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  • Interviews
Kommunikation, Kooperation, Flexibilität

Gespräch mit der Leiterin Kulturamt der Stadt Leipzig Dr. Anja Jackes

Frau Dr. Anja Jackes, Leiterin Kulturamt der Stadt Leipzig © Stadt Leipzig

Die 600.000-Menschen-Metropole Leipzig ist gerne Kulturstadt. Nach außen wird geklotzt, nach innen organisiert. Dabei kommt es natürlich auch zu Reibereien. Frau Dr. Anja Jackes als Kulturamtsleiterin ist immer mittendrin im Strudel. Grund genug, mal nachzuhaken. Ahoi-Redakteur Volly Tanner kam mit Frau Dr. Jackes ins Gespräch:

 

Ahoi: Guten Tag, Frau Dr. Anja Jackes. Sie sind seit Beginn 2021 die Leiterin des Leipziger Kulturamts. Ihre Vorgängerin, Frau Kucharski-Huniat, prägte diesen Posten wie selten eine andere Person. Was machen Sie anders als die ehemalige Kulturamtschefin?

Dr. Anja Jackes: Meine Amtsvorgängerin Frau Kucharski-Huniat hat das Kulturamt ein beachtliches Vierteljahrhundert geleitet und geprägt. Stellen Sie sich nur die spannende Auf- und Umbruchszeit in den 90iger Jahren vor; damals war das Kulturamt deutlich größer, mit vielen nachgeordneten Kultureinrichtungen. Frau Kucharski-Huniat hat das Kulturamt in den Folgejahren strukturell neu konzipiert und profiliert. Ich konnte mit meinem Dienstantritt ein sehr gut aufgestelltes Amt übernehmen; wir führen Arbeitsprozesse weiter und entwickeln aber auch viel Neues. Auch aktuell befinden wir uns in einer besonderen Umbruchszeit, auf die wir in der Kulturbranche mit strategischen und neuen konzeptionellen Maßnahmen reagieren müssen. Ich startete meine Arbeit in Leipzig mitten im Lockdown; die Kultureinrichtungen waren geschlossen; es fand über viele Monate kein oder nur ein eingeschränktes Kulturleben statt; alles war aus den Fugen geraten. Es war kein normaler Einstieg in eine neue berufliche Situation; wir mussten im Team schnell reagieren, Strategien entwickeln, wie wir die Kunst, Kultur und die vielen Kulturschaffenden unterstützen und den Kulturbetrieb wieder ermöglichen konnten. Das ist uns gemeinsam sehr gut gelungen.

 

Ahoi: Wie viele Beschäftigte hat eigentlich das Kulturamt und in welche Segmente ist es unterteilt?

Dr. Anja Jackes: Das Kulturamt hat insgesamt 166 Vollzeitstellen. Zur Struktur des Kulturamtes gehört ein Kernamt mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in drei Abteilungen; die Abteilung Kulturförderung reicht jährlich über 10 Millionen Euro Fördermittel für die Freie Kunst und Kultur aus, die Abteilung Verwaltung und Controlling steuert und kontrolliert die finanziellen und verwaltungssrelevanten Aufgaben und ist zudem für die Bewirtschaftung von 35 kulturgenutzten Liegenschaften des Kulturamtes verantwortlich. Dazu gehören beispielsweise das Haus und Museum Zum Arabischen Coffeebaum, das Alte Rathaus oder das Heinrich-Budde-Haus. Erst kürzlich sind das Erich-Zeigner-Haus sowie die Häuser 4, 5 und 6 im Robert-Koch-Park als Liegenschaften dem Kulturamt neu zugeordnet worden.

Das Kulturamt ist als Bauherrenamt für diese Liegenschaften auch für die Sanierung und bauliche Instandsetzung zuständig. Dafür ist die dritte Abteilung des Kernamtes mit dem Sachgebiet Bauinvestitionen verantwortlich; neben den Baumaßnahmen werden in diesem Bereich zudem die Projekte für Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum gesteuert und ihre Umsetzung begleitet.  

