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Interview: Leipziger Kultur-Urgestein Paul Kuhn

„Eitelkeit ist fehl am Platze“

Paul Kuhn ist fest mit dem "Theater der Jungen Welt" verbunden © Volly Tanner

Leipziger, die mit Kultur, mit Theater – vor allem dem Leipziger Theater der Jungen Welt –, oder (Schlager-) Musik zu tun haben, kennen Paul Kuhn. Und damit ist jener Paul Kuhn gemeint, der am 1. April unter diesem Künstlernamen sein 35. Bühnenjubiläum feiert – inklusive Travestie. Davon, von den Anfängen, steinernen Kampfgruppen, der deutschen Sprache und seiner Liebe zum Theater erzählt er Ahoi-Redakteur Volly Tanner.

Ahoi: Hossa, Paul Kuhn – das ist doch ein Künstlername, oder? Ich meine, da gibts doch einen anderen Paul Kuhn mit dem „Mann am Klavier“ ….

Ja, mein Künstlername ist Paul Kuhn, in der U-Kunst Paula. Noch heute werde ich ab und zu erkannt und so angesprochen, obwohl es Paula i.R. seit vier Jahren nicht mehr gibt. Eigentlich Matthias, aber das sagen nur Familie und gute Freunde.

 

Ahoi: Du feierst am 1. April 35 Jahre Bühne, heißt, du bist 1986 auf die Bretter gekommen. Da war ja noch DDR. Erzähl doch mal bitte von Deinen Anfängen.

Dienstag, 1. April 1986 um 11:52 Uhr habe ich das „Theater der Jungen Welt“, damals noch als Bühnentechniker, den „Weißen Saal“ am Zoo (war die ehemalige Spielstätte des TdjW – Anmerkung der Red.) über den Bühneneingang betreten. 12 Uhr erster Dienst und 16 Uhr erste Vorstellung „Feuervogel und Rotfuchs“ (mit einer Pappe auf der Seitenbühne wedelnd, damit sich die Vorhänge in den Schlossfenstern im Wind bewegten). Das war meine überhaupt erste Aufgabe auf einer Bühne.

1989 brannte an Goethes 240. Geburtstag der „Weiße Saal“ ab. Dann ging es auf Odysee - mehrere Spielorte in Leipzig wurden kurzzeitige Spielstätten. Seit 1995 bin ich Inspizient. Nun sind 35 Jahre ins 1990 gewachsene Land gegangen und ich immer noch dabei. Seit Herbst 2003 hat das TDJW seinen festen Sitz und Heimat am Lindenauer Markt, genau wie ich.

Die Zahl meiner Premieren kann ich nur schätzen, aber mehr als 300 waren es mit Sicherheit. Unzählige Gastspiele von Tel Aviv bis Wurzen begleitete ich. Bin nunmehr der dienstälteste Mitarbeiter, aber nicht der älteste!!! In all den Jahren ist nun eine neue Generation Theatermitarbeiter nachgewachsen. Die meisten sind weit jünger und ich nehme sie gern mit auf die Reise, als Mentor und Kollege. 2019 wurde ich auch noch Initiator des bundesweiten „Tag des Inspizienten“, welcher sich jährlich am 23. Mai wiederholt.

 

Ahoi: Und Deine schauspielerische Karriere?

Viele kennen mich eher als Busfahrer und Maskottchen des Theaters. Im Theater ist man als Inspizient eher unsichtbar fürs Publikum. Kleine Rollen hab ich früher aber trotzdem gern gespielt, wenn es mit dem Inspizieren vereinbar war. In „Robin Hood“ z.B. war ich ein durchs Gebüsch brechender Hirsch, der röhrend über die Bühne kreiste, ehrlich, ich sah aus wie eine mutierte Bockwurst mit einem Hirschkopf. Eitelkeit war da fehl am Platz. Ganz anders in „Herzklopfen kostenlos", einer Puppenrevue für Erwachsene, hier war ich das Nummerngirl. In dieser Figur baute ich zwischen den Darbietungen um, reichte Requisiten zu und sollte ansonsten einfach nur umwerfend aussehen. Konnte dargestellt werden!

In der aktuellen Situation finden unsere Vorstellungen digital statt und Proben laufen für „Gordon und Tapir" und „Sherlock Holmes hört auf". Und nun ein weit vorausgeschauter Tipp ist unser Sommertheaterangebot. Was wir da für Euch spielen werden, bleibt eine Überraschung. Eins kann ich aber verraten: Regisseurin Ania Michaelis („Hamlet“ oder „Die Verwandlung") inszeniert, und das garantiert, sehr gutes Theater! Nur dauert es noch etwas.

