Am westlichen Rand von Leipzig, in Gundorf, gibt es auf dem Friedhof seit einigen Monaten einen Sternenkinder-Erinnerungsort. Einer der Initiatoren war Ronny Müller. Doch natürlich konnte er solch ein Projekt nicht völlig allein stemmen.
Wer mit im Boot ist, was Sternenkinder sind und wofür es mit wessen Unterstützung und warum jetzt diesen Erinnerungsort gibt, erfragte Ahoi-Redakteur Volly Tanner direkt bei Ronny Müller:
Ahoi: Guten Tag, Ronny Müller. Du bist beim Thema Sternenkinder sehr engagiert. Was sind denn Sternenkinder?
Ronny Müller: Sternenkinder sind Kinder, die bereits im Mutterleib, oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Man bezeichnet diese Kinder als Sternenkinder, weil sie trotz ihrer Nähe zu uns so weit weg sind. Manchmal wie eine Sternschnuppe, ein kurzer Augenblick des Glücks.
Ahoi: Wie kam es dazu, dass Du Dich beim Thema Sternenkinder einbringst? Es braucht gerade auch bei solch einem Thema in der Regel eine persönliche Betroffenheit … oder?
Ronny Müller: Du hast recht. Es geht um Betroffenheit. Um eine Betroffenheit, die man bei einer Mutter vermutet, die aus einem Grund ihr Kind verloren hat. Tatsächlich geht die Betroffenheit viel weiter. Betroffen ist auch die direkte Familie des früh gestorbenen Kindes. Aber auch, so wie in meinem Fall, Freunde und Bekannte der Mutter. Diese Betroffenheit gab mir den Impuls, den Gedanken zu dem Erinnerungsort aufzugreifen und greifbar zu machen. Mit sehr viel Glück ist es mir gelungen, diesen Gedanken wahrhaftig werden zu lassen. Glück in Form von Menschen, die ich angesprochen habe und die sofort, ohne zu zögern, die Bereitschaft erklärt haben, an diesem Projekt mitzuarbeiten.
Ahoi: In Gundorf am westlichen Rande Leipzigs gibt es nun seit einigen Monaten einen Sternenkinder-Erinnerungsort. Kannst Du uns dazu etwas mehr erzählen bitte?
Ronny Müller: Ich habe es gerade angedeutet. Es war für mich ein großes Glück, mit Menschen in Kontakt zu treten, die diesen Gedanken, einen Erinnerungsort für Sternenkinder zu schaffen, zu unterstützen bereit waren. Initiatoren sind auch Ina Wildführ und Volker Dietrich. Diese beiden Personen waren die ersten, mit denen ich über die Idee gesprochen habe. Und beide haben, unabhängig voneinander, ihre Unterstützung zugesagt. Mittlerweile ist ein Ort entstanden, der dem entspricht, was wir erreichen wollten. Einen Erinnerungsort für früh gestorbene Kinder, ohne kommerzielle Interessen. Der Ort besteht im Wesentlichen aus einem besonderen Stein, der aus dem Himalaja Gebirge stammt. Aus, in kunstvoller Handarbeit hergestellten, Bank-ähnlichen Skulpturen aus Eichenholz und aus handgefertigtem Glas hergestellten Sternen. Ein Ort der Besinnung, der Erinnerung, der Zuversicht und der Hoffnung. Ein Ort voller Energie, dem die wechselnden Lichtverhältnisse ein besonderes Flair geben. Ein Ort der Ruhe und der Geborgenheit.
Ahoi: Mit Dir gemeinsam engagiert sich auch Ina Wildführ von der Künstler Stiftung Leipzig. Wie seid Ihr denn zusammengekommen?
Ronny Müller: Ina Wildführ und ich, wir haben uns beim Volleyball kennengelernt. Sie trainierte meine kleine Tochter. Uns verbindet eine respektvolle Lebenseinstellung zueinander, welche die Ideen des anderen aufnimmt und unterstützt. Ina gründete vor einiger Zeit, mit der Unterstützung ihres Lebensgefährten, die Künstlerstiftung Leipzig, die sich mit der Entwicklung von Kunst und Kultur in Leipzig, aber auch mit sozialen Projekten befasst. So insbesondere das am 25.11. 2023 ab 17.00 Uhr stattfindende Festival „Rock in Delitzsch", bei dem Nachwuchsbands gefördert werden.
