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Gespräch mit Markus Czygan vom NEUEN SCHAUSPIEL LEIPZIG

Vielfalt muss erstritten werden

Markus Czygan im NEUEN SCHAUSPIEL LEIPZIG © NSL/Czygan

Im städtischen Kulturgefüge rumort es. Nicht nur die Verteuerungen bei Energie und die Inflation treiben die Kulturschaffenden in die Enge, auch Entscheidungen der Vertreter des einheimischen Wahlvolks gehen an deren Interessen vorbei. Markus Czygan muss, sollte von der Stadt nicht perspektivisch ein- und umgelenkt werden, schmerzhafte Entscheidungen fällen. Welche dies fürs NEUE SCHAUSPIEL LEIPZIG sind, erfragte Ahoi-Redakteur Volly Tanner:

Ahoi: Guten Tag, Markus Czygan. Du bist einer von drei Leitenden (und Leidenden?) im NEUEN SCHAUSPIEL LEIPZIG. Derzeit habt ihr eine Petition an die demokratischen Veranwortungsträgerinnen und -träger im Leipziger Stadtrat laufen. Um was geht es ganz konkret?

Markus Czygan: Konkret geht es darum, mit unserer Petition Entscheidungsträger bei der Stadt auf unsere Situation aufmerksam zu machen und sie für die Notwendigkeit einer institutionellen Förderung zu sensibilisieren. Nach 13 Jahren ohne öffentliche Förderung für das Haus geht es jetzt so einfach nicht mehr weiter.

Ahoi: Was wäre das optimale Ergebnis des Prozesses und wie würdet ihr agieren müssen, falls kein Entgegenkommen stattfindet?

Markus Czygan: Optimal wäre, wenn wir einen Bewilligungsbescheid für unseren aktuell laufenden Förderantrag bekämen. Dann könnten wir die Arbeitsstellen im Haus endlich einmal einigermaßen fair bezahlen. Wenn kein Entgegenkommen stattfindet, werden wir das Haus wohl zu einer reinen Bespielbühne zurückbauen. Das heißt konkret, dass sich Künstler die Räumlichkeiten mieten müssen, und sich um Organisation und Werbung selbst zu kümmern haben. Gemeinsam finanzielles Risiko mit Künstlergruppen zu tragen, die selbst keine Förderung bekommen, wird es dann nicht mehr geben.

Ob sich dieses Konzept dann trägt, bleibt aber auch abzuwarten.

Ahoi: Als etabliertes und noch wirklich freies Haus habt ihr eine Scharnierfunktion in der Demokratie, ihr bearbeitet Themen auch, wenn sie nicht staatskonform sind. Damit gebt ihr der Demokratie die dringend benötigte Möglichkeit, sich im Diskurs weiterzuentwickeln. Glaubst Du, dass die hiesigen Kulturfunktionärinnen und -funktionäre eigentlich wirklich verstehen, was ihr da macht? Kompromiss bedeutet ja auch Blickwinkelwechsel. Welche Interessen haben, Deiner Meinung nach, die Entscheidungstragenden in der Verwaltung?

Markus Czygan: Das ist grundsätzlich vor Allem eine Frage des Blickwinkels auf die freie Szene im Allgemeinen. Die freie Szene ist grundsätzlich flexibler als die großen Häuser und kann somit viel mehr auch auf aktuelle Entwicklungen in der Gesellschaft reagieren. In der freien Szene entwickeln sich dadurch ganz eigene Ansätze. Leider wird in Leipzig die freie Szene von Kulturverantwortlichen viel zu oft als nicht gleichwertiger Akteur zur Hochkultur gesehen, sondern ihr wird zu häufig Qualität abgesprochen. Das ist in anderen Städten durchaus nicht so.

Ahoi: Ihr seid spartenübergreifend erfreulich breit aufgestellt. Kannst Du den Leserinnen und Lesern bitte etwas über die hauseigene Philosophie erzählen?

