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  • Interviews
Science-Fiction-Expertin und Politikwissenschaftlerin Dr. Isabella Hermann im Gespräch

"Die Frage ist nicht, ob wir als Spezies überleben, sondern wie wir überleben."

Dr. Isabella Hermann beleuchtet die Verbindungen zwischen Science-Fiction und Realität © Stiftung Zukunft Berlin

Die Polykrise penetriert uns tagtäglich und nachtnächtlich mit neuen menschlichen Katastrophen. Und falls dies für einige Erdenmenschen, gerade hier im reichen Westen, nicht ausreicht, ziehen sie sich noch alle Untaten der Vergangenheit rein, wie Süchtelnde, die nicht genug bekommen können von ihrem dystopischen Stoff.

Hier kann das konsequente anti-dystopische Denken und Handeln helfen, welches zwar selten, aber immerhin, in Science-Fiction-Werken zu finden ist. Schließlich sind auch die dunkelsten Bücher oft von großen Humanisten geschrieben worden, die warnen möchten vor allzuviel Gleichschritt und Regierungshörigkeit. Demokratie und Mündigkeit heißt zuallererst Zweifeln. Dr. Isabella Hermann macht sich Gedanken und teilt sie Ahoi-Redakteur Volly Tanner mit. Noch ist unsere Spezies nicht verloren: 

Ahoi: Guten Tag, Frau Dr. Isabella Hermann. Sie sind Politikwissenschaftlerin und Science-Fiction-Expertin. Auf Ihrer Homepage erlas ich mir ein Statement von Ihnen: „Science-Fiction kann helfen, die Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen." Inwiefern?

Dr. Isabella Hermann: Science-Fiction ist ja das Genre, das hauptsächlich vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, aber auch ökologischen Konsequenzen handelt. Wirtschaft und Wissenschaft haben schon immer in die Science-Fiction geschaut, um sich inspirieren zu lassen. Bei dem aktuellen rasanten technischen Fortschritt, zum Beispiel im Bereich von Künstlicher Intelligenz und Robotik, blicken aber auch immer mehr Behörden, Bildungseinrichtungen oder auch die Medien auf die Science-Fiction, um zu erfahren, was möglicherweise auf uns zukommt und wie wir mit den neuen Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklungen umgehen können. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es in der Science-Fiction – auch wenn die Geschichten in der Zukunft spielen – dennoch immer um Ängste und Hoffnungen der Gegenwart geht, die in eine fiktionale Zukunft projiziert werden, und die dadurch viel stärker hervortreten. Science-Fiction ist also wie ein Vergrößerungsglas aktueller Sorgen und Wünsche, denen wir uns für eine positive Zukunft stellen müssen.

Ahoi: Wie kam es, dass Sie ins Feld der Science-Fiction eintauchten?

Dr. Isabella Hermann: Ich kam tatsächlich über „Star Trek – Die nächste Generation" zur Science-Fiction, das habe ich in den 1990ern als Kind nachmittags nach der Schule geschaut. Und daran hat mich nicht so sehr die Technik fasziniert wie der Warp-Antrieb, das Beamen oder der Tricorder, sondern das Politische, welche Konflikte sich mit anderen Alien-Zivilisationen ergeben, das diplomatische Geschick von Captain Picard, wie um die liberalen Werte der Föderation gerungen wird. Diese Faszination für die Verbindung von Politik und Science-Fiction hat mich auch nicht mehr losgelassen, so habe ich dann auch Politikwissenschaft studiert und analysiere Science-Fiction weiterhin stark aus dieser Perspektive.

Ahoi: 2022 veröffentlichten Sie einen Beitrag zu den demokratischen Werten im Metaverse und der europäischen Sicht darauf, die sich ja auch ganz klar von der amerikanischen unterscheidet. Was kommt hier auf uns zu?

Dr. Isabella Hermann: Das ist auch wieder so ein Thema, bei dem die Realität die Science-Fiction mittlerweile einholt, und die ganzen Silicon-Valley-Unternehmer erklären ja auch immer wieder, dass sie von Science-Fiction-Werken beeinflusst sind – der Begriff Metaverse kommt auch aus dem Roman Snow Crash von Neal Stephenson aus dem Jahr 1992, nach dem Mark Zuckerberg sein Unternehmen „Meta" benannt hat. Allerdings ist der Roman eine Dystopie, die von demokratischem Verfall und rücksichtslosem Kapitalismus geprägt ist, man darf sich also wundern, was Zuckerberg mit der Namensgebung der Welt mitteilen möchte. Der Hype ums Metaverse und virtuelle Realitäten ist ja wieder etwas abgeflaut, da die technischen Voraussetzungen noch nicht ganz reif sind, das kann sich aber schnell wieder ändern. Und es gibt auch sehr sinnvolle Anwendungsszenarien zum Beispiel in allen denkbaren Ausbildungs- und Trainingsumgebungen von medizinischen Eingriffen bis Katastrophenschutz. Was aber Anlass zur Sorge geben kann, ist, dass bei einer Nutzung im Alltag zum Beispiel zum Shoppen oder um Freunde zu treffen – und dies planen ja die großen Tech-Konzerne – noch viel mehr unserer Daten abgeschöpft werden könnten. Und das wiederum eröffnet noch größere Räume für Polarisierung und Manipulation, wie wir es schon von den aktuellen Social-Media kennen. Vor dem Hintergrund muss man die EU-Regulierung rund um AI Act, Digital Markets Act und Digital Services Act schon positiv sehen.

