• Stadtleben
Gespräch mit Annabell Klein von der Wildvogelhilfe Leipzig

„Wir brauchen Vögel, um das Gleichgewicht zu halten.“

Naturschutz geht uns alle an. Und manchmal sind es die kleinen, fleißigen Macherinnen und Macher, die weit mehr bewegen, als all die Schwafler in den Talkshows unserer Hemisphäre. Annabell Klein engagiert sich, täglich und bis an den Rand der Leistungsgrenze. Und Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit ihr, weil sie sich schon lange kennen.

Wildvogelhilfe Leipzig
Annabell Klein von der Wildvogelhilfe Leipzig © Wildvogelhilfe Leipzig privat

Ahoi: Guten Tag, Annabell Klein. Du engagierst Dich ehrenamtlich bei der Wildvogelhilfe Leipzig. Als was denn ganz konkret? Was sind Deine Aufgaben im Verein?

Hallo Volly! Meine konkreten Aufgaben sind, die zeitweise Betreuung des Notfalltelefons, mithelfen bei Tierrettungseinsätzen und ich bin eine Pflegestelle der Wildvogelhilfe Leipzig. Es kommt auch darauf an, welche Jahreszeit ist und da wir uns mitten in der Brutsaison befinden, kümmere ich mich derzeit um verunglückte Nestlinge. Also kleine Küken, die aus verschiedenen Gründen aus ihrem Nest gefallen oder entfernt worden sind. Zum Beispiel unsere Gebäudebrüter, wie Haussperlinge oder Mauersegler fallen oft aus ihren Brutnischen, schuld ist vor allem die Hitze. Die Kleinen, oft noch blind, gehen an den Eingang ihres Nestes, um Luft zu schnappen und etwas Abkühlung zu bekommen, dann stürzen sie oft ab und das mehrere Meter tief. Oder bei Sanierungen tauchen plötzlich, unter dem Dachschindel, Mauerseglerbabies auf. Wer keine schweren Verletzungen davon trägt und nicht entsorgt wird, kommt zu mir und wird mit Nahrung und Wärme versorgt. Doch gehe ich auch zu Außeneinsätzen, dabei unterstütze ich meinen Kollegen, Karsten Peterlein, wann immer ich kann. Gemeinsam fangen wir zum Beispiel Entenmütter, die auf Balkons in der Innenstadt gebrütet haben und nun mit ihren Küken festsitzen. Die Enten siedeln wir, mit ihren Küken, auf verschiedene Gewässer um. Da ich dies erst seit einem Jahr tue, steht mir Karsten mit Rat und Tat zur Seite. Von ihm lerne ich alles rund um die Pflege, die Rettung und den Schutz der Tiere. Ich liebe unsere Fauna und bin sehr glücklich, so gut wie alles darüber lernen zu dürfen. (ornithologische Ausbildung, Umweltbildung etc.)

Ahoi: Und der Verein selber? Was macht Ihr ganz konkret? Wo helft Ihr?

Die Wildvogelhilfe Leipzig gehört zum NABU Regionalverband Leipzig. Wir sind aktiv in der Tierrettung, Beseitigung von Gefahrenquellen und Vogelfallen, Beratung zum Vogelschutz, Umweltbildung, Schaffung von Biotopen, Bau und Pflege von Nisthilfen und wir führen eine Pflegestation für hilfebedürftige Wildvögel. Wir arbeiten ausschließlich ehrenamtlich und finanzieren Futter und Material aus Spenden.

Ahoi: Auf wildvogelhilfe.org gibt es einen Link zu „Vogelfreundlicher Garten“ - dies bedeutet, dass jeder Mensch etwas tun kann für die Vogelwelt. Was können Hiesige tun?

Genau, auch in der Großstadt kann man etwas tun, schon ein kleines Fleckchen Erde oder ein Blumenkasten auf dem Balkon kann etwas zum Schutz unserer Biodiversität beitragen. Auf www.mein-biotop.de, können Vogelinteressierte nützliche Tipps wie sie ihren Garten vogelfreundlich gestalten, finden. Hier haben wir, gemeinsam mit dem NABU Regionalverband Leipzig und der Markenagentur Rhowerk, viele Informationen zum Zusammenspiel der heimischen Tier- und Pflanzenwelt zusammen getragen. Wir haben uns explizit auf Flächen, Hinterhöfe und Gärten in der Stadt Leipzig bezogen, um mit dem gemeinsamen Naturschutz in der Großstadt anzufangen, für noch mehr Artenvielfalt. Es ist nicht schwer zu helfen, schon ein Nistkasten oder das Laubstreu im Herbst liegen lassen ist Hilfe. Im Sommer eine Schale mit Wasser bereitstellen, Sträucher pflanzen oder heimische Blumen aussäen, es gibt so viele Möglichkeiten und vieles kommt von selbst und wenn man es richtig macht, gibt es von uns eine Auszeichnung. Wichtig ist zu verstehen, dass es das Beste ist, Artenvielfalt in den Garten, auf den Hinterhof oder Balkon zu locken. Also willst du einen vogelfreundlichen Garten, dann musst du auch Insekten fördern. Gleichzeitig kannst du aber auch Igeln und Fröschen helfen. Alles spielt zusammen und dies gilt es zu schützen und zu fördern. Die Menschen werden merken, wie schön es ist, etwas mehr zur Natur zurückzukehren und gleichzeitig etwas Gutes zu tun. Interessierte können sich gerne im KGV Nordostvorstadt und im KGV Phönix 1894 unsere kleinen Biotopflächen anschauen und Inspiration holen.

