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Artenschutz macht Spaß! Macht bitte alle mit!

Gespräch mit Karsten Peterlein von mein-biotop.de

Plakette als Auszeichnung © mein-biotop.de

Gerade in urbanen Räumen sieht es mit dem Artenschutz schlecht aus. Und obwohl fleißig demonstriert und gefordert wird, sind die, die wirklich umsetzen, in der Minderheit.

Dabei kann es so einfach sein. Und Spaß kann es auch noch machen. Artenschutz ist Handarbeit. Dazu gehört es aber auch, sich im Vorfeld zu informieren. Das Projekt mein-biotop.de aus Leipzig stellt diese Informationen zur Verfügung. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit dem Mann, der die Idee zum Projekt hatte – mit Karsten Peterlein:

 

Ahoi: Guten Tag, Karsten Peterlein. Du hattest die Projektidee von „mein biotop“. Mit dem Projekt versucht ihr dem grassierenden Artensterben, auch in Leipzig, etwas entgegen zu setzen. Kannst Du uns bitte ein paar Zahlen zum Sachstand geben? Gerade auch bezogen auf unsere Stadt?

Karsten Peterlein: Hallo Volly! Vorab die traurigen Wahrheiten. Das Artensterben schreitet rasant voran. Die Hälfte aller Vogelarten sind laut „Roter Liste“ gefährdet. Wir haben über 300 Grünflächen in nur 10 Jahren verloren, auf denen die 10 häufigsten Vogelarten vorkamen. Neu dazugekommen ist kein einziger Lebensraum für diese Artengemeinschaft. Allein von den 407 in Sachsen nachgewiesenen Wildbienenarten werden in der „Roten Liste“ 287 Arten als ausgestorben oder gefährdet eingestuft. Durch die Trockenheit der letzten Jahre sind in Leipzig mehrere Teiche ausgetrocknet. Die Frösche und Kröten sind dort vollständig verschwunden. Wir müssen handeln!

 

Ahoi: Das Projekt „mein biotop“ soll Hilfe zur Selbsthilfe darstellen. Wie und womit?

Karsten Peterlein: Mit unserer Webseite www.mein-biotop.de geben wir viele Informationen, wie bereits auf kleiner Fläche ab 3 Quadratmetern neuer Lebensraum entstehen kann. Die vorgestellten Artensteckbriefe, die Biotopbausteine und die verknüpften Nahrungspflanzen geben Einblick, was Tiere zum Leben brauchen und wie tierischer Lebensraum einfach gestaltet werden kann. Darüber hinaus bieten wir auch Vor-Ort-Beratungen an. Für größere Flächen mit mehreren Biotopbausteinen empfiehlt sich eine Planung, um Schritt für Schritt die gewünschten Biotopbausteine umzusetzen. Bei Veranstaltungen und Exkursionen zeigen wir funktionierende Lebensräume am praktischen Beispiel. Durch die Naturbeobachtung lernt man am besten Lebensräume kennen und verstehen. Wer auf kleiner Fläche angefangen hat, wird sich schnell über die ersten Bewohner wie Erdkröte, Hummel oder Igel freuen und schnell vom Fieber gepackt, mit weiteren Pflanzungen oder Bausteinen noch mehr Arten anzulocken. Artenschutz macht Spaß.

 

Ahoi: Und an wen ganz konkret richtet sich das Projekt?

Karsten Peterlein: Mitmachen können alle Naturbegeisterten und interessierte Menschen, die Möglichkeiten haben, auf einer Fläche neue Lebensräume zu gestalten. Dafür eignen sich Schulhöfe, Firmengelände, Hinterhöfe, kommunale Fläche, Baumscheiben, Balkone und Gärten. Wenn eine ungenutzte Fläche vorhanden ist, kann es losgehen, dieses zu einem Biotop zu gestalten. Auch versiegelte Fläche können entsiegelt und zu Lebensräumen umgestaltet werden. Neben Privatpersonen können sich also auch Wohnungsgenossenschaften und Eigentümer von Gewerbegrundstücken an uns wenden.

 

Ahoi: Höchst interessant finde ich auch die Artensteckbriefe. Für Menschen, die diese noch nicht gesehen haben: Welche Inhalte haben die Steckbriefe eigentlich?

Karsten Peterlein: Schön, dass dir die Steckbriefe gefallen. Darin enthalten sind die wichtigsten Informationen zur Tierart, zur Lebensweise und zu den Möglichkeiten, wie die Lebensräume für die Tierarten funktional gestaltet werden können. Wer also demnächst den Zaunkönig bei sich beobachten möchte, findet alles, was dazu gebraucht wird. Dichte Hecken, Blütensäume und Totholzhaufen. Dafür ist überall ein Platz – man muss nur anfangen. Viele Verknüpfungen zeigen die Abhängigkeit von Tier- und Pflanzenarten. Inzwischen haben wir neben den Vögeln auch Steckbriefe zu Amphibien, Wildbienen, Faltern, Käfern und Pflanzen. Aktuell arbeiten wir an Steckbriefen zu den Säugetieren, die im Siedlungsraum vorkommen. Igel beispielsweise sieht man nur in der Dämmerung oder nachts. Es bleibt vielfach unbemerkt, dass sie sie in unserer Stadt immer seltener werden. Also versuchen wir, euch mit möglichst vielen Artengruppen die verschiedenen Tiere näher zu bringen und euer Interesse für strukturreiche Biotopgestaltung zu wecken. 