Ahoi: In der Zeitschrift für Fantastikforschung gab es den Beitrag „Die Dystopie ist da, die Utopie ist tot – es lebe die Anti-Dystopie!". Dafür braucht es jedoch auch antidystopische Erfahrungswelten bei breiten Bevölkerungsschichten. Wie können diese generiert werden?

Dr. Isabella Hermann: Zuallererst durch Geschichten! Das ist auch eine Stärke der Science-Fiction, dass sie alternative Erfahrungswelten und Emotionen erlebbar macht. Aktuell sind wir nicht nur von vielen negativen Entwicklungen umgeben – man spricht von der Polykrise – sondern werden auch mit einer Unzahl an dystopischen Geschichten konfrontiert, in denen sich alles nur zum Schlechten wendet. Anti-Dystopisch heißt, dass wir uns auch in Krisen und Katastrophen für eine bessere Zukunft einsetzen können. Kim Stanley Robinsons Roman „Das Ministerium für die Zukunft" geht beispielsweise in diese Richtung. Das kann eine Motivation sein, sich auch im direkten Umfeld und alltäglichem Umgang gegen dystopische Zustände zu stellen.

Ahoi: Der Begriff des Transhumanismus wabert immer wieder durch die auch in breiten Schichten angesiedelten Medien. Was ist das überhaupt?

Dr. Isabella Hermann: Transhumanismus ist eine Bewegung, die danach strebt, den Menschen durch Technik zu „verbessern", auf dass wir länger leben und leistungsfähiger sind. Das problematische ist hier, wer dieses „wir" eigentlich ist – denn vorangetrieben werden diese Ideen unter anderem von reichen Tech-Unternehmern, denen es eher um Verbesserung der Menschen im eigenen elitären Zirkel geht. Menschsein wird hier auch sehr technisch aufgefasst und der menschliche Körper als etwas Defizitäres, und dem würde ich entschieden widersprechen. Vielleicht sollten wir uns doch mehr unserem emotionalen und psychischen Wohlbefinden zuwenden, anstelle uns immer weiter körperlich optimieren zu wollen.

Ahoi: Sie bieten auch Workshops an: für wen und worum geht es hier?

Dr. Isabella Hermann: Es gibt unterschiedliche Formate, bei denen ich mich auch mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen zusammentue. Zielgruppe sind vorwiegend Führungskräfte und Mitarbeitende in Unternehmen, Institutionen oder Behörden, die sich kritisch und experimentierfreudig mit Zukunftsthemen auseinandersetzen möchten, zum Beispiel zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder modernen Führungskompetenzen. Dabei verwenden wir Beispiele aus der Science-Fiction, setzen das Genre aber auch als Methode ein, um über den Tellerrand zu blicken, und vor allem auch gängige Mythen zu entlarven.

Ahoi: Elon Musk spricht von der Menschheit als einer transplanetaren Spezies. Science-Fiction hat dieses Thema schon lange auf dem Tisch. Schaffen wir den Sprung, bevor wir hier alles zugrunde richten? Was muss geschehen, damit die Menschheit als Spezies überleben kann?

Dr. Isabella Hermann: Ich denke die Frage ist nicht, ob wir als Spezies überleben, sondern wie wir überleben. Wenn wir angeführt von Elon Musk das Weltall besiedeln, löst das bei mir keine Begeisterungsstürme aus. Im anti-dystopischen Sinn wird es für die Menschheit wohl am besten sein, wenn es nicht nur um rücksichtslosen technischen Fortschritt geht, sondern unser Zusammenleben auf dem Planeten von Gerechtigkeit und Solidarität geprägt ist – das sind nicht nur große Worte, damit kann jeder und jede auch im direkten Umfeld gleich anfangen.

Ahoi: Danke, liebe Frau Dr. Hermann für Ihre Zeit und Ihre Worte. Hoffen wir auf die Zukunft.

Dr. Isabella Hermann: www.isabella-hermann.de

Hermann, Isabella (2023): Science-Fiction zur Einführung. Junius Verlag. Hamburg. - https://www.junius-verlag.de/Programm/Zur-Einfuehrung/Science-Fiction-zur-Einfuehrung.html

Hermann, Isabella (2023): Artificial Intelligence in Fiction: Between Narratives and Metaphors. AI & Society 38, S. 319-329. (open access: https://doi.org/10.1007/s00146-021-01299-6)

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