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Im Interview: Science-Fiction-Autorin Kathleen Weise

„Literatur spiegelt das, was sie sieht“

Die Leipziger Autorin Kathleen Weise macht sich Gedanken ums Universum der Zukunft © Boris Koch

Kathleen Weise lebt in Leipzig und liefert in bester Regelmäßigkeit große Literatur ab. Was sich ganz Besonders anfühlt ist, dass sie dies im von Männern geprägten Segment Science-Fiction macht. Wobei das Geschlecht bei der Literatur – wenn wir es mal entspannt angehen – doch recht nebensächlich sein sollte. Die wichtigen Fragen stellt Ahoi-Redakteur Volly Tanner der Schriftstellerin dann aber doch.

Ahoi: Herzlichen Glückwunsch zum neuen Buch „Der vierte Mond“ (Heyne-Verlag). Ich durfte ja schon etwas hineinlesen und bin sehr angetan. Besonders die Zeichnung der Charaktere hat mir fast die Sprache verschlagen. Du packst ziemlich viel Geschichte in deine Protagonisten hinein. Das bin ich gar nicht mehr gewöhnt. War das zu Anbeginn der Konzeption des Buchs schon so angedacht?

Vermutlich hängt das damit zusammen, dass mich immer mehr interessiert, wie Figuren auf ein Ereignis reagieren als das Ereignis selbst. Wenn ich eine Geschichte über einen Vulkanausbruch schreiben würde, dann wahrscheinlich nicht die Action, wie sie sich vor den Feuerfluten retten müssen, sondern wie sie anschließend mit dem Verlust ihres Zuhauses, ihrer Mitmenschen umgehen und sich mit dem eigenen Überleben auseinandersetzen. Ich muss also über meine Figuren ziemlich gut Bescheid wissen, wie ihr Hintergrund aussieht etc. Nur dann wird die Story für mich greifbar. Meistens gibt es eine Art Vorlage aus der Realität, die mich zu dieser Figur inspiriert hat, ohne dass ich eins-zu-eins Menschen übernehme. Da baut sich natürlich dann viel Stoff auf. 

 

Ahoi: Wie schreibst du solche Bücher? Das dauert ja auch und erfordert Disziplin, auch in der Gestaltung der Arbeit. Kannst du uns da bitte etwas dazu erzählen?

Der Roman war keine Auftragsarbeit, daher konnte ich mir am Anfang sehr viel Zeit lassen. „Der vierte Mond“ sollte ursprünglich in vier Episoden erzählt werden, die meisten von Uches Passagen habe ich am Stück geschrieben, mit ihm begann die Reise. Er ist sozusagen das Herzstück und gibt den Ton für das ganze Buch vor. Später habe ich dann gemerkt, dass ich die Figuren doch ineinander verschränken muss, weil die Geschichte sonst zeitlich nicht aufgeht, außerdem sind noch zwei Perspektiven hinzugekommen.

Grundsätzlich bin ich aber ein großer Planer, so richtig mit vierfarbigen Kapitellisten und dicken Rechercheordnern. Die reine Schreibzeit ist dann jedoch weniger durchgeplant. Ich habe keine strenge Schreibroutine, das Leben mit Kind gibt da viel vor. Ich versuche, kein allzu schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mal einen Tag nicht so viel schreibe, solange es andere Tage gibt, an denen ich wieder mehr schreibe.

Am wichtigsten ist für mich die Überarbeitung. Ich führe Dutzende Überarbeitungsgänge für das gesamte Manuskript durch. Und am allerwichtigsten ist die Phase, in der ich das Manuskript liegen lasse. Die letzten Überarbeitungen erfolgen immer erst, wenn ich ein bisschen Abstand davon habe.  

Ahoi: Dein Zukunftsentwurf ist sehr stark geprägt von der Macht der Firmen, obwohl die Geschichte ja noch etwas entfernt in der Zeit spielt. Wenn ich mir nun die letzten Jahrhunderte anschaue und die Geschwindigkeit der derzeitigen Entwicklungen, werden mein innerer Futurologe und ich ja auch grauhaarig. So wenig Hoffnung?

