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  • Interviews
Gespräch mit dem Historiker und Schriftsteller Udo Grashoff

Auch Kommunisten sind Menschen

Dr. Udo Grashoff wurde in Halle an der Saale geboren – genau wie der Autor dieser Zeilen – und gestaltet mit seiner wissenschaftlichen Arbeit mittlerweile den historischen Diskurs unseres Landes erfrischend differenziert mit. Undogmatisch, ergebnisoffen und menschenfreundlich versucht Grashoff, in die Nähe der Wahrheit zu blicken. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit ihm über sein neues Buch „Gefahr von innen – Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, die Band (Z)erbrochene Igel und Grashoffs Lyrik:

Dr. Udo Grashoff in der Natur, in Momenten der Sammlung
Dr. Udo Grashoff in der Natur, in Momenten der Sammlung © Ulrich Arnold

Ahoi: Guten Tag, Herr Dr. Udo Grashoff. Sie sind als Privatdozent an der Universität Leipzig, genauer am Geisteswissenschaftlichen Zentrum tätig. Und gerade erschien Ihr neues Buch „Gefahr von innen – Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ im Göttinger Wallstein Verlag. Warum gerade dort?

Grashoff: Das war der erste Verlag, den ich kontaktiert hatte, und das hat gleich geklappt. Wallstein ist ein guter Verlag, und hat auch schon ein anderes Buch zum Thema herausgebracht. Falls die Frage darauf abzielt, wieso das Buch nicht in Leipzig publiziert wurde - das hätte ich gern getan. Aber die großen Verlage haben sich gen Westen aus dem Staub gemacht. 2004 habe ich noch ein Buch bei Reclam Leipzig mit dem Titel "Ich möchte jetzt schließen" herausgebracht. Wenige Monate danach hat Reclam den Standort Leipzig geschlossen.

 

Ahoi: Und was macht man als Privatdozent eigentlich?

Grashoff: Noch halte ich Vorlesungen und veranstalte Seminare. Aber in wenigen Monaten wird bei mir das Gesetz mit dem monströsen Namen Wissenschaftszeitvertragsgesetz wirksam: ich werde entlassen. Ich darf zwar noch an der Uni arbeiten, aber nur für lau. Wenn ich den Titel Privatdozent behalten will, muss ich kostenlos lehren. Im 19. Jahrhundert war das noch anders, da ließen sich Privatdozenten ihre Leistungen von den Studierenden privat bezahlen, und lebten davon.

 

Ahoi: Das Buch ist äußerst differenziert geschrieben. Dabei hinterfragen Sie auch DDR-Propaganda zu Menschen; legen Quellen offen, betrachten Lebensgeschichte und -geschichten. Eine längst überfällige wissenschaftliche Arbeit. Wie ist die Resonanz? Ernstgemeinte Wissenschaft kann ja auch liebgewordene Denkgebäude ins Wanken bringen …


Grashoff: Mein Buch enthält keine reißerischen Enthüllungen, sondern versucht, Situationen von Verrat möglichst genau und fair zu beschreiben. Es ist kein Panoptikum der Bösewichter, sondern bietet ein Spektrum von Verhaltensweisen. Ich zeige zum einen, gegen die Verklärung des Widerstands, wie er in der DDR betrieben wurde, dass es nicht nur kommunistische Helden gab, sondern auch Verräter und Opportunisten. Zum anderen zeige ich aber auch, dass die kommunistischen Widerständler Menschen waren, mit Schwächen ebenso wie mit hohem ethischem Anspruch, und nicht selten mit Eigensinn. Das ging bis hin zu Versuchen von kommunistischen V-Leuten, die Gestapo auszutricksen.

Viele Reaktionen auf das Buch gibt es bisher noch nicht; ich erhoffe mir, dass meine Erkenntnisse ins gesellschaftliche Bewusstsein einsickern, und die erreichen, die sich für das Thema interessieren.

 

Ahoi: Die im heutigen Diskurs der Straße - „Die Deutschen sind ...“ gern gebrachten Vereinfachungen spiegeln ja niemals Realität wieder. Wie viel Abbild von Geschichte ist zurückblickend eigentlich möglich? Ich befasse mich gerade mit der Lebensgeschichte von Hermann Oberth, den Raumfahrtpionier – da gibt es ja auch die unterschiedlichsten Vereinnahmungen und Interessen, sein Leben propagandistisch zu nutzen oder auszublenden.

Grashoff: Um ein einigermaßen authentisches Abbild von Geschichte zu schaffen, braucht man gute Quellen, also Berichte von Menschen, die nahe an der Ereignissen waren. Man braucht viel Wissen über das ganze Drumherum, Einfühlungsvermögen und Offenheit. Ich bin nicht der Typ, der mit einer vorgefassten These in die Archive geht und dann nur noch illustrierende Beispiele sammelt. Ich suche Entdeckungen und bemühe mich um maximale Genauigkeit.

 

Ahoi: Ist Wissenschaft – ganz konkret die Geschichtswissenschaft – überhaupt frei? Kann sie das jemals wirklich sein?

Grashoff: Wissenschaft ist an Institutionen gebunden, sowie an konkrete Menschen, die ihre Interessen, Vorurteile und Blindstellen bewusst und unbewusst in alles hineintragen, was sie tun. Die Freiheit der Wissenschaft ist daher immer relativ, nie absolut. Ich persönlich fühle mich frei in meiner Forschung, und konnte in den letzten 20 Jahren so spannende Themen wie Selbsttötung, Schwarzwohnen und Verrat untersuchen. Das erscheint mir als großer Luxus, dass ich mir meine Arbeit selbst organisieren konnte. Zugleich gibt es Zwänge, zum Beispiel finanzieller Art, oder bestimmte Machtstrukturen und Netzwerke, um die man nicht herum kommt.

 

Ahoi: In den Wende- und nachgezogenenen Wildostjahren waren Sie auch der Sänger der Artpunkhelden „Die (Z)erbrochenen Igel“, traten auch bei der Release von „Heldenstadt anders, Leipziger Underground 1981 bis 1989“ (Trümmer Pogo/ Elbtal Records 3 LPs) wieder auf. Geht es mit den Igeln weiter? Wird es wieder mal ein Album geben? Ein Neues?

Grashoff: Da geht es uns leider wie den Stones, unser Schlagzeuger lebt nicht mehr.

 

Ahoi: Sie sind mir persönlich auch als Lyriker bekannt. Da würde ich ja gerne mal wieder etwas lesen von Ihnen. Ist die Poesie noch ein Thema?

Grashoff: Ja, mein Lyrik wächst langsam, aber ich arbeite an meinem dritten Gedichtband.

 

Ahoi: Wundervoll, da dürfen wir ja gespannt sein. Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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