Es gibt Lieder, die Generationen fühlen lassen. „Lili Marleen“ ist solch ein Lied. Der in Leipzig geborene und mittlerweile in Hamburg aktive Johannes Kirchberg kann davon noch viele weitere Lieder singen. Und aufnehmen konnte er diese im Leipziger Kupfersaal. Kreise schließen sich. Ahoi-Redakteur Volly Tanner hakte ein und fragte nach:
Ahoi: Guten Tag, Johannes Kirchberg. Ich habe vorhin gerade Dein neues Album „Wie einst Lili Marleen – Eine Begegnung mit dem Dichter Hans Leip“ durchgehört. Ein feines Stück! Aber warum Hans Leip? Was verbindet Dich mit ihm?
Johannes Kirchberg: Vielen Dank für das Kompliment. Ich bin auch ganz glücklich mit der neuen CD. Mit Hans Leip teile ich eine gewisse Sehnsucht nach dem Meer, etwas Seemannsromantik, die Liebe zu Hamburg, St. Pauli und das Segeln.
Ich kannte Hans Leip nicht. Nur sein „Lili Marleen“. Und ich dachte: Wer so ein schönes Lied geschrieben hat, hat sicher noch mehr geschrieben. Und siehe da – hat er. Wunderbare Gedichte und Bücher. Und als ich erfuhr, dass er Hamburger war, und ähnlich wie Erich Kästner in Nazideutschland blieb, war meine Neugier geweckt. Ich wollte mich in einen Menschen hineinfühlen, der mit einem Text weltberühmt wurde, den er 26 Jahr zuvor geschrieben hatte. Weißt Du, ich mache das, was ich mache, ja auch schon ein paar Jahre .... wer weiß, mit welchem Lied ich mal berühmt werde ....
Ahoi: Das Album wurde im Leipziger Kupfersaal aufgenommen. Wie kam es denn dazu? Und welche Leipziger Komponenten sind denn noch mit auf dem Album zu hören?
Johannes Kirchberg: Das war ein wunderbarer Zufall. Und alles hat sich perfekt gefügt. Eine befreundete Agentin hat mir den Geiger Holger Engelhardt empfohlen. Der wiederum ist dem Kupfersaal verbunden und kennt den Klarinettisten Alexander May und den Tonmeister Hendrik Bertram. Und da ich in Leipzig auf LIEDERTOUR war und zwei OffDays hatte, konnte ich diese Aufnahmen realisieren. Kurz vorher wurden die Arrangements fertig. Der Komponist Jens-Uwe Günther, der schon mein Johannes R. Becher Album für Streichquartett eingerichtet hat, hat diesmal für Klavier, Violine und Klarinette arrangiert. Sehr spannend war es, zum ersten Mal meine Musik in dieser Version zu hören. Und dann haben wir alle Titel live und am Stück eingespielt. Das war eine ganz tolle Zusammenarbeit und Erfahrung.
Ahoi: Krieg, das sind nicht nur die Menschen mit den Waffen. Krieg, das sind zuvorderst die, die weiter Konflikte schüren. Was erzählt uns Lili Marleen heute?
Johannes Kirchberg: Hans Leip hat immer gesagt, „Lili Marleen“ war kein Kriegslied, sondern nur ein Lied im Krieg. Geschrieben (und übrigens auch selbst vertont) hat er es im 1. Weltkrieg. 1915. Berühmt und reich gemacht hat es ihn ab 1941. Weil es in einem europaweit zu hörenden Soldatensender gespielt wurde. Für mich ist es heute in erster Linie ein Liebeslied. Auch deshalb habe ich mich von der berühmten Melodie getrennt, und eine eigene Version gemacht. Es geht die Geschichte, dass dieses Lied zum Zapfenstreich gespielt wurde. Und dass währenddessen die Waffen geschwiegen haben. Auf beiden Seiten der Front. Vielleicht sollte man das Lied wieder öfter singen. Vielleicht hilft es ja. Natürlich bleibt dieses Lied untrennbar verbunden mit dem Krieg. Und mit der Sehnsucht nach Frieden und Heimkehr. Nach Wiedersehen mit den Liebsten.
Übrigens ist die Entstehungsgeschichte zu diesem Lied sehr lustig. Ich erzähle sie im Liveprogramm. Denn die Frage ist ja: Gab es Lili Marleen wirklich?
Ahoi: Hans Leip hat viel hinterlassen. Wie hast Du sortiert, was aufs Album kam?
