//
//
  • Interviews
In dezenter Stilistik will diese Kunst wild sein

Gespräch mit der Künstlerin Jenny Marinow

Expressionismus ist Leben. Kraftvoll, wild und freiatmend. Die in Leipzig Kunst schaffende Jenny Marinow pulsiert mit jedem Herzschlag Expressionismus. Ahoi-Redakteur Volly Tanner traf sie und ließ sich auf sie ein:

Jenny vor dem Museum der Bildenden Kunst © Volly Tanner

Ahoi: Guten Tag, liebe Jenny. Ich hörte, dass es in der Kleinen Träumerei in der Münzgasse demnächst eine Ausstellung Deiner Bilder geben soll. Kannst du uns da bitte schon etwas mehr verraten? Wann, was direkt und konkret und ganz besonders weshalb gerade dort?

Jenny Marinow:  Nach der begehrten Kirsche auf einer wohlschmeckenden Torte zuerst zu greifen, stand mir weniger im Sinn. Eher ist es die Auftaktveranstaltung einer Ausstellung meiner eigenen Signatur des modernen Expressionismus mit abstrakten Details und eine etwas andere Art der Präsentation. Sowie, um einen angenehmen Überraschungseffekt im alltäglichen Leben zu situieren, weniger, um darüber zu debattieren, eher um sich selbst in einigen possierlichen Possen angenehm wieder zu erkennen und im farblichen Kontrastrausch zu erfrischen.

Ein passender Ort für ungezwungene, persönliche Gespräche, mit einem alten, kauzigen, schlitzohrigen, Leipziger Barmann, mit einem guten Auge für Potenzial, wird am 22.04.2022 die Vernissage „Die Sächsische Liebe“, in der Kleinen Träumerei, ab 20:00 Uhr, in der Münzgasse 7, 04107 eröffnet.

Dieser Tag ist nicht nur mein Geburtstag, sondern auch der Tag, an dem ich persönlich den Kunstkritiken der neugierigen Gesellschaft mein offenes Ohr schenken werde. Expressionisten waren und sind häufig Gäste in Literaturcafés, Kneipen, Varietés und Bordellen. Natürlich hoffe ich, dass gerade in dieser Zeit, mehr Gastronomen diesem Weckruf folgen, um aufstrebenden Künstlern eine andere Eintritts-Forte zu eröffnen.

 

Ahoi: Wenn ich das annähernd richtig verstehe, befasst Du Dich mit urbaner Kunst, mit modernem Expressionismus, Du benutzt Stilmittel der Punkrevolte und vermischst diese mit kraftvollpersönlichen Momenten. Wo kommt die Kraft aber her bei Dir?

Jenny Marinow: „Die Sächsische Liebe“ als Vernissage stellt für mich nicht nur ein unerschöpfliches Thema dieser kulturellen, liebenswürdigen Stadt dar, sondern auch zur Leipziger Mundartsammlerin, Lene Voigt, 1936. Gerade der Bezug, dass aus diversen Subkulturen gewisse gesellschaftliche Betrachtungen, Trendsetzungen, Einstellungen und Ansichten entstanden sind, die das urbane Stadtleben von Leipzig formen, einschließlich ihres sozialen und multikulturellen Wandels, ist mir wichtig. Nach 40 Jahren Erfahrungs- und Erlebniswelten der Malerei möchte ich meinen eigenen Stil des modernen Expressionismus mit abstrakten Details vorstellen und neue Akzente darbieten.

Die Epoche der Jugendkultur des Punks, 1987, die historischen Hintergründe des Leerwohnens bis zum Wieder-Auf-Erleben dieser Stadt, der Entstehung großräumiger urbaner Kunstwerke an den Hausfassaden, die Innovation neuer urbaner Lebensstile u.a. Lebenskulturen sind Meisterwerke der Einzigartigkeit für sich. Gerade der Jugend-Punkrevolte sind urbane Strukturen dieser Stadt zu verdanken, beispielsweise durch pädagogische Konzepte für öffentliche Urbane Art, wie mancher heutiger Konzertveranstaltungsort, Frau Angela Merkel als ehemalige Berliner Hausbesetzerin und das Trittbrett vieler New-Comer-Künstler, mittlerweile Unternehmer.

In vielen Unterhaltungen mit taffen Geschäftsführerinnen und Galeristen sowie jungen Kunststudenten kamen wir indirekt zu einem Punkt: Wie ist es, als Punk zu leben? - ich rede von einem speziellen Lebensgefühl, einem unrealistischen und ungewöhnlich wirkenden Flow, meine Malereien zu präsentieren. In dezenter Stilistik will diese Kunst wild sein.

Avantgardistische Nuancen sind exzentrischer Ausdruck. Die Expressionisten der urbanen Art werden ihr eigenes Innenleben der Gefühle auf die Leinwand kreieren. In markanten Kontrasten angenehmer farblicher, frühlingshafter Nuancen zu den naseweis ehrlichen Gestiken kindlicher, süßer Malereien. Signatur der Nostalgie und der Impression von L.E…

 

Ahoi: In Deinem Katalog zu „Sächsische Liebe“ hast Du meines Wissens ein Zitat eines großen amerikanischen Dichters eingewoben: „Krankenhäuser, Gefängnisse, Nutten sind die Universitäten des Lebens“. Da höre ich schon die Kaste der HGB-Absolventen aufjaulen. Wieviel Freiheit geht eigentlich in Kunst? Vor allem: Wieviel geistige Freiheit kann man sich erhalten auf dem Kunst“MARKT“?

