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ZAROF.-Chefin Katrin Rieger im Interview

Fachkräftesicherung der Zukunft

In Leipzig gibt es mittlerweile knapp über 40.000 Studierende. Doch was wollen die, wenn das Studium zu Ende ist? Arbeiten! Und die Firmen in der Region Leipzig suchen nach Fachkräften. Diese beiden Seiten der Medaille zusammen zu bringen und dabei mit wirklichen Informationen zu arbeiten, ist Ziel der ZAROF. GmbH und ihrer Chefin Katrin Rieger. Ahoi-Redakteur Volly Tanner unterhielt sich mit ihr über die neueste Studie zum Thema Fachkräftesicherung – auch in Zeiten von Corona.

ZAROF.-Chefin Katrin Rieger im Garten der Geschäftsstelle in der Moschelesstraße © Christiane Eisler

Guten Tag, Frau Rieger. Sie sind die geschäftsführende Gesellschafterin der ZAROF. GmbH, die gerade mit der Studie „Chancen und Risiken der Fachkräftesicherung durch Corona in der Region Leipzig“ für Aufsehen sorgt. Was war denn die Grundannahme, welche zur Studie führte?

Vorab noch ein Wort zu ZAROF.? Wir stammen nicht wie oft vermutet von russischen Zaren ab, sondern haben unser Unternehmen vor nunmehr 25 Jahren in Leipzig als „Zentrum für Arbeits-, und Organisationsforschung“ gegründet, inmitten der turbulenten „Wende“-Zeiten, als junge Absolventen Leipziger Hochschulen. Wir wollten wissen, wie gesellschaftliche Transformation geschieht und mit unseren Erkenntnissen in der Arbeitswelt praktisch als Organisationsberater wirksam werden. Das ist auch heute aktuell. Die Themen haben sich geändert; demografischer Wandel, Digitalisierung, New Work sind nur einige Stichworte.

Und da sind wir auch schon beim Thema: Fachkräftesicherung als Folge des demografischen Wandels. Fakt ist, wir werden weniger, älter und ein bisschen bunter. Fakt ist auch, dass wir künftig nicht mehr alle Arbeitsplätze besetzen können, die es braucht, um die Wirtschaft und das öffentliche Leben zukunftsfähig zu machen. Daher ist das Thema Fachkräftesicherung höchst brisant.

Und dann kommt Corona. Was heißt das für die künftige Fachkräftesicherung? Sind die prognostizierten Bedarfe noch aktuell oder wird es durch den Einbruch in der Wirtschaft zu Entlassungen und Einstellungsstopps kommen? Wenn dennoch eingestellt wird, wie geschieht das, wenn Bewerbungsprozesse nicht in Präsenz ablaufen können? Wie steht es um den Nachwuchs – die Azubis und Absolventen der Hochschulen? Ist es überhaupt noch wichtig, als Arbeitgeber attraktiv für die Mitarbeitenden zu sein? Mit unserer Studie wollten wir Antworten finden auf diese Fragen.

Unsere Grundannahme: Es gibt einen deutlichen Wandel – das Fachkräfteangebot steigt, der Bedarf kann besser gedeckt werden. Mitarbeiterbindung verliert unter der veränderten Arbeitsmarktlage an Bedeutung. Ich mach es kurz: Diese Grundannahme hat sich (noch) nicht bestätigt. Staatliche Unterstützungen, Kurzarbeitergeld und andere Maßnahmen federn ab.

Wie wurde die Studie – unter Coronabedingungen – durchgeführt?

Wir haben im Juli und August 2020 eigene empirische Erhebungen durchgeführt, in dem wir Unternehmen in unserer Region Leipzig; also in der Stadt Leipzig, im Landkreis Leipzig und im Landkreis Nordsachsen befragt haben. Die Befragung lief als online-Befragung und wir haben Interviews mit Geschäftsführern bzw. Personalverantwortlichen durchgeführt. Diese konnten schon mal bis zu 45 Minuten dauern; wegen Corona am Telefon. Letztlich sind die Ergebnisse der Fragebögen und Interviews von 60 Unternehmen in die Studie eingeflossen.

Und welche Ergebnisse brachte die Studie?

Hier die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick.

Zur Fachkräftesituation:
Die befragten Unternehmen sind sich einig: Es bleibt generell schwierig, die passenden Fachkräfte zu finden. Das geben 94% der Unternehmen an. Über zwei Drittel der Unternehmen sind außerdem davon überzeugt, dass sich durch die veränderte Arbeitsmarktlage Chancen ergeben könnten, auch Quereinsteiger einzustellen. Für ein Drittel der Unternehmen bleibt alles wie bisher. Allerdings sagt jedes zweite Unternehmen zur aktuellen Personalsituation: „Es ist ernst, aber nicht hoffnungslos“.

