//
//
  • Interviews
„Zweitausendeins“-Verleger Peter Deisinger im Interview

Außerhalb des Schwarz-Weiß-Denkens

Manche Bücher brauchen einfach Öffentlichkeit – damit die Diskussionen nicht mehr mit so vielen Emotionen, sondern bestenfalls mit Argumenten geführt werden können. Peter Deisinger, Chef des Buch-, Musik- und Film-Verlags „Zweitausendeins“, verantwortet solch ein wichtiges Buch: „Misogynie – Die Geschichte des Frauenhasses“, geschrieben vom bereits verstorbenen Iren Jack Holland. Doch warum begibt sich Deisinger auf dieses Eis? Ahoi-Redakteur Volly Tanner fragte nach.

„Zweitausendeins“-Verleger Peter Deisinger mit dem neuen Buch „Misogynie – Die Geschichte des Frauenhasses“ von Jack Holland © C. Nebel/ Zweitausendeins

Guten Tag, Peter Deisinger. Als Geschäftsführer der Zweitausendeins GmbH & Co. KG, die hinter dem Verlag „Zweitausendeins“ steht, bist du verantwortlich für die deutsche Veröffentlichung des wichtigen und erschreckenden Buchs „Misogynie – Die Geschichte des Frauenhasses“ des verstorbenen Iren Jack Holland. Wie kam das Buch zu dir?

Eigentlich wie so oft über Bande: Unser Alt-Verleger Gerd Haffmans, der lange die Reihe „Haffmans bei Zweitausendeins“ verantwortete, hatte darüber gelesen und den Tipp mit Herrn Holland an uns weitergereicht. Dann waren wir sehr schnell Feuer und Flamme.

Ich hörte, dass ein US-amerikanischer Verlag, der das Buch einst herausbringen wollte, dann jedoch nach dem Tode Hollands sein Einverständnis zurückzog. Was war denn da los? Und wie kam das Buch dann doch im englischsprachigen Bereich heraus?

Naja, der ursprüngliche Verlag hatte das Buch zugesagt, legte aber den Fokus auf die Vermarktung des Werks im Rahmen einer Lesereise mit dem Autoren Jack Holland zusammen. Als dieser dann an Krebs erkrankte und sehr schnell verstarb, passte das Buch wohl nicht mehr in deren Planung – vielleicht war es ihnen einfach zu heiß, das Thema dann selbst präsentieren zu müssen. In jedem Fall fand sich alsbald ein neuer, mutigerer Verlag in England (Constable & Robinson), der die erste englische Veröffentlichung dieses wichtigen Werks aus der Taufe hob.

Mit dem Diskurs über den Frauenhass stehen wir noch ganz am Anfang, obwohl die Misogynie schon sehr alt ist. Wie wird die Veröffentlichung des Buches denn im deutschsprachigen Bereich aufgenommen? Wie reagiert denn die Fachpresse und die Leserschaft?

Die Reaktionen sind durchweg sehr positiv, gerade im Zuge von #MeToo, aber auch abseits davon. Im Grunde geht es ja um einen Skandal, der sich bis heute durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht. Gut und wichtig also, das auf die Agenda zu setzen.

Die älteste Diskriminierung der Welt hat sehr viel mit den „Urvätern“ unserer „Zivilisation“ zu tun – der Dualismus als alternativlose Philosophie, das ganze Gut und Böse, Schwarz und Weiß, das Ablehnen und Ausgrenzen und Sich-Einmauern in der eigenen Gruppe trägt ja zu vielen unserer Probleme bei. Nicht nur zwischen den realen Menschen, auch und ganz besonders in allen politischen Lagern. Wie viel kann hier solch ein Buch überhaupt ausrichten?

Ich denke, ein Buch – zumal auch dieses Buch – kann immer Denkanstöße und Impulse liefern, die aus einer allzu simplen Weltwahrnehmung herausführen. Es kann sicher keine Lösung zum Problem der Unterdrückung von Frauen liefern. Aber es kann ein profundes Werkzeug zur Sensibilisierung dafür sein. Und das wäre ja schon ein guter Anfang.