Nein, im Gegenteil! Natürlich nimmt der Einfluss großer Konzerne zu, nicht ohne Grund liegen viele Büros global agierender Konzerne in Brüssel in der Nähe von Parlament und Council der EU. Und auch die Klimaveränderung wird in den nächsten Jahrzehnten Konflikte mit sich bringen.

Auf der anderen Seite geht natürlich auch die gesellschaftliche und technische Entwicklung weiter, und im Gegensatz zu vielen Technikskeptikern denke ich nicht, dass eine Super-KI den Aufstand der Maschinen durchführen wird. Technik ist immer auch Hilfsmittel, und wenn es Leute gibt, die daran arbeiten, Maschinen zu bauen, die das Plastik aus dem Meer fischen, und neue Vereine, die sich für Sozialprojekte einsetzen, dann sind das so Beispiele für eine positive Entwicklung. 

Ahoi: Science-Fiction (SF) kann zur Diskussion über gesellschaftliche Entwicklungen immens viel beitragen. Spielt dieser Gedanke in deinem Inneren beim Schreiben mit oder willst du einfach nur unterhalten, was ja auch völlig legitim wäre? Was treibt dich an beim Schreiben?

Ich weiß, dass SF gern als das Genre genannt wird, das besonders die Gegenwart spiegelt, weil es ihre Auswirkungen anhand der Zukunft zeigt, aber im Grunde gilt das doch für jede Art Literatur – sie kann ja nur das spiegeln, was sie sieht. Das Genre ist also meiner eigenen Vorliebe geschuldet, weil es mir gewisse Freiheiten erlaubt. Ich kann in vielem vom Jetzt abweichen, meine Städte müssen nicht der Realität entsprechen, meine Bevölkerungszusammensetzung muss es nicht, mein Klima kann anders sein ebenso wie die Regeln des Zusammenlebens. Niemand wird sagen: Aber dieses Haus steht da nicht! Weil eben niemand weiß, wie das in hundert Jahren so aussieht.

Trotzdem ist es bisher bei mir SF gewesen und nicht Fantasy, weil ich mich nicht zu sehr von der Realität entfernen will. Unabhängig vom Genre kommt es ja auch darauf an, was man unter „Unterhaltung“ versteht. Der eine möchte gern den Kopf abschalten, der andere findet es unterhaltsam, wenn er ihn anstrengen muss. Beim Schreiben selbst denke ich noch nicht ans Lesepublikum. Bei den Texten, die keine Auftragsarbeiten sind (wie „Wenn wir nach den Sternen greifen“ und eben „Der vierte Mond“), beschäftige ich mich ja schreibend mit einem oder mehreren Themen. Es ist meine Auseinandersetzung damit.

Es geht also nicht so sehr darum, was der Autor dem Leser anbietet, sondern was der Autor während des Schreibens verarbeitet hat. Wenn der Text im Anschluss eine Diskussion über gesellschaftliche Entwicklungen auslöst, ist das die Folge, aber nicht der Grund für die Entstehung des Textes.

Ich finde es aber schön, wenn Texte ihren eigenen Soundtrack erhalten, der extra für sie entsteht. Ich mag solche Crossover-Projekte, auch wenn Grafiken und Illustrationen zu Texten entstehen, ich bin ja auch ein großer Comicfan. Kathleen Weise 

Ahoi: Auf deiner Homepage fand ich „The Barn Poets“ und genoss die Zeit auf dieser Unterseite. Kannst du unseren Leserschaften bitte etwas über „The Barn Poets“ erzählen?

Die „Scheunenpoeten“ sind ein Zusammenschluss von befreundeten Musikern und Autoren, die sich zum Teil schon aus der Schulzeit kennen. Martin Kraemer, Christina McAllister, Boris Koch und ich. In meinem Roman „Wenn wir nach den Sternen greifen“ ist die Hauptfigur Ianthe ja Musikerin, und Martin und Christina haben mir die fünf Songs im Buch vertont, weil ich Christinas Stimme für Ianthe auch beim Schreiben im Kopf hatte. Wir sind auch schon zusammen aufgetreten, eben in Kombination mit Musik und Lesung, aber Corona hat einigen geplanten Terminen dann einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Es sind aber weitere Projekte geplant.