Johannes Kirchberg: Ich hab mich einige Jahre mit Leip beschäftigt. Und sehr viele Gedichte vertont. Auf das Album kamen letztlich die Lieder, die ich auch im Programm singe.
Ahoi: Du hast auch schon Kästners Texte ins heute geholt und dem viel zu selten im Heute gelesenen Wolfgang Borchert ein Denkmal gesetzt. Was treibt Dich um? Von Hause aus bist Du ja eher Kabarettist dachte ich.
Johannes Kirchberg: Mitunter fühle ich mich wie so ein kleines Museum. Ich biete einen eigenen Zugang zu den Dichtern. Und hoffe, sie werden so nicht vergessen. Mit Erich Kästner hat meine musikalische Reise Ende der Neunziger begonnen. Und er hat mich nie losgelassen. Drei Programme und unzählige Auftritte später, erscheint im kommenden Jahr zu seinem 125. Geburtstag meine neue Kästner CD „So groß wie heute war die Zeit noch nie“. Wolfgang Borchert ist meine Herzensangelegenheit. Ich glaube, mir gelingt ganz gut, den Dichtern eine Stimme zu geben. Eine Melodie. Ich mache mir die Gedichte zu meinen Liedern und das ist authentisch und auch in gewisser Weise zeitlos.
Ich fühle mich auch mehr als Musiker denn als Kabarettist. Denn die besten Kabaretttexte hat mir der grandiose Tom Reichel auf dem Leib geschrieben. Ich freu mich schon auf die kommende Zusammenarbeit mit ihm. Gerade in diesen nicht einfachen Zeiten.
Ahoi: Vor 50 Jahren wurdest Du in Leipzig geboren, lebst aber mittlerweile an der Waterkant in Hamburg. Was unterscheidet die Menschen dieser beiden Städte kulturell?
Johannes Kirchberg: Mir ist das Norddeutsche sehr nah. Warum? Wer weiß. Ich lebe sehr gern in Hamburg. Ich mag die Elbe, die Nähe zum Meer und die Sprache. Ich liebe das Alte Land und die Lüneburger Heide. Ich achte nicht sehr darauf, was die Menschen unterscheidet. An guter Kunst freuen sich die Menschen überall. Noch gibt es allerdings in Leipzig mehr Kabaretts als in Hamburg.
Ahoi: Du hast auch ein eigenes Label. Hier auf dermenschistgut wurde Stefan Krawczyk wieder veröffentlicht, gerade auch die Leipzigerin Claudia Herold. Wo steht die derzeitige Liedermacherinnen- und Liedermacherszene gerade? Wie relevant ist sie?
Johannes Kirchberg: Ich bin aber keine Plattenfirma ... gern stelle ich geschätzten Kolleginnen und Kollegen meine Hilfe zur Verfügung. Die Szene ist bunt. Und interessant. Die LIEDERTOUR gibt es seit etlichen Jahren und sie ist bedeutend für die Kleinkunst. Wir haben LiedermacherInnen im Land, die wie Rockstars gefeiert werden und wie haben die, die fleißig und unermüdlich auf Tournee sind, die entdeckt werden müssen, und auf die man neugierig sein muss. Ich glaube, man hört wieder gerne zu. Weil die Geschichten gut sind. Ich durfte im Sommer mit Ralph Schüller unterwegs sein. Das war wunderbar. Und er ist es auch.
Ahoi: Zurück zu Hans Leip. Solch ein Album kann man ja nicht einfach herausbringen, da gibt es Rechtefragen und anderes zu klären. Wie lief das bei „Lili Marleen“ ab?
Johannes Kirchberg: Ja, Hans Leip ist 1983 gestorben. Da muss man die Rechte natürlich einholen. Die werden aktuell vom Urenkel betreut, mit dem ich auch viel Kontakt hatte. Er hat sich meinen Hans Leip Abend in Hamburg angesehen und sich sehr bedankt dafür. Ich habe die ausdrückliche Erlaubnis, die Gedichte neu zu vertonen. Vor allem auch „Lili Marleen“. Das ist natürlich ein Wagnis, aber ich konnte nicht anders.
Ahoi: Und kommst Du bald mal wieder in Deine Geburtsstadt?
Johannes Kirchberg: Ich spiele am 18.11.2023 im Ringelnatzhaus in Wurzen und am 27.01.2024 in Gohlis „bei Kallenbach“ mit dem Programm zur CD „Wie einst Lili Marleen“.
Ahoi: Danke für Deine Zeit und Deine Lieder, Johannes.