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Musiker und Autor Dirk Zöllner im Interview

„...ein wenig ruhiger und weiser“

Dirk Zöllner, Berliner Musiker und Autor, ist seit Anbeginn der Zeit ein viel- und gerngesehener Gast in Leipzig. Er spielt – in unterschiedlichsten Koalitionen – auf den unterschiedlichsten hiesigen Bühne Lebensfreude, Funk und Liebe unter die Menschen. Ende der Achtziger durfte er sogar dem Großmeister des Funks, James Brown, die Bühne vorwärmen. Der Ahoi gab er ein zutiefst persönliches Interview, schließlich verbinden ihn mit unserer Stadt auch Freunde. Ahoi-Redakteur Volly Tanner bohrte nach.

Musiker Dirk Zöllner (3. v. l.) mit Kollegen Norman Daßler, Tino Standhaft und André Drechsler am Tresen der Welt. © Johanna Bergmann

Ahoi: Im September warst du zweimal im Krystallpalast Varieté Leipzig zu Gast, hattest den guten André Drechsler dabei und Tino Standhaft und Norman Daßler mit auf der Bühne. Die Abende waren so erfolgreich, dass es sogar die Spatzen von den Dächern sangen. Gibt es eine Wiederholung des Fantastischen Vierlings?

Die erste Begegnung in dieser Konstellation hat schon im Frühsommer 2019 stattgefunden, die Idee dazu hatte Frank Oberhof, der Pate des Leipziger Kunstvereins „Die Liedertour“. Es folgte dann tatsächlich eine kleine gemeinsame Tour, die allen Beteiligten so große Freude bereitete, dass wir im Mai dieses Jahres weitermachen wollten. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen.

Die beiden Konzerte im September 2020 waren Nachholtermine. Es hat wieder unglaublichen Spaß gemacht und wir sind heiß und die Veranstalter anscheinend auch. Eigentlich wollten sie sofort nachlegen, aber ich spielte im Oktober und November auch noch im ANKER, meinem Leipziger Wohnzimmer, und das wäre sich in die Quere gekommen. Ich fühle mich dem Anker und seiner Crew verpflichtet, sie arbeiten seit vielen Jahren in Fairness und Freundschaft mit der Zöllnerbande zusammen. So wird es nun erstmal am 25. Januar 2021 eine Fortsetzung von Drechsler, Daßler, Standhaft & Zöllner im Krystallpalast geben.

Ahoi: Woher kennst du eigentlich Tino und Norman – aus Leipzig – ganz genau?

Tino kenne ich schon sehr lange aus der Ferne. Anfang der 90er hat er in Berlin gelebt und eine Zeitlang mit meinem Freund André Herzberg von PANKOW Musik gemacht. Dort habe ich ihn auch zum ersten Mal etwas näher kennengelernt. Und ich kenne und schätze die Standhaft-Alben und habe seine wirklich hervorragenden Interpretationen von Neil Young und den Stones im Konzert gesehen. Das ist mehr als irgendein Cover-Scheiß – Tino Standhaft ist ein Original. Zur richtigen Begegnung kam es aber tatsächlich erst im letzten Jahr.

Norman Daßler kenne ich schon seit über sechs Jahre ziemlich gut. Er lebt mit Shir-Ran Yinnon, einer hochtalentierten Geigerin, Bratschistin, Komponistin und Arrangeurin zusammen, die mit mir 2013 auf Israeltour war und mit der ich 2015 das klassische ENSEMBLE MELANCHOLIA gründete, wo auch Norman punktuell mitwirkte. Wir hatten danach einige sporadische musikalische Begegnungen - sowohl seine Virtuosität als auch seine menschliche Größe, weiß ich über alles wertzuschätzen.

Ahoi: Der Krystallpalast ist eine wirklich fantastische Lokation. Er ist unter Peter Matzke auch zu einem Rock-El-Dorado geworden – hier spielten ja auch schon die mittlerweile erwachsen gewordenen Jungs von Rockhaus. Kannst du uns etwas zu deinen Gefühlen im Varieté erzählen?

