//
//
  • Interviews
Eine Reise, ein Aufbruch ins Entdecken

Gespräch mit der wunderbaren Musikerin Michelle Bernard

Michelle Bernard im Vordergrund und Anika Paulick, leicht versetzt, sind lola.gelb © Robert Weinhold

Es gab und gibt so viel wundervolle Musik auf diesem Planeten. Und hier, in Leipzig, ebenso. Das Duo lola.gelb bringt diese wundervolle Musik zu Gehör. Und die ästhetischen Grundbedürfnisse des Publikums werden auch gleich mit erfüllt. Ahoi-Redakteur Volly Tanner traf auf Michelle Bernard und sprach mit ihr unter anderem über die baldigen Auftritte in der „Schille“, ganz nah am pumpenden Herzen unserer Stadt:

 

Ahoi: Guten Tag, liebe Michelle Bernard. Am 11. Und 12. März bist du mit deiner Partnerin Anika Paulick als lola.gelb im Theaterhaus Schille kulturbringend zu Gast. Euer Programm heißt: „Aufbruch. Und wo bin dann ich?“ und es werden Lieder gesungen. Dabei, so erlas ich mir, sind nicht nur „nette Lieder“ ausgesucht worden. Welches „unnette“ Liedgut habt ihr denn dabei?

Michelle Bernard: Unser Programm beginnt entspannt, fast vage in der Formulierung, wohin es an diesem Abend gehen soll. „So oder so ist das Leben“ und „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, zwei absolute Klassiker - ich möchte fast sagen Schlager des Chansons - geben dem Publikum einen zunächst angenehmen Reiseaufbruch. Dennoch ist der Fingerzeig dieser gefällig erscheinenden Songs eindeutig: Du hast immer eine Wahl! Übernimm Verantwortung für dich und dein Leben!

Bereits ab diesem Punkt lassen wir unser Publikum nicht mehr in Ruhe: Spätestens ab der dritten Nummer werden die Zuhörerinnen und Zuhörer von uns gezwungen, wach zu sein, mitzudenken, mitzuleiden: „Was die Herren Matrosen sagen“ aus Kurt Weills „Happy End“ ist eine bitterböse Gesellschaftskritik. Unter dem Mantel eines ausschweifenden Matrosensongs, frei nach dem Motto „Abschied von den hellen Nächten“, wird der gesellschaftliche (Welt-)Untergang als poetischer Schiffbruch heraufbeschworen und verlacht. Aber auch das moderne, satirisch sarkastische Chanson hat mit Liedern von Pigor singt. Benedikt Eichhorn muss begleiten Ehrenplätze in unserem Programm bekommen.

 

Ahoi: Die Stücke spiegeln den damaligen „Zeitgeist“ – ein zutiefst deutsches Wort – wieder, der auch heute nach der propagierten Zeitenwende Urständ feiert – da ist die Angst vor dem allausufernden Kriegsgeschrei, das Leben als Bohemian, der Tanz auf den Vulkanen. Wie habt ihr die Stücke ausgesucht?

Michelle Bernard: All diese Stichworte und Lebensgefühle, die vor gut hundert Jahren das Sein bestimmt haben, stecken selbstverständlich in den von uns gewählten Liedern. Uns ist es dennoch wichtig, dass das Publikum die Wege und Geschichten, die wir aufzeigen, nicht vor einem vorgegebenen Hintergrund wahrnimmt, sondern sich selbst in diesen Rahmen versetzt und die Lieder ganz persönlich nimmt und sich persönlich angesprochen fühlt.

Bei der Entwicklung unseres Programms haben wir es uns erlaubt, uns von jeglicher vorgegebenen Programmatik, sei es stilistischer oder dramaturgischer Natur, frei zu machen. Das hat sich von Anfang an als oberste Priorität für uns ganz natürlich herauskristallisiert. Als klassisch ausgebildete Musikerinnen ist das etwas, wonach man sich wahrscheinlich früher oder später einfach sehnt: freier entscheiden können, einfach mal drauflos improvisieren, gewohnte Tempi komplett anders an- und das dann auch noch als Endprodukt dem Publikum vorzusetzen. Wir haben gemerkt, dass der Prozess des Loslassens entscheidend für das Entstehen und Erblühen unserer Interpretationen ist und vertrauen inzwischen darauf, dass das, was im Moment entsteht, genau richtig ist.

Unser roter Faden - das Aufbrechen, das Suchen, das Finden - ist manchmal gut sichtbar, manchmal schimmert er nur sehr fein durch und webt schließlich einen Flickenteppich, der aus den Kurzgeschichten und Momentaufnahmen, den charmanten Schicksalen und gewagten Gedanken der Komponistinnen und Komponisten sowie der Texterinnen und Texter entsteht.

Das heißt, dass wir im ersten Moment bewusst auf ein Konzept verzichtet haben. Wir sind ganz einfach den Liedern nachgegangen, die uns ganz natürlich angesprochen haben: Bei welchen Liedern fange ich an, stundenlang nach Spielvariationen zu suchen, welche Stücke strahlen so vor Energie, dass wir beim gemeinsamen Musizieren gar nicht genug bekommen können? Wir haben über die Texte gesprochen, über Interpretationsmöglichkeiten diskutiert, viel allein geübt und ausprobiert, um immer wieder frisch in die nächste gemeinsame Probe gehen zu können. Daraus hat sich letztlich unser musikalischer Kosmos gebildet: eine Reise, ein Aufbruch ins Entdecken.