Zum Kulturamt gehören weiterhin fünf Regiebetriebe; das sind die städtischen Museen (Naturkundemuseum, Stadtgeschichtliches Museum, Museum der bildenden Künste, GRASSI Museum für Angewandte Kunst) und der Thomanerchor, jeweils mit einer eigenen Leitung.

 

Ahoi: Mit Beginn Ihrer Amtszeit erwischte Sie Corona und das totale Bremsen völlig. Welche Aufgaben waren da die dringendsten? Wo musste sofort aktiv eingegriffen werden?

Dr. Anja Jackes: Das Kulturamt hat mit Unterstützung des Stadtrats im ersten Corona-Jahr viele Maßnahmen auf den Weg gebracht: So konnten zum Beispiel Arbeitsstipendien an freischaffende Künstlerinnen und Künstler ausgereicht und die Clubs und Livemusikspielstätten über das stadtweite Kulturevent „Outside“, dass im Sommer viele Veranstaltungen im Freien ermöglichte, unterstützt werden. Aber auch im Rahmen der bestehenden Förderung wurde auf die Pandemie reagiert, zum Beispiel durch die Förderung digitaler Kleinprojekte. Besonders wichtig war der regelmäßige Austausch mit den Kulturakteuren in der freien Szene und den städtischen Kultureinrichtungen, um vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Regeln die besten Lösungen zu finden. Im Jahr meines Amtsantritts konnten wir die Stelle des Fachbeauftragten für Nachkultur einrichten und besetzen, um so auch die Belange der Clubs und Livemusikspielstätten noch besser in den städtischen Planungen zu berücksichtigen. Für „Outside“ haben wir 2021 eine große Förderung des Bundes einwerben können, um so im Sommer Publikum und Künstler/-innen in vielen Veranstaltungsformaten wieder zusammen zu bringen.

 

Ahoi: Welches Grundverständnis haben Sie von Ihrer Position? Jede Führungspersönlichkeit hat ja eine Philosophie, nach der sie sich ausrichtet.

Dr. Anja Jackes: Drei wichtige Aspekte für meine Arbeit sind Kommunikation, Kooperation und Flexibilität. Für unsere Arbeit im Kulturamt ist der ständige Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen ein wichtiger Bestandteil, denn nur durch kontinuierliche Absprachen kann eine zielgerichtete Kulturarbeit geleistet werden. In unserem Amt haben wir viele Expertinnen und Experten, die einen engen Kontakt zur freien Kunst- und Kulturszene pflegen und damit an Entwicklungsprozessen beteiligt sind und die daraus resultierenden Bedarfe kennen und unterstützen können.  Stadtintern sind vor allem der Dialog und die Zusammenarbeit mit den Ämtern wichtig, weil wir Vieles nur gemeinsam erfolgreich umsetzen können. Dazu gehören beispielsweise unsere großen Entwicklungsprojekte, die wir mit dem Amt für Gebäudemanagement und in enger Kooperation mit den Museen und Freien Trägern realisieren. Für meine tägliche Arbeit ist es von zentraler Relevanz, stets auf Veränderungen oder neue Faktoren reagieren zu können, um Planungs- und Realisierungsprozesse bei Erfordernis zu modifizieren und dabei stets die beste Lösung für die Stadt zu erarbeiten. 

 

Ahoi: Und derzeit? Wo sind derzeit Ihre Hauptaktivitäten? Was machen Sie ganz konkret (oft haben ja Menschen überhaupt keine Vorstellung von der Tätigkeit einer Kulturamtsleiterin). Und was macht Ihr Amt ganz konkret?