Ja. Ein optischer Leckerbissen. Eine Filmkulisse, wie aus den 20er Jahren im vorigen Jahrhundert und im Herzen von Leipzig… man könnte sich fast verlieben, wenn man nicht schon so gut und fest liiert wäre!

Ahoi: Gefühle sind ein großes Thema bei dir, lieber Dirk. Dein drittes Buch „Herzkasper“ ist gerade herausgekommen und ein Zwiegespräch mit deinem Herzen (welches etwas berlinert). Hörst du ihm oft genug zu?

Früher habe ich das Herz manchmal ein wenig vernachlässigt, aber dann habe ich es irgendwo zwischen dem Kopf und dem Lendenbereich entdeckt. Ja, die Verkopfungen und Verzettelungen haben nun – im fortgeschrittenen Alter – nachgelassen und ich bin eine Symbiose mit meinem Herzen eingegangen. Es berlinert nun kaum noch!

Ahoi: Deine literarische Entwicklung zwischen Buch eins und drei ist extrem. Da liegen Welten dazwischen. Mittlerweile ist dein Stil herausragend unterhaltsam und sicher. Das fasziniert mich. Hast du dich beraten lassen oder kam das alles einfach durchs Tun? Wie hast du dich literarisch zum jetzigen Punkt hin entwickelt?

Ist das so? Oh, wenn du jetzt vor mir stehen würdest, müsste ich die Abstandregelungen missachten und dich von oben bis unten abknutschen. Mal im Ernst, es freut mich wirklich sehr, dass du es so empfindest und es hat mir so auch noch keiner gesagt. Von Gisela Steineckert bekam ich nach dem Erscheinen meiner Biografie „Die fernen Inseln des Glücks“ ein Kompliment. Ich war überrascht, denn wir kannten uns bis dato gar nicht persönlich. Und Tim Hofmann, der Kulturchef der Freien Presse schrieb sogar, dass es für ihn die beste Musikerbiografie sei, die er je gelesen hat. Das haut rein! Aber wenn du mir jetzt noch diese Motivation bescherst, lieber Volly, dann werde ich vielleicht eines Tages wirklich den Masochismus aufbringen, einen zusammenhängenden Roman zu schreiben.

Sowohl „Affenzahn“ als auch mein neues Buch „Herzkasper“ beinhalten zum Teil Kolumnen, die ich bereits für die Freie Presse geschrieben hatte. Beim Herzkasper ist es mir gelungen, einen ganz brauchbaren Rahmen zu basteln, der diese Kolumnen miteinander verbindet. Eben dieses Zwiegespräch mit meinem unterforderten Herzen.

Meistens schreibe ich auf der Autobahn, auf dem Weg zum Konzert. Corona hat die Situation ein wenig verändert, ich bin aus dem Hamsterrad gefallen und hatte auf einmal Zeit. Nicht nur für die Kinder, sondern sogar zum entspannten Schreiben. Ich will damit in all der mir zur Verfügung stehenden Bescheidenheit sagen, dass meine literarische Entwicklung vielleicht ein Vorteil der Pandemie ist. Einer der vielen Vorteile!

Ahoi: Corona hat die Veranstaltungs- und Kulturbranche völlig verändert. Noch im Februar tobte der Bär, die Raserei war vollends – und nun kämpfen so viele Aktive ums Überleben in ihrem Beruf. Gibt es Lösungen? Ich meine jetzt nicht einfach nur Zahlungen, um das Desaster herauszuschieben, sondern wirklich kreative Ansätze? Du bist da ja mittenmang – hast du Ideen?

