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Kunstsammlungen Chemnitz

Schwarz auf schwarz

Markant für den französischen Maler und Grafiker Pierre Soulages sind seine großformatigen, abstrakten Bilder mit kräftigem Farbauftrag – vornehmlich in Schwarz. Eine umfangreiche Retrospektive des 101-jährigen Künstlers ist nun in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen. Dazu im Ahoi-Interview: Museumsdirektor Dr. Frédéric Bußmann.

Kunstsammlung Chemnitz Schwarz auf Schwarz
Pierre Soulages 2017 in seinem Atelier; derzeit widmen sich die Kunstsammlungen Chemnitz seinem Werk © Sammlung Raphaël Gaillarde, Paris © bpk / RMN - Grand Palais / Raphaël Gaillarde © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Pierre Soulages nutzt für seine Bilder Werkzeug wie Besen, Bürsten und Stangen. Warum?

Bußmann: Pierre Soulages kommt aus dem Süden Frankreichs, aus Rodez. Die entlegene raue Landschaft, eine karge Gegend, und seine einfache Herkunft prägten ihn. Von Anfang an interessierten ihn das Handwerkliche und das selbstbestimmte Machen, nicht die ausgetretenen und manierierten Pfade der Kunstgeschichte und des akademischen Lehrbetriebs.

Entsprechend hat er 1939, kurz nach seiner Aufnahme, der Pariser Kunstakademie schnell wieder den Rücken gekehrt, weil er das Gefühl hatte, ihm würde hier nicht das beigebracht, was ihn künstlerisch weiterbring. Er stellte die Traditionen in Frage und fing an, auch aus finanziellen Gründen, die Leinwände in den Formaten, die er brauchte, selbst zu bauen. Er griff nicht mehr zur Ölfarbe, sondern suchte sich Handwerkstechniken zum Malen, entschied sich für Nussbeize, mit der man eigentlich Hölzer behandelt, und baute sich eigene Werkzeuge bzw. nutzte kunstfremde Handwerkstechniken, die seiner Intention besser entsprachen.

Soulages wollte sich einfach von den Altlasten der Malereitradition lösen, sowohl ikonografisch-kunsthistorisch als auch technisch.

In einem Text beschreiben Sie das Meditative in seiner Kunst und den Versuch, sich „jedes Assoziationsversuchs zu entledigen“.

Bußmann: Soulages ist kein metaphysischer oder an Theorien interessierter Künstler. Es geht ihm um die direkte und unverfälschte ästhetische Erfahrung, das Hier und Jetzt in Konfrontation mit der Malerei und dem auf der Farbe gebrochenen Licht. Soulages will uns durch seine Kunst konfrontieren mit einem „Licht, das nur der Malerei angehört, aus der Malerei kommt“, wie er sagt.

Dabei hat ihn die mittelalterliche Abteikirche von Conques als Junge sehr geprägt. Die romanische Architektur und das besondere Licht dort, haben seinen Entschluss bestärkt, Künstler werden zu wollen, aber nicht um Theologie zu illustrieren, sondern um, einen Ort der intensiven ästhetischen und vielleicht auch spirituellen Erfahrung zu schaffen, so würde ich es verstehen. Er denkt den Kontext mit: Wo wird ein Werk ausgestellt, welche Lichtverhältnisse sind dort, wie kann es wahrgenommen werden.

Soulages‘ Malerei entspricht der Idee des ‚offenen Kunstwerks‘, einer These aus dem Jahr 1962 von Umberto Eco, dem italienischen Semiotiker: Die erweiterte moderne Kunst zeichnet sich durch Unabgeschlossenheit, symbolische bzw. narrative Offenheit aus, die Raum für unterschiedliche Betrachtungsweisen durch die Betrachter:innen lässt. Die Wahrnehmung wird Teil des Werks.

Soulages will, dass die Betrachter:innen sich fokussieren auf das, was sie in seiner Kunst ästhetisch erfahren und nicht auf eine bestimmte Interpretation oder Symbolik. Seine Malerei illustriert keine dem Bild fremden Themen. Sie erzählt keine Geschichten, sondern wir sollen den Kopf frei halten für die Gegenwart der Erfahrung.

Er konfrontiert uns mit inhaltlicher Leere. Wenn wir damit beschäftigt sind, beim Sehen über Geschichten nachzudenken oder diese zu vervollständigen, achten wir nicht mehr auf die Kunst, sie wird dann Vehikel für andere Felder, und das ist nicht das, was Soulages will. Insofern entdecke ich in der ikonographischen Leere seiner Bilder eine große Offenheit und Unbestimmtheit, die für mich etwas Meditatives hat.

 

Soulages konfrontiert uns mit inhaltlicher Leere. 

Dr. Frédéric Bußmann, seit 2018 Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz

Sie haben Pierre Soulages schon vor über 20 Jahren persönlich kennengelernt. Können Sie darüber etwas erzählen? Wie würden Sie ihn beschreiben?

Bußmann: Ja, ich habe ihn vier Mal persönlich getroffen. Das erste Mal war 1994 in Münster, als er im Lichthof des Westfälischen Landesmuseums Outrenoir-Bilder und die Entwürfe für die Abteikirche in Conques gezeigt hat. Ich war damals 20, mein Vater Direktor des Landesmuseums, und er kam zu uns nach Hause. Mein Vater lud immer die Künstler nach Hause ein, was meistens sehr spannend war.