Dr. Anja Jackes: Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit ist aktuell die Planung und Umsetzungssteuerung für die Erweiterung der Leipziger Kulturlandschaft durch neue Kultureinrichtungen und die Instandsetzung von bestehenden Kultureinrichtungen, teilweise auch im Kontext mit einer konzeptionellen Neuaufstellung der Häuser. Wir bauen beispielsweise ein neues Naturkundemuseum, planen ein Sportmuseum und entwickeln die Internationale Festivallandschaft für die Freie Szene mit einem Haus der Festivals in der Gottschedstraße 16.  Wir konzipieren gemeinsam mit dem Stadtgeschichtlichen Museum und dem Museum der bildenden Künste die Entstehung eines Museumskarree. Und wir planen und konzipieren neue Projekte für Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau. Zur Beratung und Begleitung dieser Kunstprojekte haben wir einen Beirat und eine Geschäftsstelle eingerichtet. 

Zum täglichen Arbeiten gehören Besprechungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum weiteren Vorgehen und ich stimme mich regelmäßig zu aktuellen Projektständen ab. Ich beteilige mich zudem an Workshops, die der Zusammenarbeit und Vernetzung, der Kulturentwicklung oder der Umsetzung spezieller Kulturprojekte dienen. Das Aufgabenprofil im Kulturamt ist sehr komplex und vielseitig.

 

Ahoi: In Ihren Einflussbereich gehören ja logischerweise auch die Leipziger Kultureinrichtungen. Um im Kulturbereich agieren zu können, braucht es immense Kommunikationsqualitäten und einen langen Atem. Haben Sie da einen Fahrplan für Besuche bei den Beschäftigten der Einrichtungen? Oder gehört das gar nicht zu Ihren Aufgaben? Und falls ja, wann waren Sie denn wo zuletzt?

Dr. Anja Jackes: Zum Kulturamt gehören die Regiebetriebe (Museum der bildenden Künste, GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Stadtgeschichtliches Museum, Naturkundemuseum, Thomanerchor). Zu meinen Aufgaben gehört es, die konzeptionellen und wirtschaftlichen Ziele der städtischen Museen und des Thomanerchors im Blick zu haben. Gemeinsam arbeiten wir an der Umsetzung der Maßnahmen der Museumskonzeption 2030. Insbesondere im Bereich Digitalisierung haben wir viele Vorhaben, hier kommen wichtige komplexe Aufgaben im Bereich der Kultur auf uns zu, die wir steuern und gemeinsam umsetzen.

Ich hatte kürzlich den Kulturamtsleiter aus Dresden in Leipzig zu Gast; wir haben einige Stationen, wie das Museum der bildenden Künste oder unser Sanierungsprojekt „Zum Arabischen Coffeebaum“ besucht und waren im Ariowitsch-Haus, um uns gemeinsam mit dem Direktor und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kulturvereins zu verständigen.   

Ich bin sehr viel in Leipzigs Kulturszene unterwegs. Es ist mir sehr wichtig einen engen Austausch mit den Kulturschaffenden zu haben, ihre Angebote und Veranstaltungen und vor allem ihre Bedarfe und Entwicklungsabsichten zu kennen. Wir diskutieren die aktuelle Situation und Herausforderungen für den Kulturbetrieb und perspektivische Notwendigkeiten. Ich schaue mir Vieles vor Ort an und bespreche konkrete Optionen zur Unterstützung.

 

Ahoi: Die Leipziger Kulturszene lebt ja vom Nachstoßen aus dem Underground. Dieser wurde jedoch von Corona und den Maßnahmen plattgedrückt, schließlich waren Auftritte verboten. Jetzt bricht es langsam wieder hervor. Wo steht die wirklich freie und undergroundige Szene, ich meine die Szene ohne Fördergeldunterfütterung, Ihrer Meinung nach?

Dr. Anja Jackes: Innovation und Kreativität gehören zur Kultur, unabhängig von Trägerschaft und Förderung. Sie sprechen hier auch eine Definitionsfrage an. Was ist das eigentlich, eine freie Szene? Für uns heißt freie Szene, dass es keine Trägerschaft der öffentlichen Hand gibt. Unter den freien Trägern haben wir dann ein breites Spektrum: ausgehend vom Zusammenschluss von Kulturschaffenden, über Vereine und gGmbHs bis zur Stiftung. Wir im Kulturamt kennen insbesondere die Träger gut, die wir fördern. Und alle haben eine schwierige Zeit durchgemacht und sind weiterhin mit den Auswirkungen der Pandemie, die jetzt durch den Krieg in der Ukraine weiter verschärft werden, konfrontiert. Die Probleme sind da, unabhängig von der kommunalen Förderung, sehr ähnlich aufgestellt und belasten den Kulturbetrieb sehr.

