Texter von Renft, Gerulf Pannach, war ja Schkeuditzer. Aber auch die anderen Gruppen von Rang spielten hier auf. Man spürt dies schon auch heute noch, wenn man das entsprechende Alter mitbringt.

Vor einem Jahr ist der „SonnenkönigVolker Mönnig nach 38 Jahren in den verdienten Ruhestand gegangen. Er war die „Sonne“ in Person und der Organisator unseres Stadtfestes. Es war schwer, sich das Kulturhaus ohne ihn vorzustellen. Aber wir haben seit zwei Jahren mit Olaf Hanemann einen Nachfolger bekommen, dem es gelingt, die ehrwürdige „Sonnen“-Tradition mit neuen Impulsen zu mischen. Um ihn hat sich ein neues junges Team gebildet. Sobald die Coranazeit endlich vorbei ist, werden sie die „Sonne“ wieder strahlen lassen. Ideen haben sie schon. Ich kann versichern, auch zukünftig werden wir die „Sonne“ gemeinsam mit treuen und neuen Gästen rocken. Ich freue mich schon.

 

Ahoi. Und letzte Frage: Wie ist denn die Zusammenarbeit mit Leipzig, der Leipziger Obrigkeit; und den Leipzigern an sich?

Schkeuditz ist auf vielfältige Weise mit ihrer großen Vorstadt Leipzig verbunden. Die Gründungsurkunde von Leipzig von 1165 hat u.a. Gottschalk von Skeuditz unterschrieben. Also brauchte es erst Schkeuditz, um Leipzig zu gründen.

Nicht immer lässt sich erkennen, dass die große Stadt Leipzig mit Interesse und geschwisterliche Liebe auf ihre kleine Schwester schaut. Schon gar nicht, wenn sie darüber laut nachdenkt, ihre Grenzen bis zum Autobahnring zu schieben. Wir haben zwar mit 18.300 Einwohnern nur so viele Einwohner wie Alt Lindenau, aber wir haben da auch etwas von einem gallischen Dorf in uns.

Mit den Leipzigern selbst ist es einfacher. Erstens kommen von den 16.000 Arbeitseinpendlern nach Schkeuditz die Mehrzahl aus Leipzig. Zweitens arbeiten von den 5.000 Auspendlern die meisten in Leipzig.

Drittens gibt es viele familiäre Bindungen. Auf die Frage nach der Herkunft antworten die Schkeuditzer nach 50 km Entfernung von Schkeuditz immer mit „aus Leipzig“.

Schkeuditz im Internet

www.schkeuditz.de

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