Hast du Kontakt zu Hollands Familie?

Leider nein.

Was wünschst du dir für dieses Buch?

Ich wünsche mir, dass Jack Hollands Werk von vielen wahrgenommen, besser noch: gelesen wird. Und, dass es sein Scherflein zu einer echten Gleichberechtigung beitragen kann.

Es ist erschütternd, dass ja gerade Menschen, die am Anfang unserer, als großartig gefeierten Gesellschaftsform „Demokratie“ stehen, auch Ausgangspunkte der Denkstrukturen hinter dem Frauenhass sind. Wie hast du die Lektüre des Buches erlebt, als du den Text das erste Mal zu Lesen bekamst?

Wichtig an dem Buch war von Anfang an für mich, dass es dem Autor, der ja selbst ein Mann ist, nicht um eine simple Anklage seines Geschlechts geht. Vielmehr arbeitet er akribisch und sehr solide jene unerhörten Zustände journalistisch auf, die bis heute existieren und den Frauenhass weiterhin tragen. Das sensibilisiert und erschüttert zwar, aber es verbittert nicht. Stattdessen liest man aus seinen Zeilen auch die Hoffnung, wie er schreibt, „aus den lang gehegten Traumfantasien zu erwachen, in denen die Misogynie wurzelt.“

Wie kann der Dualismus durchbrochen werden? Glaubst du, dass es möglich ist, eine gerechte, humanistische Gesellschaft zu bauen, vielleicht gar irgendwann umzusetzen?

Solange eine bessere, gerechtere Gesellschaft denkbar ist, bleibt sie auch möglich. Davon bin ich fest überzeugt. Einen wichtigen Teil dazu trägt sicher der Ausbruch aus den Traditionen des Schwarz-Weiß-Denkens bei, mit dem wir als Menschen uns das Leben schwer machen. Also gilt es, mehr Grau dazwischen wahr- und anzunehmen. Und dann natürlich, vom Denken zum Handeln zu kommen. Einen kleinen Beitrag dazu leisten hoffentlich auch unsere Bücher.   

Dein Verlag gibt ja immer wieder hochinteressanten Stimmen aus vielen Jahrhunderten Heimat, deren Sichten und Aussagen sonst nicht im Diskurs wahrgenommen werden würden. Trotzdem bist du ja auch zuallererst Unternehmer – und musst den Verlag, die dort Tätigen und die mit ihm in Verbindung stehenden Menschen finanzieren – wie funktioniert dieser Spagat?

Es ist stets ein Jonglieren mit vielen Bällen, von denen die Mehrzahl in der Luft bleiben muss, damit der Auftritt ankommt, der Applaus und die Gage stimmt.

Schlussendlich darfst du natürlich noch auf dein Herbstprogramm verweisen – gibt es neuen, heißen Stoff aus dem Hause „Zweitausendeins“? Welche sind deine Favoriten?

Das ist immer schwer zu entscheiden. Aber jetzt für den Herbst freue ich mich sehr über unsere soeben erschienene John-Lennon-Biografie von Nicola Bardola, die insbesondere auch der aktuellen Präsenz der vor 40 Jahren verstorbenen Musik-Ikone im Internet nachgeht. Ganz anders, aber auch schön: Zur dringend nötigen Erheiterung am Ende dieses Krisenjahrs wird Thomas Gsella bei uns „Fressgedichte“ servieren – mit herrlichen Fres(s)ken aus der Feder von Rudi Hurzlmeier. Es darf eben nicht alles bierernst sein.

Danke für deine Zeit und deine Antworten.

Auf hoffentlich bald und liebe Grüße.

Zweitausendeins im Internet: www.zweitausendeins.de

Zweitausendeins-Laden in Leipzig: Karl-Liebknecht-Straße 30 – 32, 04107 Leipzig

« zurück
zur aktuellen Ausgabe