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Jede Lehrkraft ist ein Gewinn

Gespräch mit Anja Mitschke, Projektleiterin von „Lehrer*innen aufs Land“

Anja Mitschke © Lisa Ossowski I ZAROF GmbH

Der Bildungssektor krankt in Deutschland. Da hilft kein lamentieren. Da hilft nur: selbst anpacken. Anja Mitschke packt an und unterstützt Studierende, die gern als Lehrkräfte arbeiten wollen bei der Verkontaktung mit Schulen im Landkreis Nordsachsen. Denn – man mag es als Leipzigerin oder Leipziger kaum glauben – auch in Nordsachsen werden Lehrkräfte dringend gesucht. Ahoi-Redakteur Volly Tanner führte ein E-Mail-Interview mit ihr:

 

Ahoi: Guten Tag, Anja Mitschke. Du hast die Projektleitung bei „Lehrer*innen aufs Land“ inne. Hier agiert ihr für den Landkreis Nordsachsen, der ja schon hier um die Ecke in Schkeuditz beginnt. Welche Möglichkeiten bietet der Landkreis Nordsachsen für Lehrerinnen und Lehrer?

Anja Mitschke: Ich erlebe den Landkreis Nordsachsen als besonders engagiert, was das Thema Fachkräftegewinnung angeht. Dabei sind dem Landkreis und auch dem Landrat selbst junge Menschen und besonders angehende Lehrer*innen sehr wichtig.

Für angehende Lehrer*innen ist vor allem wichtig, dass die Schule, das heißt, ihr zukünftiger Arbeitspatz modern ausgestattet ist. Das kann der Landkreis Nordsachsen für alle Schularten auf jeden Fall bieten. Außerdem bestechen die hier ansässigen Schulen mit vergleichsweise kleinen Klassen. Das ermöglicht oft ein angenehmeres Arbeiten in der Klasse und ein besseres Klassenklima, da Lehrkräfte individuell auf die Schüler*innen eingehen können. Außerdem sehe ich im Landkreis Nordsachsen mehr Nähe zu den Eltern und Familien der Schüler*innen, was die Arbeit als Lehrer*in oftmals enorm vereinfacht.

Darüber hinaus kann der Landkreis mit seiner großartigen Lage in der Mitte Deutschlands glänzen. Die Wege von und nach Leipzig sind relativ kurz und der ÖPNV ist vergleichsweise gut ausgebaut.

 

Ahoi: Nun ist uns bewusst, dass der Mangel an Personal allerorten drückt, dass Lehrerinnen und Lehrer überall zu wenig sind. Wieso drängt es aber die jungen Leute hauptsächlich in urbane Räume??? Wie wollt ihr dieser Tendenz begegnen?

Anja Mitschke: Das Lehramtsstudium ist in Sachsen nur in den Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz möglich. Das heißt, fast alle Studierenden ziehen während des Studiums dort hin und bauen sich ihr komplettes soziales Umfeld und Leben auf. Ich finde es verständlich, dass viele das nach dem Studium gern erhalten wollen. 

Dem gegenüber steht, dass es für einen Berufseinstieg als Lehrer*in in Sachsen in den urbanen Gebieten (vor allem Stadt Leipzig und Dresden) knapp wird – je nach Schulart gibt es hier kaum bis keine Einstiegschancen. Diese Tatsache müssen wir den Studierenden natürlich klarmachen und Alternativen aufzeigen. Wir setzen genau da an und unterstützen Studierende dabei, sich schon im Studium außerhalb der Städte umzusehen und Schulen praktisch kennenzulernen. 

In späteren Lebensabschnitten wird es dann wieder attraktiver, in ländliche Gebiete umzuziehen und Schulen auf dem Land können punkten. Auch hier möchten wir schon frühzeitig den Landkreis Nordsachsen ins Gespräch bringen und ganz vorn positionieren.

Darüber hinaus sehen wir das Projekt auch im sächsischen Zusammenhang: Jede Lehrkraft, die dem Freistaat erhalten bleibt, ist ein Gewinn. Deshalb betreiben wir intensive Netzwerkarbeit und versuchen auch, Studierende generell für Schulen im ländlichen Raum zu öffnen.

 

Ahoi: Ihr agiert auch im Interesse der „Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger“. Auch hier gibt es innerhalb der Gesellschaft Diskussionen. Wie ist denn das Procedere für Interessenten?

Anja Mitschke: Vorab: In Sachsen werden auch in den nächsten Jahren viele grundständig ausgebildete Lehrkräfte fehlen. Daher sind Seiteneinsteiger*innen unverzichtbar.  

Der Prozess für Seiteneinsteiger*innen ist in Sachsen ganz klar geregelt: Als Grundvoraussetzung gilt immer ein Hochschulstudium an einer Universität, Kunst- oder Fachhochschule, das mit einem Master, Magister oder Diplom abgeschlossen wurde. Je nach Voraussetzung (z. B. welche Fächer vorab studiert wurden) dauert die Qualifizierung als Lehrkraft dann zwischen 12 Monaten und 5 Jahren.