Ich war nachhaltig von Soulages beeindruckt, sowohl von seiner Malerei, die wunderbar im Lichthof präsentiert war, weil das Licht eben von oben kam und genau die Wirkung erzielte, die Soulages wollte. Und von ihm als Person, ein groß gewachsener, imposanter, ein etwas strenger Mann mit viel Charme und Esprit. Er ist eine Persönlichkeit, die sofort den Raum und die Menschen einnimmt, der man gegenüber sowohl Sympathie als auch Respekt entwickelt, einfach im besten Sinne und doch unprätentiös.

Die Präsentation im Lichthof in Münster, und die Präsenz der Malerei haben mich nachhaltig beeindruckt, ebenso der Besuch der Abteikirche in Conques, in dem Licht, Farbe, Architektur zu einem einzigartigen Zusammenspiel gefunden haben, das Zeitgenössische sich mit dem Historischen verbindet und etwas hoch Stimulierendes entsteht. Mich beeindrucken die Stärke der Menschen, Orte mit Energien zu schaffen, die etwas mit einem machen, die einen ergreifen, bewegen, gedanklich, emotional. Und Conques ist so ein Ort.

Als ich 2018 in Chemnitz als Generaldirektor anfing, habe ich angesichts des großartigen Oberlichtsaals am Theaterplatz sofort wieder an Pierre Soulages denken müssen, an die Wirkung und Präsenz seiner Bilder in Münster. Und da er Ende 2019 auch seinen 100. Geburtstag feierte und zugleich eine wichtige internationale Position im Bereich der Malerei ist, habe ich sofort daran gedacht, eine Ausstellung mit ihm zu machen. Ich rief Robert Fleck an, der zuvor schon bei der Daniel Buren-Ausstellung in Chemnitz mitgearbeitet hatte und gerade ein Buch zu Pierre Soulages veröffentlicht hatte, und gemeinsam besuchten wir dann 2019 Soulages in Sète, wo er mit seiner Frau Colette seit den 1950er Jahren wohnt und arbeitet, wenn er nicht in Paris ist.

Er ist nach wie vor eine extrem beeindruckende Persönlichkeit, die nichts von ihrer Präsenz und Klarheit, Stringenz im Denken und Handeln verloren hat. Aber auch seine Frau Colette, die sein wichtigster nicht nur emotionaler Partner ist, sondern auch mit ihm über seine Kunst spricht und berät, ist eine hoch beeindruckende Frau, voller Klarheit und Präsenz, und beide haben viel Humor, ohne oberflächlich zu sein. Es sind andere Welten, ein ganzes Jahrhundert, das beide erlebt haben. Angesichts dieser Erfahrungen und Lebenskenntnis denke ich voller Ehrfurcht und mit tiefem Respekt, mit großem Wohlwollen und einem Gefühl der Wärme an die beiden zurück.

 

Pierre Soulages prägt die Kunstwelt bis heute. Was macht seine Arbeiten so anziehend?

Bußmann: Es ist zuerst eine Beobachtung, die ich mache, dass Soulages auch als 100-Jähriger nach wie vor sehr aktiv ist. Er ist auch weiterhin mit ganz neuen Arbeiten in Ausstellungen präsent, und es besteht ein großes Interesse an seiner Malerei, die ich auch von jüngeren Maler:innen vernehme. Aus meiner Sicht wird seine aktuelle Malerei nicht schwächer, ist keine schlechte Kopie dessen, was er vor Jahrzehnten geschaffen hat, etwa nur um die Gefälligkeiten des Kunstmarkts zu bedienen, das braucht er nicht mehr, sondern es handelt sich hier um eine kontinuierliche und ernsthafte Weiterentwicklung der künstlerischen Fragestellungen seit 75 Jahren, die mich persönlich immer wieder in ihren Bann ziehen und überzeugen.

Er bleibt dran, er arbeitet sich ab, völlig unbeirrt und unbeeindruckt von Äußerlichkeiten. Man sieht das an den jüngsten drei Arbeiten in der Ausstellung, drei hochformatigen Malereien, die er 2019 für seine jüngste Ausstellung im Louvre gemalt hat und die von einer unglaublichen Vitalität und Stringenz des malerischen Vokabulars zeugen, ohne sich zu wiederholen.

Alfred Pacquement, der ehemalige Direktor des Pariser Centre Pompidou, bester Kenner seines Werks und Kurator der Ausstellung bezeichnet dies treffenderweise als „bemerkenswerte Kohärenz, einer Kontinuität in der Vielfalt“. Vielleicht ist es diese konsequente Haltung, die heute für jüngere Künstler:innen interessant ist, das strenge Abarbeiten an malerischen Fragen, ohne sich zu verlaufen oder zu verspielen, oder manieriert zu werden?

Das Interesse könnte auch etwas mit einer gewissen Müdigkeit gegenüber dem Digitalen zu tun haben: Soulages Werke müssen im Raum erfahren werden, erlebt werden, keine Reproduktion, kein Filter bringt uns auch nur annähernd an die direkte Erfahrung der Malerei vor Ort.

Soulages

28. 3. – 27. 6., Kunstsammlungen am Theaterplatz

Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz

www.kunstsammlungen-chemnitz.de

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