Ahoi: Guten Tag, Raschid, Du bist als Teil der Theaterturbine auch Teil des Orgateams der MOMENTA23. Vom 6. September 2023 bis zum 10. September 2023 soll es hier heiß improvisierend hergehen in der naTo. Kannst Du uns mehr erzählen, bitte? Was ist das eigentlich, solch eine MOMENTA? DOCUMENTA kennt ja jeder Mensch.
Raschid Daniel Sidgi: Ja, das stimmt, die DOCUMENTA kennt man. So direkt hat das MOMENTA Festival aber nichts damit zu tun. Außer vielleicht insofern, als dass es auch bei der MOMENTA um einen künstlerischen Austausch geht. Die große Kraft und Stärke des improvisierten Theaters liegt ja an dem speziellen Umgang mit dem Moment. Jede Geschichte auf der Impro Bühne wird nur in diesem speziellen Theatermoment erzählt und wird nie wieder genauso entstehen. Jedes Lachen oder Ergriffensein, das die Zuschauenden in einer improvisierten Show durchleben, ist darum so besonders und wertvoll... Wir haben den Namen des Festivals so gewählt, um die Einzigartigkeit des Moments im Improvisieren zu feiern und hervorzuheben. Dann noch die Jahreszahl hinten dran und fertig. Dieses Jahr heißt es also MOMENTA23.
Es ist uns auch in diesem Jahr gelungen, ein paar echt tolle und sehr inspirierende Gäste für die MOMENTA23 zu gewinnen. Alle bringen sie Ideen für Impro Theaterabende mit nach Leipzig und präsentieren diese dann zusammen mit dem Festivalensemble in der naTo Leipzig. Wenn man so will, bringt jeder unserer Gäste ein Geschenk mit und wir packen es bei den Shows der MOMENTA aus. Man darf also gespannt sein auf Theaterabende, die es so in Leipzig noch nicht gegeben hat. Viel Komik und Aberwitziges wird es zu sehen geben, aber auch experimentelle Ideen. Wir haben einen Cyberpunk Action Theaterabend. Wir zeigen eine wunderschöne Idee, in der eine Story über drei Generationen hinweg erzählt wird. Es wird auf der Bühne nach ehrlichen Bekenntnissen gesucht und wir spielen lachend mit Tabus in uns. Insgesamt sieben absolut einzigartige Shows.
Ahoi: Und was macht Ihr als Theaterturbine bei all dem?
Raschid Daniel Sidgi: Vor allem sind wir als Theaterturbine Gastgeber und Teil des Festivalensembles. Viele unserer Spieler werden also zusammen mit unseren internationalen Gästen auf der Bühne zu sehen sein. Für die Turbine ist das Festival immer auch eine wundervolle Zeit der Inspiration. Ein wenig wie eine Betankung mit Ideen. Ein herrlicher Austausch mit tollen Kollegen, der auch die eigene Kunst voranbringt.
Ahoi: Ich las eine Ankündigung, in der von hochkarätigen internationalen Gästen die Rede ist. Welche sind dies denn und was macht sie so hochkarätig?
Raschid Daniel Sidgi: Unsere Gäste in diesem Jahr sind Amir Atsmon aus Tel Aviv, Celine Camara aus Paris und Luxemburg, Laura Doorneweerd-Perry aus Amsterdam, Delia Riciu aus Bukarest und Roland Trescher aus München. Alle unsere Gäste sind zunächst einmal schlicht durch die künstlerische und handwerkliche Qualität, die sie mitbringen, sehr wertvoll und hochkarätig.
Für die MOMENTA sucht die Theaterturbine außerdem immer auch nach Gästen, die dem Impro Theater etwas Eigenes, ganz Originäres schenken. So bringt Celine Camara, durch ihre Ausbildung im Tanz und ihre Erfahrung im modernen Performancetheater, spannende Sichtweisen und ein besonders physisches Spiel auf die Improbühne. Laura Doorneweerd-Perry hat auf der ganzen Welt improvisiert und ihr Interesse, sich in der Popkultur zu bedienen oder auch nach uns weniger geläufigen Erzählstrukturen zu suchen, ist sehr erfrischend. Amir Atsmon hat eine Ausbildung in der Psychologie und bringt sein starkes Interesse für das Innenleben von Figuren in einer Geschichte mit in die Improvisation. Delia Riciu hat Philosophie und Schauspiel studiert und ist eine super intensive, authentische und dramaturgisch konsequente Schauspielerin. Roland Trescher ist einer der Pioniere des deutschsprachigen Improtheaters und sprüht auch nach über 30 Jahren Impro als Beruf noch vor innovativen Ideen. Und natürlich haben sie alle funny bones, also ein sehr erprobtes Gespür für Komik und Unterhaltung mit Tiefgang.