 

Ahoi: Sie sind in Leipzig geboren, haben aber vor Ihrer Amtszeit hier beispielsweise in Halle gearbeitet, als Leiterin des Fachbereichs Kultur der Stadt Halle (Saale). Zur Einordnung: die alte ehemals graue Diva an der Saale war mein Geburtsort, deshalb interessiert es mich auch so: Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen beiden Städten in der Kultur, wo sind die Vorteile beider Städte und wo die Mankos?

Dr. Anja Jackes: Beide Städte sind sehr bedeutende Kulturstädte. Halle ist natürlich deutlich kleiner, hat aber durchaus eine erhebliche überregionale und internationale Ausstrahlung. Eine große freie Kunst- und Kulturszene, wichtige Museen, die Kulturstiftung des Bundes, die Kunststiftung Sachsen-Anhalt und die Kunsthochschule Burg Giebichenstein prägen die hallesche Kulturlandschaft. In Halle ist auf einem flächenmässig kleinen Raum beachtlich viel Kunst und Kultur mit hoher Qualität vereint.

Leipzig ist mit über 600.000 Einwohnern mehr als doppelt so groß und besitzt eine ganz andere kulturelle und historische Dimension. Leipzig ist eine der wichtigsten Kulturstädte Deutschlands mit großer internationaler Ausstrahlung und Anziehungskraft. Auch die Freie Kulturszene ist gut aufgestellt, hat gewachsene, feste Strukturen und macht sehr viele Angebote, die von Kulturvereinen, Künstlerinnen und Künstlern und Kultureinrichtungen entwickelt werden. Die Vielfalt und Qualität der Leipziger Kulturlandschaft mit ihren Kulturangeboten sind deutschlandweit beachtlich. Es gibt in Leipzig über 50 Museen und Ausstellungsorte. Eines der großen Kulturevents der Region ist seit 2009 die gemeinsame Museumsnacht mit Halle (Saale). In diesem Jahr haben sich insgesamt 81 Einrichtungen an diesem Format beteiligt und wurden von etwa 16.000 Gästen besucht. Bei dieser Großveranstaltung ist vor allem die Nähe der beiden Städte und die enorme kulturelle Vielfalt und Dichte in unserer Region ein großer Vorteil.

Einen Unterschied zwischen beiden Städten sehe ich in der Förderstruktur und der Förderdimension. Die Stadt Leipzig unterstützt beispielsweise die Freie Kulturszene jährlich mit über 10 Millionen Euro Fördermitteln und der Freistaat fördert die Leipziger Kultur jährlich über das Sächsische Kulturraumgesetz.

 

Ahoi: Was wünschen Sie ganz persönlich sich von den Leipziger Kulturschaffenden?

Dr. Anja Jackes: Wissen Sie, ich spüre gerade im Kunst- und Kulturbereich viel neue Solidarität, Kreativität und Engagement, um die aktuelle Situation zu meistern; vernetztes, abgestimmtes Agieren und gemeinsame Lösungsfindungen sind sehr ausgeprägt. Das sollten wir als wertvolle Kraft auch nach der Krise nutzen. Ich habe die Hoffnung, dass so aus dieser schwierigen Zeit auch etwas Zukunftsträchtiges für uns alle entstehen kann; und das haben wir uns gemeinsam erarbeitet.

 

Ahoi: Und was von der Leipziger Bevölkerung?

Dr. Anja Jackes: Leipzig bietet so viel! Ich wünsche mir eine kulturreiche Zukunft für alle.

 

Ahoi: Da können wir mitgehen. Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Das Kulturamt Leipzig im Netz:

Kulturamt - Stadt Leipzig

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