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Rentierschlitten nur für dicke Männer

Gespräch mit der Weihnachtsmannfrau

In ein paar Tagen ist wieder Weihnachten. Wie jedes Jahr. Aber wer weiß schon, wie lange es das Fest noch geben wird. Schließlich ist allerorten Transformation, nichts ist mehr sicher, die Gewissheiten bröckeln und tauen schließlich ab. Ahoi-Redakteur Volly Tanner kam einer ganz großen Gemeinheit auf die Schliche. Tippgeberin war seine Gattin und der Herausgeber der Ahoi öffnete sein Medium für das Investigativ-Interview. Hier ist die ganze Wahrheit zu lesen. Von Abwertung, Diskriminierung und Durchhalten gegen eine jahrhundertealte Propagandamaschine:

Die Weihnachtsmannfrau in ihrer heimatlichen Chill-Ecke © Volly Tanner

Ahoi: Guten Tag, ich freue mich Sie zu treffen. Aber der Weihnachtsmann sind Sie doch nicht, oder?

Weihnachtsmannfrau (WMF): Nein, das haben Sie richtig erkannt – ich bin die Weihnachtsmannfrau, so wie übrigens die meisten Weihnachtsmänner eher Frauen sind.

Ahoi: Wie muss ich das denn verstehen?

WMF: Nunja, neueste Studien, nicht nur von der Weihnachtsbranche in Auftrag gegeben (aber auch) haben erwiesen, dass weit über 85 Prozent aller Tätigkeiten rund herum um das Weihnachtsfest, gerade in unserer, mitteleuropäischen Gegend, von Frauen erledigt werden. Ich meine da ganz besonders die Organisation der Feiertage und der Familienbesuche, die Einladungen, das Geschenkebesorgen, das Essenmachen, die Auswahl der Speisen, das Einkaufen der Zutaten, die rückwärtigen Dienste wie das Schmücken der Räume, das Reinemachen und die Musikauswahl, das Kartenschreiben und und und …

Ahoi: Ja, wenn Sie das so sehen, haben Sie schon recht. Aber in all den Filmen ist der Weihnachtsmann ja ein Mann.

WMF: Alles Propaganda, glauben Sie mir.

Ahoi: Propaganda? Ist das nicht eine Verschwörungstheorie?

WMF: Wenn Sie wüssten. Die Phallanx der männlichen Würdenträger in unserem Metier ist leider sehr hinterhältig und die wollen all das Lob und all die Freudentränen der kleinen Menschen nur für sich alleine – und wir Weihnachtsmannfrauen sollen still sein und müssen, selbst auf den Schnaps, der gerne als Dankeschön an die Männer ausgereicht wird, verzichten.

Ahoi: Oha, das ist wirklich schlimm. Ich bin absolut entgeistert – im Wortsinne. Da sollte man doch mal etwas dagegen tun, eine Spontandemonstration zu Weihnachten zum Beispiel. In Leipzig ist dies ein gern genommenes Mittel, auf wirklich schlimme Missstände aufmerksam zu machen.

WMF: Dafür haben wir leider keine Zeit, Herr Tanner, wir sind ja die, die alles erledigen müssen, da bleibt wenig Luft zum Demonstrieren.

Ahoi: Nun ist ja nicht das ganze Jahr Weihnachten, liebe Frau Weihnachtsmannfrau …

WMF: Einfach Weihnachtsmannfrau reicht, Herr Tanner …

Ahoi: Okay, Weihnachtsmannfrau … es ist ja glücklicherweise nicht das ganze Jahr Weihnachten. Was machen Sie denn die restliche Zeit so? Urlaub in der Sonne?

WMF: Am Nordpol? Urlaub in der Sonne?

Ahoi: Aber sie könnten doch in die Sonne fliegen.

WMF: Nunja, bei uns hat die Fridays-for-Future-Bewegung, besteht ja hauptsächlich aus unserer Klientel, schon extrem Fuß gefasst. Und als Ergebnis ist das Fliegen abgeschafft worden. Nur dicke Männer, kurz vor dem Abklappen aufgrund ihrer Unbeweglichkeit (schließlich machen wir ja die ganze Arbeit) dürfen weiterhin den Rentierschlitten nutzen. Aber selbst da gibt es schon Proteste. Bald ist das dann auch weg. Dann können wir den ganzen Plastikschrott überhaupt nicht mehr vom Nordpol weg und in die ganze zivilisierte Welt schaffen. Das wird wirklich schlimm.

Ahoi: Können wir als Menschen hier in Leipzig vielleicht etwas helfen?

WMF: Ohja, das können Sie wirklich. Vielleicht etwas Mäßigung und weniger vom Hass der Menschen, die sich ja immer auf der guten Seite wähnen, auf die Menschen, die sie dann immer auf der schlechten Seite verorten. Wer sich nämlich nicht permanent mit Hass beschäftigt und wütend oder zornig ist, ist gern auch mal mit etwas Weniger zufrieden. Ihr könntet etwas warmherziger sein, bitte auch die politisch Aktiven, aber auch die Medienmacherinnen und -macher. Mäßigung tät uns allen gut. Weniger Stress, mehr Respekt – wie euer neuer Bundeskanzler sagte ...

... und Aufmerksamkeit gegenüber denen, die die richtig anstengenden Jobs machen. Und die sollten man respektieren, egal was sie wählen oder welchen Status sie haben.

Ahoi: Ihre Worte in die Gehörgänge der Leipzigerinnen und Leipziger. Da schließe ich mich an. Und wir von der Ahoi ebenfalls. Danke für Ihre Zeit.

P.s.: Dieses Interview ist unter schwersten Verhältnissen zustande gekommen. Der Redakteur war leicht angetrunken, rund um ihn und die Interviewte wehte ein füchterlich beißender Schneesturm, die Weihnachtsmannfrau traute sich anfangs nicht, sich zu äußern, da sie einen Schitstorm befürchtete und der Kot ja – wir kennen das von der Hundescheiße in Leipzig im Winter – nicht so schnell verschwindet. Aber Ahoi-Redakteur Volly Tanner gab nicht auf. Und der gute Salmiakki besorgte den Rest.

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