Okay, man merkt, dass ich ein großer Fan unserer Gäste bin, oder?
Ahoi: Nun gibt es aber nicht nur Show, sondern auch Workshops. Welche denn, mit wem und an wen richtet sich dieses Angebot?
Raschid Daniel Sidgi: In diesem Jahr bieten wir insgesamt fünf Workshops rund um das Improvisieren auf der Bühne an. Gegeben werden diese Workshops von unseren fünf Gästen. Die Workshops richten sich sowohl an Impro Anfänger als auch an versierte und schon auftretende Improvisateure.
Roland Trescher beschäftigt sich in seinem Workshop mit den inneren Bremsen und Tabus der Spieler und wie man damit lustvoll und lachend umgehen kann. Delia Riciu bietet einen Workshop im Stage Fighting an, es wird also körperlich intensiv und macht einen Heidenspaß. Amir Atsmon zeigt in seinem Workshop einen Weg zur Authentizität der Bühnenfiguren. Laura Doorneweerd-Perrys Workshop LIONESSES richtet sich speziell an Frauen und stärkt das Weibliche für die Improbühne und Celine Camara begegnet in ihrem Workshop der Angst „nicht originell“ genug zu sein und zeigt Wege zum kreativen Flow. Auf jeden Fall sollten Interessierte diese Chance nutzen, denn die Gelegenheit, von Improvisateuren dieses Formats trainiert zu werden, gibt es nicht allzu oft.
Nähere Informationen zu den Workshops gibt’s auf unserer website www.momenta-festival.de.
Ahoi: Improtheater ist mittlerweile eine angesehene Kunstform, hat auch Tradition in unseren Breiten. Wie begann jedoch alles? Wer stand am Anfang? Es ist mir derzeit zu selten die Sprache von denen, denen wir so viel zu verdanken haben …
Raschid Daniel Sidgi: Oha, eine sehr schöne Frage... Stimmt. Das Improtheater ist eine inzwischen etablierte Kunstform. Längst hat das Improvisieren als Lehrinhalt Einzug in die Ausbildung von Schauspielern gehalten. Und dennoch ist es eine Form des Theaters, die sich stetig weiterentwickelt und neu erfindet.
Ich will nicht in die Falle einer theaterhistorischen Abhandlung tappen und trotzdem ein paar aus meiner Sicht wichtige Namen und Meilensteine für das Improtheater fallen lassen. Natürlich war die Improvisation im Theater schon sehr lange präsent, spätestens seit den Steggreifspielen der Comedia del’Arte ist Improvisieren auf dem Theater beschrieben und weitergegeben. Für das moderne Improvisieren ist sicher das Viewpoints –Training, das im modernen Tanz Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts auftauchte, ein wichtiger Impuls gewesen. Und natürlich war der erst in diesem Jahr verstorbene Guru des Improtheaters Keith Johnstone ein extrem wichtiger Impulsgeber und eine Lichtgestalt für das heutige Improtheater. Er hat den Theatersport erfunden und seine Arbeit – eigentlich aus pädagogischem Ansatz – hat Ende der 80er und in den 90er Jahren quasi die Tür zum heutigen eigenen Genre Improtheater aufgestoßen. Seine Gedanken und Ideen schwappten von Kanada und den USA in den frühen 90er Jahren nach Europa und Deutschland und lösten die erste Popularitätswelle von Improtheater hierzulande aus.
Für das improvisierte Erzählen mit differenzierten ästhetischen Ideen sind auf jeden Fall Leute wie Del Close und Randy Dixon in einer Vorreiterrolle zu nennen. Mit letzterem hatte auch die Theaterturbine schon einmal den Genuss zu arbeiten und zu spielen. Das zeigt mir, dass auch die Theaterturbine schon ziemlich lange aktiv ist. Seit nunmehr 21 Jahren. Man könnte sagen, gegründet in der zweiten großen Welle der deutschen Improbühnen. Übrigens haben wir mit Roland Trescher in diesem Jahr auch einen wirklichen Pionier der deutschsprachigen Improszene zu Gast. An vielen Dingen, die im deutschen Improtheater zum allerersten Mal probiert wurden, war Roland beteiligt.
Ahoi: Ich hörte von ausdifferenzierter Tickets-Gestaltung. Kannst Du uns dazu bitte etwas erzählen?
Raschid Daniel Sidgi: Bei der MOMENTA 23 werden 7 Shows an 4 Tagen gespielt. Abgesehen vom Eröffnungstag werden am Tag zwei Shows gezeigt.
Es gibt Showtickets - für eine Show zu 18,-/11,-(erm.),
Tagestickets - für zwei Shows an einem Tag zu 28,-/18,-(erm.)
und natürlich das Festivalticket - für alle sieben Shows zu 66,-/44,-(erm.)
