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Die Mütter haben ein Recht auf Antworten

Gespräch mit der Journalistin Henriette-Fee Grützner

Solange politische Systeme auf der Macht weniger Menschen aufgebaut werden, wird es Machtmissbrauch geben. Die Lösung wäre, sich aus der immer wiederkehrenden Spirale unterschiedlichster Ausprägungen der Kakokratie herauszubewegen. In der DDR trug ebenfalls eine kleine Gruppe von Menschen die Macht und ließ sie erst viel zu spät los. Daraus resultierte sehr viel Leid und Unrecht. Zu einem dieser Unrechte recherchiert Henriette-Fee Grützner: zu den „verlorenen Babys der DDR“. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit ihr:

Henriette Fee Grützner
Henriette-Fee Grützner unterwegs auf der Suche nach einem Zipfelchen Wahrheit © Eric Kemnitz

Ahoi: Guten Tag, liebe Henriette-Fee Grützner. Die TV-Gucker kennen Dich seit Jahren als Selbertester-Moderatorin von „einfach genial“ auf dem mdr. Du bist aber auch die Journalistin hinter der RTL+ Dokumentationsreihe „Entrissen – Die verschwundenen Babys der DDR“. Das ist ja ein Thema, welches außerhalb des Betroffenenkreises kaum Aufmerksamkeit erfährt. Kannst Du uns bitte erzählen, um was es wirklich geht in der Serie?

Henriette-Fee Grützner: Wir begleiten in „Entrissen" mehrere Mütter, die davon ausgehen, dass ihre für tot erklärten Babys noch leben könnten. In den Unterlagen zu den verstorbenen Babys finden sich viele Ungereimtheiten. Die Mütter konnten ihre toten Babys nicht noch einmal sehen und je mehr Unterlagen und Zeitzeugen sie finden, desto mehr Fragen werden aufgeworfen. Doch ich will auch sagen, dass die Doku nur einen Bruchteil meiner Recherche und Erkenntnisse der letzten Jahre zeigt, weswegen ich nun ein Buch schreibe, um auch Menschen zu Wort kommen zu lassen, die die Kamera scheuen, die jedoch für die Aufarbeitung des Themas von immenser Wichtigkeit sind.

 

Ahoi: Und Du selbst? Wie kam es, dass Du Dich an das Thema herangewagt hast? Dazu braucht es ja in der Regel eine emotionale Initialzündung.

Henriette-Fee Grützner: Ich habe 2016 bei RADIO PSR im Rahmen der Recherchen für die Rubrik „Unglaubliche Geschichten" eine Anzeige gefunden, wo jemand seinen Sohn suchte und dann stand da aber „Gestorben am ..." und ich war total irritiert. Wie geht das? Ein Kind ist gestorben, aber wird gesucht? Dann habe ich angefangen, mich mit dem Thema „Vorgetäuschter Kindstod" zu beschäftigen und bin immer tiefer in diesen Abgrund gerutscht, bis sich eines Tages Peter bei mir gemeldet hat. Peter hat mir seine zwei beglaubigten Geburtsurkunden gezeigt, er wurde also zwei Mal geboren: einmal bei seiner leiblichen Mutter und einmal bei den Adoptiveltern.  Und der leiblichen Mutter wurde aber gesagt, dass Peter verstorben sei. Und da wusste ich: Hier ist was faul! Da muss ich weiter dranbleiben und herausfinden, wie viele Menschen es betreffen könnte.

 

Ahoi: Mit wem hast Du denn in der Recherche zusammengearbeitet? Es gibt ja auch die Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR (IGGKDDR). Gab es dorthin Kontakte? Wie hast Du recherchiert?

Henriette-Fee Grützner: Ich habe mir im Laufe der letzten Jahre ein großes Netzwerk aufgebaut, welches von Bundestagsabgeordneten bis hin zu ehemaligen Stasimitarbeitern und natürlich auch der Interessengemeinschaft und somit Andreas Laake geht, die mich unterstützen und mit denen ich mich berate. Es ist wichtig, den Weg nicht alleine zu gehen, dafür gibt es zu viele Abzweigungen. Bei „Entrissen" habe ich die Redaktion geleitet und hatte ein gutes Team, welches mitrecherchiert hat. Das Film-Projekt ist aber nun abgeschlossen und für mich geht es auf zu neuen Ufern. Jetzt schreibe ich wie gesagt ein Buch über meine Recherche und dabei helfen mir das Netzwerk und natürlich vor allem Zeitzeugen und vermutlich Betroffene.

