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  • Interviews
Nicht besser oder schlechter, aber anders

Gespräch mit dem Autoren Konrad Diebler

Manchmal erhärtet sich der Eindruck, dass die Aktiven unterschiedlichster Altersstrukturen völlig aneinander vorbeireden. Vom Nichtzuhörenkönnen und -wollen ganz zu schweigen. Da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zur gesellschaftlichen Abwertung des jeweils Anderen. Konrad Diebler wirft mit seinem Buch über sein Leben genau dieses (Sein Leben) in die Diskussion. Und gibt zu Lesen. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit ihm:

Autor Konrad Diebler
Autor Konrad Diebler © Konrad Diebler privat

Ahoi: Guten Tag, Konrad Diebler. Ich durfte gerade das Buch "Kein Leben wie jedes andere. Zwischen den Stühlen" lesen, indem Sie Ihr Leben in all seinen Tranformationen und Wechseln beschreiben. Faszinierend. Nun ist es ja nicht der Normalzustand, dass Menschen ihre Lebensgeschichte und -einsichten offenlegen, ja für alle Menschen lesbar veröffentlichen. Was war der Grund bei Ihnen?

Diebler: Das 20. Jahrhundert hat wie kein anderes für die Bürger große gesellschaftliche Umbrüche gebracht. Die knappe Hälfte davon, von Ulbricht und Adenauer, von Kohl und Honecker bis zu Angela Merkel, habe auch ich diese aktiv mit erlebt.
Mein eigenes Leben an diesen Umbrüchen zu spiegeln war und ist Ziel dieses Buches.
Den Titel "Kein Leben wie jedes andere" hat mir meine Lektorin vorgeschlagen. Ich wollte mein Buch "Zwischen den Stühlen" betiteln, daraus wurde so der Untertitel.
Zwischen den Stühlen beschreibt in vielen Situationen und Entscheidungen mein Leben und Lebensgefühl.
Autobiographien und Lebensläufe werden größtenteils von bekannten Persönlichkeiten aus Politik, Kunst, Wissenschaft oder Sport geschrieben.
Ich will mit meinem Buch die Einsichten und Erlebnisse eines "einfachen Menschen" dagegensetzen.
Die Ereignisse 1989/1990 bedürfen m. M. nach einer differenzierteren Aufarbeitung. Wie konnte ein scheinbar übermächtiger Apparat der Staatssicherheit wie ein Kartenhaus zusammenfallen? Die SED, der ich selbst angehörte, nichts entgegensetzen, um "das Ruder nochmals rumzureißen". Kleine Episoden aus meinem Leben, wie die Bestätigung Studienaufnahme ohne Parteimitgliedschaft und die Weigerung, die Bezirksparteischule zu besuchen sind kleine Beispiele für die zwischenzeitliche Schwäche der Partei.

 

Ahoi: Sie beschreiben Ihre Geschichte, die ja die Geschichte eines DDR-Geborenen ist. Gerade die Sicht Hiergeborener scheint im großen Diskurs oft lächerlich gemacht zu werden. Wie wahrgenommen fühlen Sie sich in der derzeit geführten Debatte mit Ihren Erfahrungen?

Diebler: Zur Fragestellung Ost/West sozialisiert habe ich folgende Meinung - "Ost- und Westdeutsche sind nicht besser oder schlechter, aber anders". Die gesellschaftlichen Verhältnisse in beiden deutschen Staaten haben die Menschen unterschiedlich geprägt, andere Ansichten und Wertungen erzeugt.
Beispielhaft ist hier die Rolle der Frau im Arbeitsprozess, der Familie und der Gesellschaft überhaupt zu nennen.
Ich persönlich kann der aktuellen Diskussion "Die Leistungen der ostdeutschen Bevölkerung werden vom Westen nicht ausreichend wertgeschätzt" nicht zustimmen und nichts abgewinnen. Mangelndes Selbstvertrauen in das eigene Können ist nach meiner Meinung Grund dieser Stimmung großer Teile der ostdeutschen Bevölkerung.
In den 90-iger Jahren hatte ich aber auch viel Glück. Nachdem ich mich vom westdeutschen Arbeitgeber getrennt und als Makler selbständig gemacht hatte, saßen die Maklerbetreuer der großen Versicherer, fast ausschließlich Westdeutsche, vor meinem Schreibtisch und ich dahinter. Sie wollten etwas von mir, für mich eine angenehme Perspektive.
Natürlich verkenne ich nicht die Sorgen und Nöte der nach der Privatisierung durch die Treuhandanstalt arbeitslos gewordenen Menschen.