Karten gibt’s online bei yesticket.org oder tix4gigs.de,
im Vorverkauf bei Culton Tickets,
oder an der Abendkasse in der naTo Leipzig
Ahoi: Du hast gerade für die Serie „Der Bergdoktor“ gedreht. Was hast Du denn dort dargestellt und wann können wir Dich selbst demnächst – außerhalb der MOMENTA23 – sehen?
Raschid Daniel Sidgi: Ja, richtig. Für „Der Bergdoktor“ hatte ich eine kleine Tagesrolle. Aber tatsächlich kann ich mich gerade nicht über zu wenige Projekte beschweren. Das ist natürlich toll. Für die Kamera durfte ich in den letzten Monaten so einiges machen und hab das sehr genossen. Im Herbst 23 kommen noch eine tolle Folge von MORDEN IM NORDEN und eine Folge vom USEDOM KRIMI mit mir in etwas größerer Rolle ins Fernsehen und die Mediathek. In der Mediathek von ARD und ZDF müssten noch Folgen von DIE KANZLEI und der Serie LAMIA zu sehen sein. In der im letzten Jahr Grimme-Preis-nominierten Warner TV Serie PARA-WIR SIND KING habe ich eine durchgehende Rolle. Das läuft auf dem Streamingdienst mit dem A...
Im Theater arbeite ich gerade an einem sehr spannenden Duo Projekt mit der wunderbaren Kollegin Inbal Lori. Es heißt THE LOOPHOLE und wir sind im Herbst ein wenig damit unterwegs. Gerade habe ich ein großes Projekt im öffentlichen Raum mit dem Theater Titanick beendet. Die Performance heißt BUILDING und da durfte ich mal in künstlerischer Leitungsposition agieren. Im Winter bin ich wieder im Krystallpalast Varieté zu sehen und Anfang nächsten Jahres mache ich ein Stück in Augsburg. Direkt vor dem MOMENTA Festival spiele und unterrichte ich auf dem Improfestival Karlsruhe...
Und natürlich läuft meine Hörspielserie für Kinder „Figarinos Fahrradladen“ auch noch mit einer neuen Episode pro Woche. Im Radio auf MDR Tweens oder aber als Podcast.
Ich weiß, das klingt nach vielen Baustellen und eher stressig, aber genau so liebe ich es...
Ahoi: ich kenne Dich auch als herausragenden Musikanten. Wie sieht es denn mit Deinen Projekten in diesem Segment aus?
Raschid Daniel Sidgi: Im Moment bin ich tatsächlich relativ wenig live als Musiker unterwegs. Hier und da ein Jam, oder ein Gig mit Friends. Im Studio bastele ich gerade mal wieder an einer neuen Veröffentlichung als SIDIQUE mit dem Arbeitstitel „The Ancestors Diaries Vol. Two“ und wünsche mir, noch in diesem Jahr rauszukommen. Wenn es auf dem Gebiet Neuigkeiten gibt, sag ich auf jeden Fall bescheid.
Meine langjährige Band SCHWARZKAFFEE wird übrigens demnächst ein Abschiedskonzert Anfang nächsten Jahres ankündigen.
Ahoi: Zurück zur MOMENTA23. Am abschließenden Samstag gibt es einen ImproJAM. Was ist das denn ganz konkret und wer ist alles mit im Boot?
Raschid Daniel Sidgi: Okay, der ImproJAM ist bei der MOMENTA traditionell die Abschlussshow. Diese Show hat sich in den letzten Jahren zu so etwas wie einer Kultveranstaltung gemausert. Alle unsere Gäste plus fünf weitere Spieler – also mindestens zehn Spieler - sind auf der Bühne. Mindestens zehn schreibe ich, weil eigentlich alles passieren kann und auch schon einige spielwütige Kollegen mehr auf die Bühne gesprungen sind. Das Showprinzip des Abends ist: Es gibt kein Prinzip. Songs, Szenen, auf der Bühne erfundene Improspiele, wildes Sprachengewirr, großes Drama, Synchronstottern von Zootieren, Trinkspiele, gespielte Massenschlägereien, Bauchschmerzen vor Lachen und Tränen der Rührung... Das ist alles auf dem ImproJAM schon passiert. Eigentlich ist das kein Improtheaterabend sondern eher ein Happening des Improvisierens. Ein einmaliger Moment eben.
Kommt und seid dabei!
Ahoi: Danke, Raschid, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast und ganz viel Freude bei der MOMENTA23. Auf dass die Räume schwitzen mögen.
Raschid Daniel Sidgi: Sehr gern geschehen und vielen Dank an Euch zurück.