Die Top 3 Herausforderungen durch Corona werden im Umgang mit Verunsicherung, Angst und Stress (Platz 1), Umstellung auf digitale Arbeitsweisen (Platz 2) und Führung auf Distanz und Arbeiten im Homeoffice (Platz 3) gesehen.

Zur Fachkräftegewinnung:
Gesucht werden weiterhin erfahrene Berufstätige und sogenannte Rückkehrer. Interessant ist, dass internationale Fachkräfte als Zielgruppe (noch) eine absolut untergeordnete Rolle spielen. Rekrutiert wird hauptsächlich digital; bis hin zum online- Bewerbungsgespräch. Wer sich da als Unternehmen gut aufgestellt hat, hat anderen gegenüber echte Vorteile.

Zur Nachwuchsgewinnung:
Zwei von drei Unternehmen geben an, dass es künftig schwieriger wird, Nachwuchs zu gewinnen. Es wird zwar schon einiges getan, um z. B. eng mit Schulen und Hochschulen zusammen zu arbeiten, aber da gibt es noch eine Reihe ungenutzter Potenziale.

Zum Thema „Attraktiver Arbeitgeber“:
Die Unternehmen sind der Auffassung, dass Mitarbeiterbindung nach wie vor sehr wichtig bleibt. Gute Führung und Möglichkeiten für flexibles Arbeiten stehen ganz oben. Besonders ausbaufähig sind Maßnahmen zum Gesundheitsmanagement und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Befragt nach den Zukunftsthemen steht neben der wirtschaftlichen Sicherung des Unternehmens die Sicherung des Zusammenhaltes in der Belegschaft ganz oben. Das geht einher mit guter Führung und der Offenheit, Lerneffekte durch die Corona-Situation für die künftige Unternehmensentwicklung zu nutzen.

Hat Corona eigentlich das Thema Fachkräftemangel beeinflusst? Derzeit scheint es ja zu einer Verschiebung der Wirkungen zu kommen – leider nur zeitlich …

Derzeit sehen wir tatsächlich keine signifikante Veränderung zum Thema Fachkräftemangel durch Corona. Wir gehen jedoch davon aus, dass dies durch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld begründet ist. Die verabschiedete Verlängerung bis ins nächste Jahr wird einiges abfedern helfen. Was den Nachwuchs betrifft, erwarten wir kaum Veränderungen. Corona hat ja keinen Einfluss darauf, wieviel Azubis bzw. Studierende für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bei den Studierenden kann es jedoch zu zeitlichen Verzögerungen durch den späteren Studienabschluss kommen.

Und wurden Sie selber auch überrascht vom Ergebnis der Studie?

Ja, wir wurden tatsächlich überrascht, denn unsere Grundannahmen waren andere wie oben bereits erläutert. Aber schauen wir mal, was da noch so kommt.

Neben dieser Studie arbeiten Sie auch an der Umsetzung der „Fachkräftestrategie 2030“ im Freistaat Sachsen mit. Was ist das denn eigentlich und wer sind da die Auftraggeber?

Die Fachkräftestrategie beschreibt den künftigen Bedarf an Fachkräften und vielfältige Möglichkeiten, wie dieser gedeckt werden kann. Ein Thema ist der Nachwuchs in der Berufsausbildung und der akademischen Ausbildung an den sächsischen Hochschulen. Gerade was die akademische Ausbildung betrifft, ist Sachsen ein sehr attraktiver Studienstandort. Schätzen Sie mal, wieviel Studierende in Sachsen nach dem Studium in Sachsen in den Beruf einsteigen? Es sind nur 46%. Das wollen wir ändern.

Gemeinsam mit den Leipziger Hochschulen und Partnern in Dresden und Chemnitz setzen wir dazu im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit in der Region Leipzig die Initiative „TalentTransfer“ um. Mit besonderem Fokus auf die Landkreise haben wir die Initiative „Quer denken: Hochschule trifft auf regionale Wirtschaft“ (Name nicht zu verwechseln!!!) entwickelt. In diesen Initiativen wollen wir die regionalen Unternehmen bei den Studierenden sichtbarer sowie den Berufseinstieg erlebbarer und attraktiver machen. Wir merken, dass die Erwartungen aneinander teilweise ziemlich weit auseinander gehen und dass es viel Kommunikation und Gestaltung braucht, um zueinander zu kommen. Da verstehen wir uns auch als Brückenbauer zwischen Studierenden und Unternehmen.

Dafür wurde eine Fachkräfteallianz geschmiedet – wie ich erfuhr. Wer ist denn da mit im Boot, was macht diese Allianz und wie agiert diese?