Jenny Marinow: Selbst Charles Bukowksis Leben war von Höhen und Tiefen gekennzeichnet und trotz allem ist er seinem persönlichen Lebensplan gefolgt. Er liebte seine Kunst und kein „Aufjaulen der HGB-Studenten“. Ich zähle mich eher zu den etwas zart besaiteten Überlebensküstern, aber mögen tue ich es sehr gern, wenn mich renommierte Künstler, wie Fischer Art liken.

Bukowski war genauso wie ich in verschiedenen Unternehmungen angestellt und hat mehrere Umgehungstrassen benutzt, zeigte Talent und Geschick in seiner eigentlichen Leidenschaft der Kunst. Kunst ist beseelt mit Freigeist, schöpferischen Energien, Wissensdurst, Entfaltung, Verfeinerung. Selbst die Verkaufsmärkte leben von neuen Trends, die der gesellschaftliche Impuls liefert.

Zwischen jungen, kreativen HGB-Studenten und unkommerziellen und kommerziellen Galerien fühle ich mich sehr wohl. Unsere Treffen bewegen sich rund um Kunst und Kultur.

 

Ahoi: In Zeiten gesellschaftlicher Transformation, in denen Wahrheiten für ungültig erklärt werden und Framing zum Mittel der Politik wird, ist Kunst, gerade Deine Kunst, wichtig, um Reflexionen zu ermöglichen. Weshalb machst Du Kunst so wie Du sie machst? Bist Du Dir Deiner gesellschaftlichen Position als Korrektiv bewusst?

Jenny Marinow: Natürlich ist der Text des Katalogs „Die Sächsische Liebe“ ein bisschen edel, bis auf die Passage meiner Stilrichtung des modernen Expressionismus mit abstrakten Details in frischen angenehmen Farbnuancen und wenn ein belesener Betrachter sich nebenbei die herzerwärmenden Possen ansieht, versteht er meinen Schabernack, alles ein wenig auf die leichtere Schulter zu nehmen, in argwöhnisch dreinschauende Figuren, kombiniert mit den emphatischen Protagonisten meiner wilden Kunstwerke.

Und dazu Lene Voigt, Leipziger Mundartsammlerin, Dichterin, Schriftstellerin, 1936, als unheldisch und als crazy mundtot gemacht und weggesperrt. Lene Voigt wird in der Art-Vernissage „Die Sächsische Liebe“ gesehen: Als Queer-Queen, Anarchistin, Freigeist mit dem Bruch traditioneller Elemente und dann noch Frida Kahlo mit aufzuzählen, mit ihrer traditionellen Kleidung. Zu ihrem Mythos trug ihr bewegtes Leben, Krankheit und Leiden bei. Charles Bukowski war Soldat im II. Weltkrieg. Spätestens zu den nationalsozialistischen Zeiten galt die Kunst der Expressionisten als entartet.

Meiner Meinung nach hat der Expressionismus mehrere Brüche durchlebt und sich neu aufgebaut, auch die Jugendbewegung der Punks, die sich bis heute besonders bedrängt fühlt - ihr Freiheitsgeist und Partygeist, alles ein bisschen auf die Schippe zu nehmen, als besonderes Resümee als Zeitzeugin von Nostalgie und Impressionen urbaner Stadtstrukturen von Leipzig.

Es werden mehr oder weniger edle, stimmungsaufhellende Textwerke aus der Geschichte und Kultur für meine Kataloge verwendet. Die, die dahinter nicht den Witz verstehen, sind ggf. nicht gut drauf... Also: wirklich nicht mit politischem fachfremden Gequatsche an unbekannte Thesen stellen. Meine Kunst ist verrückt und sexy.

 

Ahoi: Ist Leipzig eigentlich ein gutes Pflaster für Kunst? Kannst Du davon leben oder lebst Du nur mit der Kunst?

Jenny Marinow: „Ich wünschte, ich könnte hinter dem Vorhang des ‚Wahnsinns‘ machen, was ich will. Dann: Ich würde Blumen arrangieren, den ganzen Tag lang, ich würde malen; Schmerz, Liebe und Zärtlichkeit, ich würde über die Dummheit der anderen lachen, so viel ich will, und alle würden sagen: ‚Armes Ding, sie ist verrückt!‘ (Vor allem würde ich über meine eigene Dummheit lachen.) Ich würde meine Welt bauen, die, während ich lebe, mit allen Welten übereinstimmt. Der Tag, die Stunde oder die Minute, in der ich lebte, wäre meine und die aller anderen – mein Wahnsinn wäre keine Flucht vor der Realität.“, Frida Kahlo

Leipzig ist eine pulsierende gleene sächsische Kultur– und Messestadt. „Aus Scheiße kann man keine Bonbons machen!“―Hansi Kreische ein echter Sachse.

 

Ahoi: Expressionismus ist ja auch ein Lebensgefühl, selten sind Menschen ohne Brüche Expressionisten. Wo sind Deine Brüche? Welche Brüche haben Dich geformt und reifen lassen?

Jenny Marinow:Lene Voigt, Frida Kahlo und Charles Bukowski sind mit ihren Brüchen, die sich in dem Lebensgefühl manifestierten, zur Kunst bis in das letzte Detail vorgedrungen. Brüche bedürfen einer feinen Geisteshaltung und emotionaler Zuwendung, eine Art Perfektionismus, eines akribischen Erarbeitens didaktischer Fähigkeiten und vor allem Akzeptanz. Der Expressionismus hat Brüche relativ gut überstanden und in taktische Strategien verwandelt.

Mein Liebesleben und meine mittlerweile jugendlichen Töchter prägen meine good Vibes, an meiner modernen expressionistischen Malkunst, mit abstrakten Details zu performen. Die Kunst ist mein Lebenselixier.

Jenny Marinow

Instagram

« zurück
zur aktuellen Ausgabe