Ahoi: Mit dem Zurückdrängen der Insektenpopulationen wird auch die Vogelwelt irreparabel geschädigt. Was sind die Konsequenzen für uns alle?

Ja, viele Vogelarten fressen Insekten und ziehen ihre Jungen damit auf. Es ist bekannt, dass es den Elterntieren in der ausgeräumten Landschaft kaum noch möglich ist, genügend Nahrung für ihre Küken zu finden. Viele Bruten fallen aus. Mit dem Rückgang der Vögel, ist es dann wiederum gut angepassten Insekten möglich, sich stark zu vermehren, da der Fressfeind fehlt. Häufig sind dies auch Ernteschädlinge und dies hat somit eine schlechte Auswirkung auf die Landwirtschaft. Man konnte es in China sehen. 1958 erklärte Mao Zedong den Spatzen den Krieg und ließ diese ausrotten, die Folge war eine schlimme Hungersnot, aufgrund von Ernteausfällen. Und dann kamen zu viele Pestizide gegen die vermeintlichen Schädlinge und schließlich fehlten auch die Bestäuber wie Bienen. Man kann also sagen, wir sind schon aus ernährungstechnischer Sicht auf Vögel und Insekten angewiesen. Kaum auszudenken wie teuer dann ein Apfel wäre, wenn man ihn von Hand bestäuben müsste. Wir brauchen Vögel, um das Gleichgewicht zu halten. Auch würden überall Kadaver herumliegen, denn nicht nur Ameisen und andere Insekten essen Aas, sondern auch Vögel. Und das wollen wir uns nicht vorstellen.

Ahoi: Es gibt bei Euch eine Vogelrettungstelefonbereitschaft. Wie funktioniert diese und wie oft werdet Ihr informiert und rückt aus?

Die Wildvogelhilfe Leipzig ist erreichbar von 16 - 18 Uhr, außer Mittwoch, Samstag und Sonntag, unter der Nummer 0341 927 62 027. Während der Fütterung und Rettungseinsätze ist es uns nicht immer möglich, zu telefonieren, dann ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Wir hören regelmäßig ab, wenn es unsere Kapazität zulässt, rufen wir zurück. Zur Brutsaison können dies 100 Anrufe am Tag sein. Dass wir nicht immer alle schaffen, kann man sich vorstellen. Der ein oder andere akute Notfall kommt dann auch noch dazu und dann ist Planung angesagt. Da sich solche Außeneinsätze gerne 2-3 Stunden ziehen, können wir maximal 2-3 Einsätze durchführen. Anderen versuchen wir mit unserer Whatsapp Vogelrettungsgruppe zu helfen, doch auch hier haben alle Jobs und machen das ehrenamtlich. Du siehst es ist nicht immer leicht.

Ahoi: Welche Schritte sollten Vogelfinder gehen?