Bei all den persönlichen Sorgen und Ängsten, die diese Situation für Künstler und Kunstarbeiter mit sich bringt, ist es doch eine kreative Zeit. Es findet eine Art Besinnung statt. Zumindest kenne ich kaum jemanden in meinem Umfeld, der wirklich Bock darauf hat, dass die alte Karre einfach wieder angeschmissen wird. Unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten ist absoluter Bullshit. Dieses kapitalistische Märchenbuch ist ausgelesen und es bedarf tatsächlich einer neuen Geschichte, die die Menschen miteinander verbindet.

Ich habe mir einige Gedanken dazu gemacht und im letzten Teil meines neuen Buches formuliert. Die Künstler, von denen frecherweise behauptet wird, dass sie nicht systemrelevant seien, sind überhaupt die einzigen, die in der Lage sind, diese neue Geschichte zu schreiben. Von einem Berufspolitiker, der seinen Wählern gefallen möchte, ist da keine Inspiration zu erwarten. Politische Entscheidungsträger sollten aus einem gewählten Pool hirn- und herzvoller Menschen ausgelost werden. Nur dann sind nachhaltige Entscheidungen im Interesse der Zukunft unserer Kinder zu erwarten.

Aber ich will nicht gleich so groß werden, sondern bei deiner Frage bleiben. Im Kleinen ist es aber ganz ähnlich. Die privaten Sender sind im Grunde genommen die Promoter der drei verbliebenen großen Majorlabel Sony, Warner und Universal. Und bei der Schlacht um die Einschaltquote agieren die öffentlich-rechtlichen Medien genauso wie Politiker. Sie rennen dem normierten Geschmack hinterher. Alles was außerhalb des Mainstreams liegt, wird für den Kunden als schwer verdaulich eingestuft. Die deutschen Medien müssten dazu verpflichtet werden, einen Querschnitt der nationalen Kunst zu reflektieren. Vielleicht durch eine Quotenregelung, wie in Frankreich? Die Sahnehäubchen der Musikindustrie können natürlich weiter von ihren Gema-Tantiemen existieren. Nur diejenigen, die landauf und landab von ihren Konzerten leben, sind natürlich gefickt und müssen nun staatliche Unterstützung annehmen. Wenn diese überhaupt in einer halbwegs würdigen Form zur Verfügung steht. Wir haben in Berlin echt Glück mit unserem Kultursenator Klaus Lederer.

Ahoi: Viele, viele Jahre warst du mit André Gensicke unterwegs (der ja auch gerade an der neuen Traumzauberbaum-Platte seinen Anteil hat). Nun sieht man dich öfter auf der Bühne mit André Drechsler (Jessica, Pankow). Gab es Stress? Was sind denn die Gründe für den Wandel?

André Gensicke ist nach wie vor mein musikalischer Hauptpartner, wir sind seit 33 Jahren miteinander verbunden und das wird sich auch nicht mehr ändern. Für „Die Zöllner“ in großer Besetzung, also mit Pauken und Trompeten, sieht es zurzeit natürlich schlecht aus. Bei den Abstandsregelungen rechnet sich das vorne und hinten nicht. Aber im Duo hatten André Gensicke und ich gerade erst sagenhafte zwölf Konzerte an der Ostsee. Ja, die kleinen Auftritte liefen in den letzten drei Monaten wieder ganz gut an. André Drechsler begleitet mich eigentlich nur bei den Lesungen, aber nicht nur auf der Gitarre, sondern er übernimmt eben auch die Rolle meines Berliner Herzens. Er hat ein komödiantisches Talent. Dass er auch noch in der Konstellation mit Tino Standhaft dabei ist, liegt am Konzept: vier Stühle, vier Gitarren, vier Stimmen! Und im Übrigen erstaunlicherweise eine Meinung!!! Bis jetzt.

Ahoi: Deine Tochter Rubini erzeugt mit ihrer Musik immer mehr Aufmerksamkeit. Jetzt gibt es auch wieder ein Stück, an dem du Anteil hast „Alles leuchtet“. Was ist das denn für ein Song? Wie du selber mal schriebst: nichts für Zöllnerpuristen.