Ahoi: Das Thema Sternenkinder ist nicht gerade unter den Top Ten im Medienwald zu finden. Woran liegt es, was denkst Du? Gibt es Berührungsängste? Und wenn ja, warum eigentlich?
Ronny Müller: Sternenkinder, wir hatten bereits darüber gesprochen, sind ein Moment des Glücks, aber vor allem ein großer Moment der Trauer. Jeder Mensch, der sich direkt durch Betroffenheit, oder indirekt durch Interesse, mit diesem Thema befasst, wird auf eine andere Art mit dem Thema umgehen. Eine der häufigen Arten des Umgangs mit diesem Thema, ohne hierzu wissenschaftliche Erkenntnisse nennen zu können, ist Verdrängung. Es „passiert", „man muss damit leben". Es ist kein Thema für eine lauschige Sommernacht, in der man mit Freunden zusammensitzt. Es ist ein einsames Thema. Für die Mutti, den Vati, die Geschwister, die Tante, den Onkel, Oma und Opa und viele andere Betroffene. Viele wollen oder können nicht über dieses Thema sprechen. Sie machen es mit sich aus. Und das ist der Grund, der Gedanke dahinter, all diesen Menschen einen Ort zu geben, an dem sie allein sein können, aber auch miteinander reden können. Ohne Verpflichtung. Ohne Druck. Man könnte jetzt philosophisch über sehr viele Themen sprechen, über die nicht gesprochen wird. Ein großes Thema hierbei ist die Liebe. Sie ist einfach da, oder nicht?
Ahoi: Das Gedenken an den Verlust oder an Verluste überhaupt gehört zwingend zum Menschsein dazu. Immer nur eitel Sonnenschein macht auch nur krank. Wie könnt Ihr Betroffene unterstützen? Gibt es neben dem Erinnerungsort noch andere Möglichkeiten?
Ronny Müller: Unser Hauptthema ist, einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Natürlich, das ist verständlich, kommen nun die Fragen nach dem „Und nun?“. Ich stehe mit meinen Sorgen, Gefühlen und Gedanken allein da. Nein, stehen Sie nicht. Wir haben uns natürlich darüber Gedanken gemacht. Hilfe kann die eigene Familie geben, Freunde, andere Betroffene, die Kirchen, der Glaube an den auferstandenen Jesus Christus. Es gibt aber auch professionelle Hilfsangebote, an die wir verweisen können. So, zum Beispiel, Trauerbegleitung Maria Förster, oder die psychologische Beraterin Franziska Weitzmann. Beide aus Leipzig.
Ahoi: Was können Menschen aus dem Umfeld Betroffener tun? Diese wissen ja in der Regel auch nicht genau Bescheid.
Ronny Müller: Eine durchaus interessante Frage, die ich allein aus meinem Gefühl beantworten kann. Für eine fundierte Antwort fehlt mir das Fachwissen der zuvor genannten Damen. Ich denke, es ist wichtig und hilfreich, dem anderen Menschen Halt zu geben. Zu sagen, dass man angesprochen werden kann. Zu hinterfragen. Hilfe anzubieten. Darüber zu sprechen, dass es einen Erinnerungsort gibt, an den man auch gemeinsam gehen kann. Es ist möglich, dass ein Mensch auf den Verlust nicht angesprochen werden möchte. Hier hilft, vielleicht, sein Hilfsangebot zu einem anderen Zeitpunkt zu erneuern. Immer mit dem gebotenen Respekt und der nötigen Liebe und Menschlichkeit.
Ahoi: Danke, lieber Ronny, für Deine Zeit und Dein Engagement.
Ronny Müller: Vielen Dank für Deine Zeit und dass ich das Interview führen durfte.