 

Ahoi: Wie kam es, dass ihr als Repräsentantinnen des Kurt-Weill-Fests bei der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin auftratet?

Michelle Bernard: Diese Veranstaltung findet jährlich als eine Art Teaser für das kommende Kurt Weill Fest statt. Zum einen ist die Förderung junger Künstlerinnen und Künstler für die Festivalleitung integraler Bestandteil des bunt gefächerten Portfolios. Zum anderen war es den Veranstalterinnen und Veranstaltern ein Anliegen, an diesem Abend Musik zu spielen, die stellvertretend für die Ursprünge des Festivals steht: Werke von Kurt Weill und Chansons seiner Zeit - Lieder zum Aufhorchen, zum Sich-beklommen-und-ertappt-Fühlen, aber auch Lieder voller Empfindungen und tiefer Gefühle. Diese Bandbreite bietet unser Programm. Gerade richtig für das Berliner Publikum, das einen so innigen und wachen Bezug zu Kurt Weill und lebendiger Musik hat.

 

Ahoi: Wie seid ihr überhaupt aufeinander gestoßen als lola.gelb?

Michelle Bernard: Als Studentinnen der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sind wir uns jahrelang immer wieder über den Weg, aber letztlich doch aneinander vorbeigelaufen. 2018 waren Anika und ich für eine Opernproduktion der Kammeroper Rheinsberg engagiert und haben dort zwischen den Proben und vor allem bis spät in die Nacht einfach gemeinsam Musik gemacht. Diese unfassbar intimen und intensiven Momente, die nur uns gehörten, haben uns nicht mehr losgelassen. Man trifft selten auf jemanden, mit dem das Musizieren und Improvisieren im Moment völlig mühelos, ehrlich und ganz nah stattfindet. Also haben wir langsam, aber stetig, während der vergangenen Jahre an einem gemeinsamen Konzept gearbeitet.

 

Ahoi: In der Presseinfo zu lola.gelb steht, dass dich selbst Chanson schon seit Kindesbeinen begleitet. Was heißt das denn konkret?

Michelle Bernard: Meine Eltern sind und waren selbst Musikerin und Musiker. Das heißt, wenn Geburtstage, Familienzusammenkünfte oder Silvester auf dem Plan stehen, setzt sich bis heute mein Papa ans Klavier und spielt stundenlang alles von Georg Kreisler, Theo Mackeben über Elton John bis hin zu „Es steht ein Soldat am Wolgastrand" und einem wilden Potpourri aus Udo Jürgens Songs. Die ganze Familie sitzt um das Klavier, tanzt, mimt ein Balalaika-Orchester und singt lauthals mit (teils ist es ehrlicherweise Grölen). Mit diesen Momenten und dieser Art der Musik verbinde ich Werke, Erinnerungen und Resonanzen (musikalisch und menschlicher Natur), die fernab von Konzert- und Opernbühnen einfach nur dem Selbstzweck dienen und inmitten einer Familie so viel Freude und Ausgelassenheit bringen, dass ihre Energie bis heute in meine eigenen Interpretationen hinein strahlt.

 

Ahoi: Du bespielst, so erzählte mir ein Freund (Tobias Fiedler), auch solo am Klavier Bühnen. Was kredenzt du denn da für Material?

Michelle Bernard: Ich liebe Oper. So sehr. Glücklicherweise bin ich Korrepetitorin. Das heißt, ich studiere Opernrepertoire mit Sängerinnen und Sängern musikalisch ein und spiele diese dann auf den szenischen Proben. Seit einigen Monaten bin ich endlich wieder freiberuflich unterwegs und habe das Glück, als Gast an so wunderbaren Häusern wie den Theatern Chemnitz und zuletzt am Staatstheater Cottbus (“Tristan und Isolde“) engagiert zu sein. Demnächst steht “Wozzeck” von Alban Berg auf meinem Plan - eine meiner absoluten Lieblingsopern.

 

Ahoi: Zu solch einem Projekt wie lola.gelb braucht es doch auch Tonträger zum „daheeme“ hören. Wie ist denn da der Status?

Michelle Bernard: Das ist ein ganz heißer Punkt auf unserer To-Do-Liste, den wir unbedingt noch in diesem Jahr seiner Erfüllung entgegenbringen wollen. Am liebsten wäre uns ein gemütlicher Semi Live Mitschnitt, der den Zuhörerinnen und Zuhörern das Erlebnis unseres Konzerts direkt wieder vor Augen und Ohren führt. Außerdem werden wir demnächst ein zweites Programm auf den Weg bringen. Uns fehlt nur noch ein ruhiger, abgeschiedener Probenort mit Flügel, Meeres- oder Waldesnähe und genug Platz für einen großen Vizsla.

 

Ahoi: Dann wünschen wir euch jedenfalls in der „Schille“ ein volles und bejubeltes Konzert. Und danke für deine Zeit und deine Musik.

Theaterhaus Schille

11. und 12. März 2023

jeweils 19:00 Uhr

NP: 20€

ermäßigt: 10€

Kartenreservierungen an: post@lolagelb.de

lola.gelb im Internet:

www.lolagelb.de

« zurück
zur aktuellen Ausgabe