 

Ahoi: Und dann auch die persönlichen Begegnungen. Das muss doch emotional gewesen sein. Kannst Du da Abstand finden? Das sind ja Leidensgeschichten, die ich zum Bespiel nicht einfach abschütteln könnte.

Henriette-Fee Grützner: Was mir wirklich hilft, sind meine Familie und meine Freunde. Wir reden Zuhause nicht über das Thema, weil ich mir Anvertrautes nicht weitergebe. Aber das miteinander Zuhause in die Leichtigkeit gehen, etwas ganz anderes machen, hilft enorm. Ich bin ein Mensch, der sehr gut im Moment sein kann. Ich kann meinem Interviewpartner zuhören und emotional dabei sein, aber Zuhause dann auch mal das Handy ausmachen und mir von der Arbeit freinehmen. Und es hilft mir aber auch tatsächlich, das Buch zu schreiben - einfach mal alles aufzuschreiben.

 

Ahoi: Welche Situation, liebe Henriette-Fee, hat Dich denn besonders berührt?

Henriette-Fee Grützner: Eigentlich war wirklich jedes Interview und jede Begegnung berührend. Aber vielleicht waren es zwei Dinge: Als ich für Yvonne hunderte Seiten ihrer eigenen Jugendamtsakten gelesen habe und den entscheidenden Satz entdeckt habe, dass ihre Zwillinge besser im Heim aufgehoben seien und mir damit klar war, dass wir hier einen solchen Fall haben von vorgetäuschtem Säuglingstod, aber wir diese Kinder vermutlich niemals finden werden. Dieser Moment: Als ich Yvonne sagen konnte, dass ich nach Prüfung aller ihrer Unterlagen zu der Einsicht komme, dass ihre Kinder vermutlich leben. Das war sehr emotional! Und dann natürlich auch meine Begegnung über die Interessengemeinschaft mit Regina, die bereit war, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen und die mit ihrem für tot erklärten Sohn Eike der deutschlandweit erste bewiesene Fall ist, den ich lückenlos aufkläre.

 

Ahoi: Wie geht es jetzt aber weiter mit den „verlorenen Babys der DDR“?

Henriette-Fee Grützner: Bei mir haben sich viele vermutlich Betroffene gemeldet. Und es gibt Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung. Mein Ziel ist es jetzt, dass der Fall von Regina&Eike als DDR-Unrecht anerkannt wird und es zum Thema „Vorgetäuschter Säuglingstod" eine eigene Studie gibt, um zu untersuchen, ob das Einzelfälle waren oder von wie vielen Fällen wir da sprechen. Die Mütter haben ein Recht auf Antworten, ob sie jahrelang an einem leeren Grab getrauert haben oder nicht.

 

Ahoi: Ich mag ja Deine Moderationen bei „einfach genial“, weiß aber auch, dass es Zeiten gab, in denen Du in Jazzbars gesungen hast und als Schauspielerin die Bretter, die die Welt bedeuten, mit Deinem Talent bereichert hast. Kann man Dich vielleicht mal wieder hören? Irgendwo auf einer Bühne? In Jazz?

Henriette-Fee Grützner: Lustig, dass Du das fragst, weil ich tatsächlich im Gespräch mit dem Boulevardtheater Dresden bin, ob ich für die letzten Vorstellungen „Familie Bernd Seifert" im November noch mal zurück auf die Bühne komme. Und ich überlege auch mit meinem Freund Tobias Künzel unsere Songs noch mal heraus zu kramen und wieder zusammen Musik zu machen. Tatsächlich haben wir in London zusammen ein paar Songs geschrieben und ich finde sie immer noch großartig. Wer weiß, vielleicht dürfen sie endlich mal raus an die Luft (lacht).

 

Ahoi: Wenn Du Dir als Journalistin und Menschenkind etwas wünschen könntest und wüsstest, dass das auch wirklich in Erfüllung gehen würde: Was wäre das?

Henriette-Fee Grützner: Ich glaube, da gibt es nur eins: Frieden. Und zwar überall auf der Welt. Und für immer.

 Die Moderatorin im Netz:

www.mdr.de/einfach-genial/henriette-fee-gruetzner

Falls sich weitere Betroffene an der Thematik „Die verlorenen Babys der DDR“ melden möchten,

bitte an: info@henriettefeegruetzner.de

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