In Coronazeiten habe ich u.a. das Archiv von 1946 bis heute neu sortiert und vervollständigt. Im Moment läuft im Theater das Stück „Die Inventur“ und der Hauptdarsteller Paul zählt Möbel, Lampen, elektrische Geräte u.s.w. Eine verantwortungsvolle Aufgabe und mit dem Sohn eines Mathematikers perfekt besetzt. (Kuhn schmunzelt über seinen eigenen Gag)

Ahoi: Wieviel Platz nimmt Paula Kuhn in deinem Leben ein?

Travestie begann im Oktober 1987. Als Künstlerchauffeur für Freunde fuhr ich selbige zu deren Auftritten und danach wieder zurück und dachte mir beim Zusehen: das bekomme ich auch hin, wenn nicht gar besser. Perücken, Schminkutensilien und Kostümteile bekam ich teilweise aus dem Westen. Alles andere entstand mit viel Improvisation nebenher. Ebenso musste tanzen, Synchronsingen und laufen in Absatzschuhen gelernt werden.

Das Paula-Debut fand vor der obersten Riege der Kampfgruppen in Halle statt. Ca. 40 humorfreie Genossen verfolgten meinen Auftritt ohne jegliche Reaktion. Ein harter Einstieg. Trotzdem hielt die Erfolgsgeschichte bis Anfang 2017. Dann war Schluss. Größte Erfolge waren Nana Mouskouri, Tina Turner und Amanda Lear. Das liebten die Leute. Heute ist Paula eine schöne Erinnerung, auf die ich gern zurückschaue.

Ahoi: Wo und mit wem bist du denn schon überall und wann aufgetreten und welche waren die größten Erfolge?

Mit wem trat ich auf? Ich war oft in Programmen mit vielen Kollegen zu erleben, aber im Duett auftreten – nein! Ich teile gern, aber nicht auf der Bühne. Nur mit meiner Ex-Frau trat ich einmal im Duett auf, sie war Al Bano und ich Romina Power – Felicita! Nebenbei: Bisweilen drehte ich u.a. im „Polizeiruf 110“, „In aller Freundschaft“ und zwei Spielfilme.

 

Ahoi: Bühnenmensch zu sein ist ja nur eine Seite des Menschseins. Wie ist Paul Kuhn privat? Ein zurückgezogen lebender Erbeerenzüchter? Erzähl doch mal bitte...

Ich bin kein zurückgezogener Erdbeerpflücker, aber sehr gern allein und das mit einer Schale Erdbeeren. Sport zählt nicht zu meinen größten Leidenschaften, aber Wandern ist Entspannung pur, egal ob in Leipzig oder meiner thüringischen Heimat. Es gibt sogar eine kleine „Wandergruppe Lindenau" (Mitgliederzahl: 4). Außerdem koche ich gern, was man leider auch sieht! Miniaturfotographie, Biographien berühmter Persönlichkeiten, Stadtgeschichte, Rollerfahren und die Liebe zur Natur (klingt abgedroschen ist aber so) gehören auch zu beliebten Aktivitäten außerhalb des Theaters.

Unsere Sprache ist mir ebenfalls sehr wichtig. Es ist schon zu einem richtigen Sport geworden in Gesprächen auf Anglizismen zu verzichten, auch auf die Gefahr hin, unverstanden zu bleiben. Außerdem bin ich ein bekennender Schlagerfuzzi. Ich stehe dazu, ein Verehrer dieser doch heutzutage eher belächelten Musikrichtung zu sein. Ich liebe es, die Texte zu verstehen, welche in harmonische Melodie gebettet sind und zum Mitsingen einladen. Beiseit: Bei englischsprachigen Liedern bleibt mir der Inhalt oft verborgen (manchmal auch besser).

Schlager durchzieht mein Leben wie ein roter Faden. Einige Schlagersänger und Schlagersängerinnen gehören zu meinem engeren Freundeskreis. Leider sieht man sich in diesen Zeiten selten, da es ja keine Veranstaltungen gibt. Aber es keimt Hoffnung und es wird besser. Drücken wir die Daumen das wir uns bald wieder im TDJW sehen können, also ihr seht mich ja nicht – aber versteht mich, ja?

 

Ahoi: Was wünschst du dir für die nächsten 35 Jahre – und komm mir bitte nicht mit Altwerden. Johannes Heesters hats noch viel länger gerockt.

Der Wunsch für die nächsten 35 Jahre: Gesundbleiben und am Ende dieser Frist feiere ich meinen 80.! Dann mache ich den Flugschein, lerne Japanisch und Rechnen, höre auf zu rauchen und möchte an der deutschen Rollatorrallye 2056 teilnehmen. Eine Idee trage ich noch im Herzen: eine Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum: „Theater in Leipzig“! Von den Anfängen bis heute, oder von der Gasbeleuchtung bis zum Digitalpult. Das Leben bleibt zweifelsohne spannend, auch wenn nicht mehr alles spannt wie in der Jugend. (lächel - nicht smile)

 

Ahoi: Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

Paul Kuhn

Inspizient und guter Geist des Hauses im "Theater der Jungen Welt"
Lindenauer Markt 21

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