Genau! Bei Die Zöllner arbeiten handwerklich sehr versierte Musiker ohne Netz und doppelten Boden. Musik der alten Schule. Da kann meine Tochter auch mitreden, auf dem letzten Zöllneralbum, den „Zack! Zack! Zessions“ von 2019 hat sie das eindrucksvoll unter Beweis gestellt und gemeinsam mit Anna-Marlene Bicking sehr anspruchsvolle Backgrounds eingesungen. Aber Rubini ist eben 30 Jahre jünger als ich und hat natürlich ein anderes musikalisches Umfeld. Davon kann ich profitieren, denn wir haben eine sehr starke Vater-Tochter-Bindung. „Alles leuchtet“ ist der Song zu meinem neuen Buch „Herzkasper“ und ich habe ihn mit Rubini und ihrem Produzenten Lars Hengmith aufgenommen. Mit vielen Effekten, wenig natürlichem Instrumentarium und Autotune. Meine Band wird es hassen!

Ahoi: Ich kenne dich auch als liebenden Vater mehrerer Kinder und liebenden Mann. Als Mann bist du – so scheint es – endlich angekommen. Deine Gemeinsamkeit mit deiner Frau hält schon richtig lange. Was machst du jetzt anders als in den Beziehungen davor? Es liegt ja nicht immer nur an der Partnerin, sondern auch oft an einem selber, wenn es kracht.

Ich bin mit Johanna Bergmann, einer Film- und Videokünstlerin, erst seit sieben Jahren zusammen und wir haben einen dreijährigen Sohn. Ludwig. Und nun klopfe ich dreimal auf Holz – ich will diese magische Zahl endlich mal überwinden. Denn meine anderen Beziehungen scheiterten immer nach diesem verflixten siebenten Jahr. Außer die mit der Mutter meines großen Sohnes Egon – der im Übrigen auch in meine Fußstapfen treten wird – mit dieser bin ich nur auf drei Jahre gekommen. Ich glaube es ist nicht einfach für eine Frau, mit einem Musiker zusammen zu sein. Aber wie schon erwähnt, mein Herz berlinert längst nicht mehr so stark, ich bin ein wenig ruhiger und weiser geworden.

Ahoi: Mit Leipzig verbinden dich viele Menschen: Frank Oberhof von der Liedertour, deine vielen Zusammenspiele mit dem Ex-Leipziger und Jetzt-Dresdner Francis D.D. String und andere … was ist Leipzig für dich? Klein-Köpenick?

Da gibt es auch noch meinen Prinzenfreund Sebastian Krumbiegel und nicht zu vergessen: Andreas Hähle! Ein Autor und Textdichter, mit dem ich eng zusammengearbeitet habe. Das Zöllneralbum „In Ewigkeit“ von 2015 ist unter seiner maßgeblichen Mithilfe entstanden. Im letzten Jahr wurde mein lieber Freund von diesem verdammten Arschloch Krebs hinweggerafft. Das hat mich ganz schön umgehauen. Ich werde Hähle nie vergessen und so lange ich lebe in Ehren halten. Leipzig ist für mich in der Tat eine besonders attraktive Stadt. Die Mitte Berlins ist mir viel zu voll und zu unpersönlich, deshalb wohne ich im südöstlichsten Winkel, im schönen dörflichen Köpenick. Ich hätte gern auch mal eine Zeit lang in Leipzig oder Dresden gelebt, aber ich bin an Berlin gebunden. Denn hier leben meine Kinder. Aber ich war trotz Corona schon sechsmal in diesem Jahr in Leipzig zu Gast. Und meinen Freund Frank Oberhof habe ich jedes Mal gesehen!

Danke, lieber Scholle.

Und ich danke mit fliegenden Fahnen zurück, lieber Volly! Mit deinem Kompliment über meine Tätigkeit als Schreiber hast du mir den Tag versüßt. Am Ende wechsle ich einfach den Beruf und bin in Krisenzeiten nie wieder auf staatliche Almosen angewiesen.

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