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Es fühlt sich einfach richtig an

Gespräch mit den beiden No Angels Jess und Nadja

Der Live-Popzirkus wurde gerade mit voller Wucht und wieder einmal zur Bremsung gezwungen. Das bringt manche Aktive ganz schön ins Schlingern, Menschen, die in diesem Metier am Arbeiten sind, haben extrem zu tun, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Da braucht es hin und wieder Licht, Tageslicht, in den Augen. Die No Angels liefern beständig und reflektiert genau dies. Licht. Und Musik. Und am 27.09.2022 wollen sie auch nach Leipzig kommen, um mit uns zu feiern. Da Ahoi-Redakteur Volly Tanner schon immer ein heimlicher Verehrer der No Angels war, fragte er einfach ein bisschen an ihnen herum und Jessica und Nadja antworteten freiwillig:

Man muss kein Engel sein, um Erfolg zu haben über 20 Jahre hinweg. © Ben Wolf

Ahoi: Guten Tag, liebe No Angels. Hallo Jessica und Nadja. Ich freue mich, euch mal interviewen zu dürfen, schließlich hat euer Daylight vor vielen Jahren auch mich erfreut. Und dass ihr nach 20 Jahren wieder so grandios auf allen Kanälen unterwegs seid, freut mich natürlich auch. Was war denn der ausschlaggebende Moment, dass ihr euch nach einigen Jahren Pause wieder zusammenfandet? Ich las, der Grund war ein eher sehr trauriger …

Jess: Ganz so war es nicht. Leider ist Lucys Mama letztes Jahr verstorben. Das war der Auslöser, dass wir nach Jahren zu viert – also alle gemeinsam – wieder Kontakt hatten. Via Whatsapp oder auch Zoom. Das war sozusagen der erste Schritt auf unserem Band-Weg. Zeitgleich hat sich auf anderen Wegen – Plattenfirma, Creativ-Team oder auch Produktion – einiges ergeben. Irgendwann im Laufe des letzten Jahres haben sich alle Wege getroffen und dann ist die Idee entstanden, wieder etwas zusammen zu machen.

Nadja: Es war eine Aneinanderreihung verschiedener Ereignisse, im Nachhinein hat man das Gefühl, dass das Schicksal einen wieder zusammengebracht hat. Wir waren schon seit Jahren miteinander in Kontakt aber nie alle zusammen, sondern immer vereinzelt. Cirka ein Jahr vor unserem Jubiläum haben wir dann eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe gemacht und uns ausgetauscht. Natürlich haben wir auch darüber gesprochen, dass bald unser 20-jähriges Jubiläum ansteht, aber wir hatten nie konkrete Pläne, etwas als Band zu unternehmen. Erst als unsere alten Songs auch endlich auf allen Streaming Plattformen erhältlich waren und unsere Fans in den sozialen Netzwerken einen kleinen No Angels Hype ausgelöst haben und das alles in den Zeiten von Lockdown und Corona, haben wir angefangen, darüber nachzudenken, etwas zurückgeben zu wollen. Wir dachten da eher an etwas ganz einfaches, ein selbstgemachtes Video oder ähnliches, einfach um ein paar Menschen eine Freude zu machen. Aber dann kam alles anders und unsere Plattenfirma und unser Produzent hatten größere Ideen und da haben wir als Band entschieden, nochmal auf die große Bühne zurück zu kommen und mit unseren Fans gemeinsam unser Jubiläum zu zelebrieren und alte Zeiten wieder aufleben zu lassen.

 

Ahoi: Mittlerweile seid ihr alle vier mitten im Leben stehende und tanzende Frauen, habt zwischen den Bandzeiten aufregende und aufreibende Zeiten erlebt. Wie viel Lebenserfahrung bringt ihr in die neuen No Angels ein? Wo sind der musikalische und popkulturellen Unterschiede zwischen damals und jetzt?

Jess: Ich glaube, man kann Lebenserfahrung bzw. wie viel man einbringt, nicht portionieren – sie fließt voll und ganz einfach mit ein. Die Unterschiede, wie man Musik erlebt oder die Popkultur, kommen mit der Weiterentwicklung der Persönlichkeit, die Erfahrungen, die man gesammelt hat. All das fließt in die Musik, in den Gesang mit ein. Und unabhängig von der eigenen Entwicklung ändert sich über die Jahre die Musik – jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Klang.

Nadja: Jede von uns hatte Zeit, sich auszuprobieren, neue Wege einzuschlagen und ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen. Die Erfahrungen sind, oberflächlich betrachtet, sehr unterschiedlich aber uns alle vereint, dass wir uns selbst gefunden haben. Wir sind erwachsener geworden, gelassener und reflektierter. Jede hatte Zeit, Erlebtes zu verarbeiten. Ich empfinde jede meiner Kolleginnen immer noch als sie selbst, nur in einer reiferen Version. Es ist schön, mit all diesen Erfahrungen, Erinnerungen und neuGelerntem wieder zusammen zu kommen. Ich habe das Gefühl, diese Gemeinschaft heute mehr wertschätzen zu können und dass ich heute erst richtig begreifen kann, was wir miteinander alles erlebt haben.

 

Ahoi: Die No Angels standen schon am Anfang ihrer Karriere für Diversität. Manchmal bekommt man ja das Gefühl, dass dies ein ganz niegelnagelneuer Trend ist. Gab es damals eigentlich Widerstände? Ich habe ja David Bowie gehört oder Culture Club oder Bronski Beat und es war mir völlig egal, welche sexuellen Präferenzen die Singenden damals hatten....