 

Ahoi: Kannst du bitte ein bisschen auf die Biotop-Elemente und die Biotop-Bausteine eingehen?

Karsten Peterlein: Die sechs Elemente Kräuter und Gräser, Bäume, Sträucher und Hecken, Wasser, Totholz sowie Steine umfassen schon fast alles, was für einen Lebensraum verschiedener Artengruppen nötig ist. Je nach dem, was auf der Fläche schon vorhanden ist, kann der Umfang und die Größe der verschiedenen Biotopbausteine variieren. Los geht’s ab mindestens 3 Quadratmetern, nach oben sind keine Grenzen gesetzt! Eine Strauchgruppe erfüllt je nach Größe verschiedene Funktionen. Jeder blühende Strauch bietet Nahrung für Insekten. Wenn statt einem Strauch aber 10 Sträucher in einer Gruppe gepflanzt sind und mehrere heimische Straucharten enthalten sind, werden verschiedene Artengruppen angelockt. Neben Insekten finden Vögel im dichten Gebüsch einen versteckten Nistplatz und an den Früchten der Sträucher später auch Nahrung. Der Igel kann in der dicken Laubschicht sogar im Herbst noch Nahrung finden und baut sich in älteren Strauchgruppen auch Schlafnester. In Strauchgruppen integrierte Totholzhaufen sind ein ideales Winterquartier für Erdkröten oder Igel. Wer mindestens drei Biotopbausteile Blüte, Totholz und Wasser auf wenigstens drei Quadratmetern umgesetzt hat, kann als Auszeichnung das „mein Biotop“-Schild bekommen.

 

Ahoi: Neben „mein biotop“ bist du auch noch bei der Wildvogelhilfe Leipzig engagiert. Auch hier braucht es dringend Hilfe. Was macht ihr konkret und wie kann geholfen werden?

Karsten Peterlein: Die Wildvogelhilfe und das Biotopprojekt sind eng miteinander verknüpft. Im Grunde ist „mein Biotop“ aus unseren langjährigen Erfahrungen mit der Wildvogelhilfe entstanden. Wir haben gesehen, welche Ursachen hauptursächlich für den Vogelrückgang in unserer Stadt sind. Der Verlust der Lebensräume! Da dieser Verlust über die Vögel hinaus auch alle anderen Arten betrifft, wollten wir, neben mir sind das noch Sabrina und Kevin, ein Mitmachprojekt starten und zeigen, wie Lebensräume so gestaltet werden, dass sich auch wirklich Tiere ansiedeln. Die Wildvogelhilfe arbeitet in gewohnter Form ehrenamtlich weiter und ist hauptsächlich eine Anlaufstelle, wo sich Vogelfinder mit ihren Fragen hinwenden können. Wir beraten wann und wie bei einem Vogelnotfall geholfen werden kann. Wir nehmen, soweit unsere Kapazität reicht, auch hilfebedürftige Vögel in Pflege. Bei Außeneinsätzen retten wir Vögel in Not und entschärfen Vogelfallen. An einer Mitarbeit Interessierte können sich an info@wildvogelhilfe-leipzig.de wenden. Mein Aufruf als Vogelretter heißt: Die beste Vogelrettung ist der Lebensraumschutz oder bei jeder Gelegenheit neue Lebensräume zu schaffen.

 

Ahoi: Naturschutz sollte zuerst einmal „Selbsthandeln“ heißen. Trotzdem muss man auch – beispielsweise an die Stadtpolitik – appellieren. Hier ist die Möglichkeit: Was wolltest du der Stadtpolitik schon immer mal sagen?

Karsten Peterlein: Die Stadt wächst, immer mehr Menschen wollen in Leipzig wohnen. Es wird vieles neu gebaut und damit gehen immer mehr Lebensräume verloren. In der Stadtpolitik wird immer von Kompromissen und Abwägung zwischen wichtigen Bauvorhaben und Naturräumen gesprochen. Eine ungerechte Abwägung, wenn wir huntertfachen Flächenverlust wahrnehmen und immer mehr Tiere vermissen. Die meisten Neubauvorhaben werden leider von den Architekten „tierfrei“ geplant und gestaltet. Da die sogenannten Allerweltsarten wie Haussperling und Amsel in vielen Stadtteilen bereits seltener werden, sind wir jetzt in der Pflicht für die Tiere, für uns Menschen und unsere Kinder die Vielfalt der Natur zu erhalten. Die Vielfalt der Natur dient doch auch unserem Wohlbefinden. Wir laden Stadtplaner, Stadtverwaltung und alle Leipzigerinnen und Leipziger zu gemeinsamen Projekten ein. Macht bitte alle mit.

 

Ahoi: Danke, Karsten. Für deine Zeit und Dein Engagement.

Das Projekt im Netz:

www.mein-biotop.de

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