Während des Schreibens höre ich eigentlich nie Musik, erst während des Überarbeitens. Ich finde es aber schön, wenn Texte ihren eigenen Soundtrack erhalten, der extra für sie entsteht. Ich mag solche Crossover-Projekte, auch wenn Grafiken und Illustrationen zu Texten entstehen, ich bin ja auch ein großer Comicfan.

 

Ahoi: Bei „The Barn Poets“ macht ja auch dein Mann Boris Koch mit, der im Fantasy-Bereich gerade einer der ganz vorne Agierenden ist. Wie funktioniert denn eine Autorenehe? Moppst ihr euch gegenseitig die Ideen? Geht‘s auch mal ohne Literatur? Schreibende leben ja immer in zwei Welten, auch am Essenstisch, in der Realität und in der Geschichte. Oder ist das anders bei euch?

Zum Glück schreiben Boris und ich so unterschiedlich, dass wir mit den Ideen des anderen gar nichts anfangen könnten. Im Gegenteil, ich sage öfter zu ihm: „Du könntest doch mal über Folgendes schreiben ...“, aber irgendwie will er immer seine eigenen Ideen umsetzen [lacht]. Es stimmt allerdings, dass wir manchmal Arbeit und Freizeit schwer voneinander trennen können, weil sich das Reden über Bücher ja kaum nach Arbeit anfühlt. Da muss man manchmal ganz bewusst das Thema wechseln, sonst kommt der Kopf nie zur Ruhe. Schwierig wird es eigentlich nur, wenn beide eine Deadline zur gleichen Zeit haben. Das versuchen wir zu vermeiden, damit es nicht zu stressig wird. 

 

Ahoi: Der vierte Mond hat mich mit vielem wieder versöhnt, was mir in der derzeitigen SF und überhaupt in der Belletristik gegen den Strich ging. Ist Corona vielleicht sogar eine Chance für SF? Weil die Schreibenden ja derzeit wirklich nur am Text arbeiten und nicht über die Promobühnen tingeln müssen? Wie hast du Corona erlebt bis dato?

Danke erst einmal für das Kompliment. Es wäre schön, wenn ich behaupten könnte, dass ich Corona etwas Positives für die Arbeit abgewinnen kann, leider ist das Gegenteil der Fall. Mit den wegfallenden Veranstaltungen sind ja leider auch Honorare weggebrochen, und das in unserem Fall eben doppelt. Und die geschlossenen Buchhandlungen machen sich natürlich in den Verkäufen bemerkbar. Da außerdem die Kindergärten geschlossen waren, hatten wir das Kind zu Hause, was ein Arbeiten zusätzlich erschwert. Ich habe also effektiv deutlich weniger geschrieben als vorher. Die Menschen und sich selbst unter Pandemiebedingungen zu erleben und zu beobachten, hat sicher irgendwann Einfluss auf Texte, das muss ja auch verarbeitet werden, aber in der Zeit des Lockdowns selbst, ging die Kreativität allerdings zurück. 

Inwieweit solche Erlebnisse eine Chance für das Genre SF sind, wird sich auch zeigen. Inhaltlich machen sie sicher neue Themenfelder auf, aber die Frage ist, wie viele Pandemieromane verträgt der Markt? Ich habe eher den Verdacht, dass die sogenannten „Wohlfühlromane“ wieder verstärkt kommen werden, weil sich die Menschen eben nach besseren Zeiten sehnen. 

Was der SF sicher gut tut, ist die momentan wieder erwachte Begeisterung der Leute für die Raumfahrt, das merkt man schon seit ein paar Jahren, weil die SF ja nun auch im Kinderbuchbereich Einzug hält, wo sie traditionell eher schwach vertreten ist. Auch aus der Jugendbuchszene kommen in Deutschland immer wieder wichtige Impulse, weil die bei uns einfach sehr stark ist. Ich bin also optimistisch, was die SF betrifft – und auch alles andere.

 

Ahoi. Danke für deine Antworten. Auf dass „Der vierte Mond“ von möglichst vielen Menschen gelesen wird.

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