Ok, spielen wir durch, du findest einen Vogel. Als erstes ist wichtig zu bedenken, braucht er wirklich Hilfe? Du weißt es nicht genau? Dann geh auf unsere Seite www.wildvogelhilfe-leipzig.de. Hier findest du schon einige Hinweise, wie du dich nun verhalten sollst. Sollten deine Fragen immer noch offen sein, kannst du auf unseren Anrufbeantworter sprechen und wir versuchen zu helfen. Wichtig ist immer, dass wir wissen, was passiert ist, war es ein Katzenangriff oder ist der Vogel gegen eine Scheibe geflogen. Weißt du vielleicht, um welche Art es sich handelt oder ist er noch ganz nackt. Und nicht vergessen, bitte hinterlasse deinen Namen, deine Telefonnummer und den Ort des Geschehens. Wenn wir dann zurückrufen, brauchen wir immer zuerst ein Foto vom Tier oder auch der Umgebung. Dann beraten wir uns. Suchen zum Beispiel eine Pflegestelle, machen eine genaue Artenbestimmung, sehen, ob das Tier verletzt ist und wie stark. Bei offensichtlich verletzten Tieren, ist ein kurzes 20 Sekunden Video sehr hilfreich. Manchmal ist es nötig, dass wir die Finder direkt zum Tierarzt schicken müssen oder in einem Außeneinsatz das Tier selbst fangen müssen, um zu helfen. Sehr häufig bekommen wir Anfragen zu kleinen Vögeln, die auf dem Boden sitzen und nicht fliegen können. Oft handelt es sich dabei um Ästlinge, die aber von ihren Eltern versorgt werden. Manchmal werden diese, vermeintlich hilfsbedürftigen Vögel, eingesammelt, um sie zu einer Pflegestelle zu bringen. Das ist sehr schade, denn auch eine Pflegestelle kann die Zuwendung und Versorgung durch die Vogeleltern nicht ersetzen. Und für mich gibt es nichts Schöneres, als zu beobachten, wie sich Vogeleltern um ihre flüggen Jungtiere kümmern. Ist das Jungtier aber Gefahren ausgesetzt wie Hunden, Katzen, Autos, empfiehlt es sich manchmal, das Kleine umzusetzen. Aber auch hierzu beraten wir gerne, wenn es die Zeit erlaubt.

Ahoi: Wieviele Menschen sind denn bei Euch aktiv? Und aus welchen Milieus stammen diese?

Was Pflege, Fütterung, Telefon und viele Außeneinsätze betrifft, sind wir leider nur zu zweit. Bei einem 16 Stunden Fütterungsrhythmus und 2-3 Einsätzen am Tag, ist das manchmal sehr hart. Und dann kommt noch unsere Vogelrettungsgruppe hinzu, mit 8-10 aktiven Mitgliedern. Die aber auch nicht immer Zeit haben, da viele arbeiten oder auch Kinder haben. Von Student*in bis Rentner*in ist in unserer Gruppe alles vertreten. Biologen, aber auch Quereinsteiger, sind willkommen. Wichtig ist, man ist positiv bekloppt und vogelbegeistert, beziehungsweise liebt die Natur und deren Geschöpfe. Wie du siehst, ist dies bei solch einem hohen Aufkommen an Anfragen sehr wenig. Und wir kommen häufig an unsere Grenzen, körperlich und nervlich. Trotz allem sind wir immer mit Freude und Enthusiasmus bei der Sache. Denn schließlich lieben wir unsere Arbeit und können aktiv sein im Schutz der Natur und damit auch des Menschen.

Ahoi: Und wie können sich Menschen für und bei Euch engagieren? Spenden etc?

Da Fütterung und Pflege der Tiere sehr zeitintensiv sind, suchen wir immer Pflegestellen, die Erfahrung und Fingerspitzengefühl mitbringen sollten. Man muss von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, alle 30 Minuten oder jede Stunde, füttern. Die Kleinen müssen trainiert werden, bevor sie schließlich in die Auswilderungsvoliere umsiedeln. Das kann sehr schwierig, manchmal sogar frustrierend sein. Es erfordert Geduld und Liebe für die Arbeit. Wer nicht soviel Zeit hat, kann uns bei unserer Datensammlung unterstützen. Man sollte sich 1 bis 2 Stunden Zeit nehmen können, um Beispielsweise Mauersegler Nistplätze an Gebäuden zu zählen oder Nistkästen, auf Friedhöfen oder in Park, zu beobachten und gegebenenfalls auch zu reinigen, im Herbst. Unter Nabu Leipzig, findet man noch mehr Informationen, über die mögliche ehrenamtliche Arbeit in der Wildvogelhilfe Leipzig. Wer so gar keine Zeit hat, kann uns gerne mit dem ein oder anderen Euro unterstützen. Wir finanzieren Futter und Material ausschließlich über Spenden. Und bei einer maximalen Kapazität von 30 Pflegevögeln, zeitgleich, kommt da in einer Woche einiges an Insekten und Frischfleisch zusammen. Auf unserer Seite befindet sich ein Link, der auch direkt zu Paypal führt, ansonsten, Spenden bitte überweisen an die IBAN DE88 8605 5592 1100 9119 59, mit dem Verwendungszweck Wildvogelhilfe. Ohne die finanzielle Unterstützung der Finder und durch Vogelliebhaber können wir unsere Arbeit nicht verrichten und deshalb sind wir sehr dankbar!

Ahoi: Danke, liebe Annabell für Deine Antworten. Und Danke, dass Ihr Euch für die Vogelwelt engagiert.

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