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Für 80 Euro ein ganzes Jahr Brot

Gespräch mit der Rumänienhilfe-Leipzig Aktiven Lilly-Ann Reiche

Kein Mensch ist eine Insel. Alles ist miteinander verbunden. Umso wichtiger wird es, sich um andere Menschen zu kümmern und aus der „reichen“ Perspektive Deutschlands heraus für Menschenwürde, auch in anderen Teilen der Welt, einzustehen. Lilly-Ann Reiche engagiert sich bei der Rumänienhilfe Leipzig und erzählte Ahoi-Redakteur Volly Tanner davon:

Lilly-Ann Reiche hilft Menschen zu überleben © Daniel Klitzsch

Ahoi: Guten Tag, liebe Lilly-Ann Reiche. Seit vier Jahren bist Du Teil der Rumänienhilfe Leipzig. Wie bist Du denn auf diesen Verein aufmerksam geworden?

Reiche: Hallo, liebe Ahoi Leipzig. Über einen Bekannten habe ich erfahren, dass eine Gruppe Jugendlicher regelmäßig nach Rumänien fährt, um Spenden und Essen an arme Menschen zu verteilen. Da wusste ich, das möchte ich auch machen. Im Alter von 14 Jahren wollte ich mich diesem Abenteuer stellen. Auf der Reise habe ich nicht nur die Teilnehmer der Gruppe, sondern auch die Gastfreundschaft und Herausforderungen lieben gelernt und jedes Jahr erwarten mich neue Eindrücke.

 

Ahoi: Und was machst Du ganz konkret im Verein?

Reiche: Gemeinsam mit drei weiteren Jugendlichen leite ich den den Social Media Account des Vereins. Außerdem schreibe ich Artikel für unsere Homepage. Zwischen dem 19.03.22 - 09.07.22 nehmen wir jeden Samstag Spenden an unserer Hauptsammelstelle an, sortieren und verladen diese, um sie in regelmäßigen Abständen mit einem LKW nach Rumänien fahren zu lassen. Im Sommer wird es uns dann ermöglicht, selbst nach Rumänien zu fahren, um die Spenden zu verteilen und hautnah zu erfahren, wie es ist, in Armut zu leben. 

 

Ahoi: Ihr, als Verein, seid extrem umtriebig. Was habt Ihr schon erreicht und auf welchen Wegen kommt Ihr zu den Geldern, Spenden, Finanzierungen?

Reiche: Wir konnten eine Ein-Mann-Bäckerei unterstützen, aus der nun eine Großbäckerei mit 50 Festangestellten geworden ist, die die umliegenden Dörfer mit Broten versorgt. Zusätzlich steht das Projekt Brunnenbau, auch 2022, wieder im Vordergrund. Diese Brunnen sind wichtig, um Menschen nachhaltig mit sauberem Wasser zu versorgen. 2021 konnten wir außerdem 75 Brotpatenschaften für jeweils 80 Euro organisieren, mit denen eine Familie ein ganzes Jahr mit Brot versorgt wird.

Spenden sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit. An diese gelangen wir unter anderem durch Öffentlichkeitsarbeit. Wir halten Vorträge, verbreiten das Projekt auf social media und über Bekannte und Freunde. Auch Zeitungen und Fernsehen sind schon aufmerksam auf uns geworden und helfen uns, unsere Reichweite zu erhöhen, um so von möglichen Sponsoren wahrgenommen zu werden.

 

Ahoi: Die in Rumänien lebenden Menschen werden von Menschen aus reicheren Staaten sehr oft abschätzig bewertet. Woran liegt dies Deiner Meinung nach?

Reiche: Ich denke, das liegt an den Vorurteilen über die Kultur der Sinti und Roma, die unter den Rumänen leben. Wie zum Beispiel, dass diese faul seien und somit keine Arbeit und keine angenehme Wohnsituation bekämen.
Allerdings merke ich bei den Reisen in die ärmsten Dörfer immer wieder, wie herzlich diese Menschen sind, sie bekommen jedoch keine Chance, dies der Gesellschaft zu beweisen. Oftmals werden sie, vor allem von der reicheren Bevölkerung, als minderwertig angesehen, da der Kontrast zwischen Arm und Reich sehr hoch ist.

 

Ahoi: Rumänien ist Teil der Europäischen Union, die sich ja auch als Wertegemeinschaft versteht. Nun gibt es in Rumänien extreme Armut, was dann doch auch das Verantwortungsbewusstsein jedes Europäers auf den Plan rufen sollte. Euer Engagement ist da leider nur – so wichtig und konsequent es ist – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Was kann und müsste Europa und die Verantwortungstragenden schnell machen?

Reiche: Die Wertvorstellungen gehen sehr weit auseinander und um sich als Gemeinschaft zu bezeichnen, müsste man Rumänien finanziell, als auch in Hinsicht auf Bildung mehr unterstützen, die Korruption im Land bekämpfen und für Arbeitsplätze sorgen. Außerdem sollten wir besser über die schlechten Lebensbedingungen informiert und aufgeklärt werden. Hätte ich die Armut in den Dörfern nicht selbst erlebt, könnte ich es mir nicht ansatzweise vorstellen. Das hat mich zum Handeln angetrieben und ich denke das könnte auch das Verantwortungsbewusstsein vieler weiterer Europäer anregen.

 

Ahoi: Ihr arbeitet ja in Leipzig nicht im luftleeren Raum, welche Unterstützer habt Ihr?

Reiche: Ein großer Unterstützer ist die Sophienkirchgemeinde Leipzig, die uns Platz für gesammelte Spenden zur Verfügung stellt. Weitere Unterstützer sind deutsche und rumänische Transportunternehmen, die regelmäßig Sachspenden nach Rumänien bringen sowie Privathaushalte und Bekleidungsgeschäfte, die uns mit Kleider- sowie Geldspenden versorgen. Derzeit haben wir 35 gewerbliche Sponsoren.

 

Ahoi: Du selber bist neben Deinem Engagement noch Cheerleaderin – wo kann man Dich denn sehen, bei welchem Verein schwingst Du die Arme in die Höhe und warum gerade dort?

Reiche: Ich bin Teil des Cheerleader Club Leipzigs und wir treten auf verschieden Events auf. Darunter gehören unter anderem die Footballspiele der Leipzig Hawks und unser Level 6 durfte auch schon bei RB Leipzig auftreten.
Ich bin froh, Teil dieses Teams zu sein, weil dort, genau wie in der Rumänienhilfe, Gemeinschaft und Vertrauen eine große Rolle spielen und ich durch den Sport einen Ausgleich zum stressigen Schulalltag finde.

 

Ahoi: Bei alldem muss man wissen, dass Du erst 18 Jahre jung bist – wie ist Deine Erfahrung: Ist solch ein Engagement sehr selten in Deiner Altersgruppe? Wie ist das in Deinem direkten, persönlichen Umfeld?

Reiche: Da mein Umfeld ebenfalls sehr sozial eingestellt ist, haben wir selten Differenzen, da wir uns für ähnliche Projekte engagieren. Allerdings bemerke ich oft in meiner Altersgruppe, dass die Zeit und Lust fehlt, solch ein Projekt langfristig zu unterstützen.

 

Ahoi: Danke, liebe Lilly-Ann – und weiterhin viel Kraft und Optimismus.

Reiche: Ich bedanke mich ebenfalls für das Interview!

Rumänienhilfe Leipzig:

www.rumaenienhilfe.de

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