Für den Seiteneinstieg wird man von Beginn an einer Schule als feste Lehrkraft zugeordnet. Nach einer 3-monatigen Einstiegsfortbildung geht es dort direkt mit dem Unterricht los. Parallel erfolgt an ein bis zwei Tagen in der Woche eine berufsbegleitende Qualifizierung (wissenschaftlich und schulpraktisch). Bewerber*innen sollten also eine große Portion Durchhaltevermögen und Motivation für diesen Weg mitbringen. Er lohnt sich aber auf jeden Fall! Seiteneinsteiger*innen bringen mit ihrer Perspektive von außen einen Mehrwert für die Schulen und sind eine gern gesehene und große Unterstützung. 

Interessierte können sich direkt beim Landesamt für Schule und Bildung melden und sich dort beraten lassen (https://www.lasub.smk.sachsen.de/seiteneinstieg-4410.html) – oder bei einer unserer kostenlosen Exkursionen in den Schulalltag schnuppern.

 

Ahoi: Du arbeitest seit 3,5 Jahren als Projektmanagerin für die ZAROF. GmbH. Davor hast Du Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert. Wann und wie kommt Dir das Wissen aus Deinem Studium zunutze bei Deiner jetzigen Tätigkeit?

Anja Mitschke: In meiner Tätigkeit bei der ZAROF. GmbH nutze ich mein Wissen aus dem Studium vor allem in anderen Bereichen unseres Unternehmens. Hier bin ich in Projekten im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Für „Lehrer*innen aufs Land“ kommt mir vor allem zugute, dass ich gelernt habe, Netzwerke aufzubauen, Menschen zu motivieren und zu begeistern und zum Beispiel Gruppen anzuleiten.

Außerdem mag ich es persönlich sehr gern, mit Studierenden zu arbeiten und etwas wirklich Wertvolles für die Lehrernachwuchsgewinnung in Sachsen zu tun. „Lehrer*innen aufs Land“ ist hier mein Herzensprojekt.

 

Ahoi: Und was bietet ihr im Projekt jetzt wem ganz konkret an?

Anja Mitschke: Unsere Zielgruppe sind all jene, die Interesse haben, als Lehrkraft in Sachsen, speziell im Landkreis Nordsachsen, zu arbeiten. Dabei sprechen wir hauptsächlich Studierende der Universität Leipzig an. Für alle Interessierten bieten wir mit unseren Veranstaltungen einen konkreten Einblick in die Schulpraxis im Landkreis Nordsachsen an (siehe nächste Frage). 

In einigen Fällen bieten wir auch Einzelberatungen zu Möglichkeiten im Landkreis an und vermitteln die Interessierten an die richtigen Stellen im Schulsystem weiter. 

Außerdem sind wir auch Ansprechpersonen für die Schulen und unterstützen diese bei der Fachkräftegewinnung und zum Beispiel dabei, sich so vielen Studierenden und potenziellen Interessierten zu zeigen. Dazu machen wir im Projekt Öffentlichkeitsarbeit: Wir haben unsere eigene Website und sorgen auch an den Universitäten für eine Sichtbarkeit der Schulen des Landkreises.

 

Ahoi: Es gibt auch von euch initiierte Veranstaltungen. Kannst Du uns dazu etwas erzählen?

Anja Mitschke: Neben der Netzwerkarbeit sind unsere Veranstaltungen die Hauptarbeit im Projekt. 

Wir führen ca. drei- bis viermal mal im Jahr Exkursionen an nordsächsische Schulen durch und zeigen hier die Schule und das Kollegium ganz direkt. Die Teilnehmenden können im Unterricht hospitieren und sich dadurch ein gutes Bild von den Schulen und ihren Möglichkeiten dort machen.

Darüber hinaus bringen wir in anderen kleineren Veranstaltungen die Schulen aus dem Landkreis zu den Studierenden: Schulleitung oder Referendar*innen berichten über ihre Erfahrungen, Studierende können digital einen Schulrundgang machen oder sich neben ihrem Blockpraktikum an einer Schule mit Gleichgesinnten austauschen und damit weitere, potenzielle Schulen kennenlernen. Dafür bieten wir mit dem Projekt einen Rahmen. 

Die nächste Exkursion findet im Mai statt: Wir besuchen das Förderzentrum an der Promenade in Torgau. Interessierte sind herzlich eingeladen, uns zu begleiten. Informationen dazu gibt es hier: www.lehrerinnen-aufs-land.de/veranstaltungen

 

Ahoi: Das Projekt ist dringend notwendig, die Landkreise dürfen nicht ausbluten, wenn wir eine bewegliche Demokratie wollen und wenn diese wirklich im Interesse der Menschen in unserem Land agiert. Ist denn die Finanzierung gesichert? Und wenn ja – bis wann?

Anja Mitschke: Mit dem Landkreis Nordsachsen haben wir einen sehr engagierten Projektpartner an der Seite. Die Finanzierung unseres Projektes durch die Fachkräfteallianz des Landkreises Nordsachsen ist zunächst bis Dezember 2024 gesichert. Wir planen mit dem Landkreis Nordsachsen zusammen jedoch langfristig und hoffen, noch viele potenzielle Lehrkräfte für den Landkreis zu begeistern.

 

Ahoi: Danke, Anja, für Deine Zeit und Deine Antworten.

Das Projekt Lehrer*innen aufs Land im Netz:

www.lehrerinnen-aufs-land.de

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