Markus Czygan: In erster Linie versuchen wir, neben den eigenen Produktionen jungen Akteuren und Akteurinnen einen Raum zu geben, in dem sie ihre Ideen verwirklichen können. Da hier auch sehr unterschiedliche Produktionen und Entwürfe an uns herangetragen werden, entsteht eben ein vielfältiges Programm. Da wir auch bei unseren eigenen Produktionen auf verschiedene Regieteams und Kooperationspartner setzen, entsteht auch dabei eine große Vielfalt.

Ahoi: Bei so vielen Veranstaltungen in eurem Haus sagen einige Menschen: Versteh ich nicht, die müssten doch genug verdienen. Kannst Du uns etwas über die Realität des NSL und ähnlicher Häuser sagen? Was bleibt wirklich hängen, wo geht das Geld hin und wie könnt ihr überhaupt planen?

Markus Czygan: Erst einmal müssen für so ein Haus die ganzen Fixkosten zusammenkommen. Die Energiekosten für eine alte Fabrik in dieser Größe sind schon immens. Dazu kommt die Miete für mehrere hundert Quadratmeter, Versicherung und ähnliches. Dann müssen/müssten aber auch noch die ganzen Gehälter für Verwaltung und für Künstlerisches Personal bezahlt werden. All das lässt sich aber nicht auf den Ticketpreis umlegen. Dann würde ein Sitzplatz ca. 60 Euro kosten müssen. Da würde dann vermutlich niemand mehr kommen. Das ist auch in der Hochkultur so. Beispielsweise wird im Bundesdurchschnitt ein Sitzplatz in der Oper mit 210 Euro bezuschusst.
Planen wird unter diesen Bedingungen ohne Zuschüsse wirklich schwierig.

Ahoi: Welches sind eure größten Projekte 2024 und welches die besonders spannenden?

Markus Czygan: Spannend ist mit Sicherheit das Kulturfestival „Knallbrause“ Ende Februar, welches eine Woche unterschiedlichste Veranstaltungen im ganzen Haus macht. Ein etwas kleineres Format, das letztes Jahr schon erfolgreich lief, das „busy hands Festival“, wird es im Mai geben. Vom Haus wird es zum Kafka-Jahr eine Produktion geben, die aus verschiedenen Kafka-Stücken eine ganz eigene Performance kreiert.

Ahoi: Speziell der Leipziger Westen ist mit einer großen Schere zwischen Armut und Reichtum versehen, es gibt x diskursive Flächenbrände, viel Krise und kaum Lösung. Wie sollten oder könnten wir friedlich zusammenleben, was muss dringend geschehen?

Markus Czygan: Das ist ja nun eine weltpolitische Frage, die ich ganz sicher nicht in zwei Sätzen beantworten kann. Aber ich denke schon, dass wir lernen müssen, näher zusammenzurücken, wieder viel mehr miteinander als übereinander zu reden. Und der Punkt ist: Das gilt jetzt weltweit und nicht mehr nur lokal. Lokal können wir aber Räume und Plattformen anbieten, um dem ein Stück näher zu kommen. Ideen hierfür liefert das Theater schon seit seiner Existenz.

Ahoi: Seit 1989 bist Du selbstständig, auch in Deinen Anstellungsverhältnissen eigenverantwortlich. Schon allein aus dieser Perspektive her bist Du es gewohnt, eigene Entscheidungen zu fällen. Wenn Du die Möglichkeit hättest, in Dresden Verantwortung für die Kultur- und Kreativbranche zu übernehmen oder in Leipzig am Hebel der Entscheidungen zu sitzen: Was würdest Du anders machen?

Markus Czygan: Ich würde das Antragsverfahren für Projektförderung und Institutionelle Förderung vereinfachen, bzw. anders orientieren. Da gibt es Beispiele aus anderen Städten, wo dies meiner Meinung nach besser läuft. Ich würde versuchen, den einzelnen Akteuren gut zuzuhören und ihre Anliegen sehr ernst nehmen. Die vielen Facetten der Kultur sind ja auch wichtig für das Profil einer Stadt. Gerade auf die Vielfalt der freien Szene würde ich hinweisen wollen. Natürlich hat genauso die Hochkultur ihre Notwendigkeit. Aber ich will den Job nicht machen. Ich bin Künstler und kein Politiker.

Ahoi: Danke Markus, für Deine Zeit und Deine Arbeit!

 

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