Jess: Damals standen wir unbewusst für Diversität. Vor 20 Jahren war das zwar schon ein Thema, aber es war nicht so ein öffentliches Thema wie heute. Mittlerweile ist uns ganz klar, wie sehr wir manche Leben geprägt haben, dass Menschen sich mit uns, auf Grund der Diversität, identifizieren konnten. Und so Manchen haben wir musikalisch durch eine schwere Zeit begleitet.

Nadja: Ich höre oft, die Farbe eines Menschen ist mir egal, ich bin farbenblind, wer mit wem schläft, ist mir egal. Ich denke, damit wollen Menschen zum Ausdruck bringen dass sie nicht rassistisch, sexistisch, homophob etc, sind, was natürlich eine gute Absicht ist. Es ist aber schwierig, das so zu formulieren, weil man als nicht betroffene Person die Diskriminierung nicht zu spüren bekommt und diese Erfahrung und Realität der Betroffenen somit kleinredet. Ich denke, wir müssen es offen aussprechen dass wir ein Problem mit Ausgrenzung und Diskriminierung haben. Wir haben das große Glück, durch unsere bunte MischungGruppen von Menschen sichtbar machen zu dürfen, für die es immer noch nicht selbstverständlich ist, in den deutschen Medien gezeigt zu werden, ohne gleich einen Stereotypen bedienen zu müssen. Dadurch wurden wir für einige marginalisierte Gruppen zur Identifikationsfigur, damals noch, ohne es zu wissen aber heute ist uns das sehr sehr bewusst.

 

Ahoi: Ihr engagiert euch auch politisch sehr aktiv. Wo denn konkret?

Jess: Das ist bei jeder von uns unterschiedlich. Generell liegen uns Diversität, der Kampf gegen Sexismus und Rassismus, Women-Empowerment, Tierrechte und alles rund um Nachhaltigkeit sehr am Herzen.

Nadja: Wir engagieren uns eher gesellschaftlich, wobei das natürlich in einer Weise auch politisch betrachtet werden kann. Jede hat ihre Themen, die sie beschäftigen und wir haben auch viele gemeinsame Themen. Ich engagiere mich im Thema psychische Gesundheit, die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten. Ich bin Veganerin und spreche viel über Konsum generell auf meinen Kanälen. Wir müssen soviel ändern und jeder kann etwas tun, um nicht weiter massiven Raubbau an unserem Planeten zu betreiben. Rassismus ist auch ein großes Thema für mich und ich engagiere mich öffentlich dafür, das Bewusstsein der Menschen zu erweitern und auf Missstände aufmerksam zu machen. Natürlich lieben und engagieren wir uns in der LGBTQ-Community und zeigen unsere Präsenz und Solidarität.

 

Ahoi: 2022, wenn Corona will, darf man euch auch endlich wieder in voller Konzertlänge in Leipzig erleben. Das wird eine riesengroße Party. Wie handhabt ihr Live? Für eure Stücke braucht es doch eine große Band. Wer macht denn da mit?

Jess: Oh ja, wir freuen uns riesig auf die Tour. Wir vermissen es, zusammen zu singen und mit unserer Engel-Community zu feiern. Zuerst steht aber unser großes Open Air in der Berliner Wuhlheide auf dem Programm. Natürlich gibt es eine Mega-Show mit Tänzern, Band, Kostümen und allem Zip und Zap. Was genau passieren wird, können wir jetzt noch nicht sagen, wir befinden uns mitten in der Planung.

Nadja: Ja, unsere Show wird ein Feuerwerk. Wir werden eine Live Band haben, Tänzer, eine tolle Bühne, mit allem was dazu gehört. Wir haben es immer geliebt, eine große Show zu machen und den Menschen ein richtiges Erlebnis mitzugeben, das sie niemals vergessen werden. Die Menschen, die man am Ende auf der Bühne sieht, sind ja nur ein Bruchteil, die ganzen Gewerke von Roadie bis zum Tonmeister, das sind Dutzende von Menschen vor Ort plus die Dutzende von Menschen im Hintergrund wie Management, Booking Agentur, Label, Choreografen. Wir sind ein riesiges Team und wollen die Show unseres Lebens auf die Bühne bringen und das will was heißen.

 

Ahoi: Euer Wiederaufflammen im medialen Zirkus zeugt ja auch davon, dass Menschen eine Sehnsucht nach Beständigkeit haben und es fühlt sich an, als ob ihr heute noch erfolgreicher als damals wärt. Wie fühlt es sich jedoch für euch selber an?

Jess: Wir sind sehr dankbar, dass wir diese Zeit gerade erleben dürfen. Gerade, weil sich alles so ungeplant ergeben hat, freuen wir uns über jeden Moment, den wir erleben. Genau wie unsere Engel-Community feiern wir die Nostalgie und die gemeinsamen 20 Jahre. Das Highlight in diesem Jahr war für mich definitiv die Album-Eins mit ‚20‘ und der Life Achievement Award, den wir vom Verein für Popkultur entgegennehmen durften.

Nadja: Es fühlt sich einfach richtig an, so als würden sich alle Puzzleteile des Lebens wieder zusammenfügen. Für mich ist es einfach wunderschön, nach so langer Zeit wieder zusammen zu sein und mit einem ganz anderen Standing, reflektiert und erwachsen nochmal diesen Erfolg miteinander erleben zu dürfen. Es ist schwer in Worte zu fassen, weil es sehr komplex ist. Es ist wie ein nach Hause kommen zur Familie, ein Heilen, ein Loslassen, eine Family Reunion.

 

Ahoi: Danke für eure Zeit und eure Antworten. Und es ist gut so wie es ist, dass ihr wieder da seid.

No Angels im Internet: 

noangels.net

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