Die Fachkräfteallianz ist ein Zusammenschluss aller wichtigen Arbeitsmarktakteure wie z.B. Vertreter der Wirtschaft, Kammern und Verbände, Agentur für Arbeit, Gewerkschaften und kommunale Spitzenverbände unter Federführung des Sächsischen Ministeriums für Wirtschaft auf der Ebene des Freistaates. Die Allianz berät die Regierung und hilft, die „Fachstrategie 2030“ umzusetzen. Das Internetportal www.heimat-fuer-fachkraefte.de ist ein praktisches Beispiel der Arbeit. Fachkräfteallianzen gibt es auch in den Landkreisen und den kreisfreien Städten Leipzig, Chemnitz und Dresden.

Was sind denn die Wünsche der Studierenden an ihre späteren Arbeitgeber?

Da ist natürlich jeder individuell. Was wir aber im Rahmen einer Umfrage unter Studierenden der Universität Leipzig und der HTWK Leipzig 2019 herausgefunden haben, ist, dass Studierenden das eigenständige Arbeiten am wichtigsten ist, direkt gefolgt vom guten Verhältnis zum Vorgesetzten. Auf Platz drei finden wir dann schon ein gutes Gehalt und Verdienstmöglichkeiten.

In unserer Zusammenarbeit mit Studierenden haben wir allerdings den Eindruck, dass das Gehalt zwar wichtig, aber nicht der ausschlaggebende Faktor für die Wahl des Arbeitgebers ist. Die Studierenden wünschen sich Arbeitgeber, die ihr Unternehmensziel mit Herzblut verfolgen, auf Chancengleichheit und Diversität in Teams und auf gute Führung achten, flexible Arbeitszeiten bzw. die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen und für einen guten Onboarding-Prozess sorgen. Eine gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV ist besonders im ländlichen Raum auch enorm wichtig.

Und welche Wünsche und Vorstellungen haben die Firmen an ihren Nachwuchs?

Für Unternehmen ist entscheidend, wie viel praktische Erfahrungen und praxisorientiertes Denken die Studierenden mitbringen. Hier zahlt sich aus, wenn Hochschulen viel Praxis im Studium möglich machen. Die Unternehmen brauchen Fachkräfte, die mit-, und vordenken, aber auch anpacken – gerade deshalb sind praktische Erfahrungen auch neben dem Studium besonders wichtig für den Berufseinstieg in die Wirtschaft.

Ein weiterer Trend, der sich abzeichnet, ist, dass die Persönlichkeit des Nachwuchses und die Herangehensweise an den Job immer wichtiger werden, gerade im Verhältnis zum Lebenslauf. Bedeutet also konkret: Die „Hard Skills“ sind weiterhin wichtig, aber die Begeisterung für die Tätigkeit, selbstständiges Arbeiten, gute Softskills und Teamfähigkeit werden den Unternehmen immer wichtiger. Und: Unternehmen möchten weniger Zeit in Onboarding-Prozesse investieren.

Welche Lösungen, um diese Diskrepanz zu überbrücken, schlagen Sie nun aus Ihrer Sicht vor?

Da ist ein Aufeinander zugehen „auf der Brücke“ zwischen Studierenden und Unternehmen wichtig; gut zuhören ist wichtig, um herauszufinden, welche Erwartungen es aneinander gibt und eine große Offenheit. Wer nur von den jeweils anderen erwartet was einem selbst wichtig ist, findet eben nicht zueinander. Für die Studierenden sollte es meiner Ansicht nach noch viel mehr Möglichkeiten geben, bereits während des Studiums Einblicke in die Berufswelt zu erhalten – daran arbeiten wir mit.

Sie sind ja im Gespräch mit vielen Beteiligten – sind diese offen?

Ja, die Unternehmen, mit denen wir sprechen und in den Initiativen zusammenarbeiten, sind offen für Neues und Anderes; reflektieren ihre Arbeit und Einstellungen und überlegen sehr genau, was sie tun können. Authentisch bleiben und innovativ sein – das scheinen hier die Zauberworte zu sein. Die Studierenden, mit denen wir arbeiten, sind neugierig und oft sehr überrascht, welche spannenden Unternehmen es direkt vor der Hochschultür gibt!

Es geht ja im weitesten – aber auch engem – Sinne, um Kommunikation, in Richtung der akademischen Fachkräfte. Welche Wege sind denn da erfolgreich?

Ja, das ist die Frage der Fragen, wenn es um die Erreichbarkeit geht. Es sind mehr die Kanäle des online-Marketing bzw. Social Media. Instagram steht da ganz vorn; aber auch LinkedIn oder Xing. Facebook ist gerade nicht mehr so hoch im Kurs. Gute Erfahrungen haben wir auch mit interaktiven Online-Formaten gemacht wie Web–Konferenzen und Austauschplattformen. Aber auch die persönliche Kommunikation ist sehr, sehr wichtig. Persönliche Gespräche auf dem Campus, lockere Gespräche mit eher informellem Charakter aber auch Kontakte auf Messen sind passend.

Danke, liebe Frau Rieger, für Ihre Antworten.

Die Fachkräfte-Studie der ZAROF. GmbH zum Download: 

www.zarof-gmbh.de/fachkraeftestudie

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