 

Ahoi: Es geht auch um Ihren Vater, der aus tiefster Armut mit seiner Hände Arbeit zu Wohlstand kam - ein sehr ambivalentes Verhältnis, welches Sie bis heute prägt. Was können Geschichten wie die Ihre beitragen in einer Demokratie?

Diebler: Die Frage, ambivalentes Verhältnis zum Vater und Beitrag daraus für die Entwicklung der Demokratie, kann ich schwer unter einen Hut bringen.
Die besonders hohe Erwartungshaltung ehrgeiziger, erfolgreicher Väter an ihre Söhne ist gar nicht selten.
Ich habe mal den Satz gehört: "Schwere Zeiten bringen starke Menschen hervor und gute Zeiten bringen schwache Menschen hervor". Was hier für die Gesellschaft gesagt wird, gilt sinngemäß auch für die Verhältnisse innerhalb der Familie.

 

Ahoi: Sie haben unterschiedliche Systeme erlebt, können differenziert reflektieren - äußern sich auch zu den finsteren Momenten der DDR-Geschichte, vor denen viele heute Aktive gern die Augen verschließen. Wie sind die Reaktionen aufs Buch? Gab es schon negative Aktionen?

Diebler: Negative Reaktionen zu Aussagen in meinem Buch habe ich noch nicht vernommen.

 

Ahoi: Ihre Ehrlichkeit ehrt Sie - das Thema bipolare Störung sowie die Themen Depression und Manie legen Sie ebenfalls offen. Wie geht Ihr Umfeld damit um?

Diebler: Von Anfang an ging ich mit meiner Depression offen um. Für mich ist dies die beste Möglichkeit, mit der Krankheit zu leben. Ärztliche Hilfe ist möglich und notwendig, aber nur wenn man sich ihr stellt. Neben den Betroffenen leiden auch die Familienangehörigen. Ihnen schuldet man, sich um eine Behandlung zu kümmern und nicht in Selbstmitleid zu vergraben.
Die Reaktionen auf diesen Teil sind sehr verhalten. Wenige habe mir gesagt oder geschrieben, "mutig, dass du so offen darüber schreibst", der Rest ist großes Schweigen.

 

Ahoi: Das Buch erschien im Engelsdorfer Verlag. Warum gerade dort?

Diebler: Herrn Hemmann, den Verlagsleiter vom Engelsdorfer Verlag, hatte ich vor einigen Jahren persönlich auf der Leipziger Buchmesse kennengelernt. Weiterhin empfahl mir meine Lektorin, beim Engelsdorfer Verlag anzufragen. Die Zusage erfolgte schnell und die Zusammenarbeit gestaltete sich positiv.

 

Ahoi: Was wünschen Sie sich von Ihrer Leserschaft als Ergebnis der Lektüre des Buches?

Diebler: Zuhören, Respekt und Verständnis für andere Meinungen. Entwicklungen in beiden deutschen Staaten differenzierter wahrzunehmen. Den gedanklichen Austausch, zwischen den Generationen zu fördern.

 

Ahoi: Danke für Ihre Zeit und Ihre Offenheit.

Buch: Kein Leben wie jedes andere

www.engelsdorfer-verlag.de

 

Konrad Diebler

www.konrad-diebler.de

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