//
//
  • Literatur
Die Spirale der Gewalt ist endlos

Gespräch mit dem Schriftsteller Lothar Becker

Lothar Becker
Schriftsteller Lothar Becker im Interview © Lothar Becker

Lothar Becker hat gerade wieder ein faszinierend liebevolles Buch geschrieben, obwohl es vom Bombenbauen und -werfen handelt, von verschmähter Liebe, Kadavergehorsam und der Kommunistischen Partei. Doch wir dürfen schmunzeln dabei. In bester Schweijkscher Tradition. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit dem Schriftsteller:

Ahoi: Guten Tag, Lothar Becker. Ich habe Dein neues Buch „Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen“, erschienen im Carpathia-Verlag, vor mir. Und durchgelesen, voller Freude. In all der derzeitigen Moralisierung und Empörung glaubte ich ja kaum noch an solch ein Buch. In dem Buch gibt es auch wissenschaftlich belegte Figuren wie Frau Blavatsky – keine Angst, dass jetzt der Shitstorm beginnt?


Zuerst einmal will ich Dir sagen, wie sehr ich mich über deine positive Wahrnehmung des Buches gefreut habe, und ja, es stimmt, ich wollte etwas schreiben, in dem es darum geht, dass Menschlichkeit und Liebe wichtiger sind als Ideologien, Betonköpfe und das Streben nach Macht. Madame Blavatsky hat ja eigentlich in London gelebt, und war zu der Zeit, in der meine Geschichte spielt, schon nicht mehr am Leben. Für mich ist sie eine Art Prototyp für Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Eigentlich beschreibe ich eher eine ihrer Nachfolgerinnen, aber der Name Blavatsky hat so viel Poesie, dass ich ihn einfach beibehalten musste. Einen Shitstorm erwarte ich deswegen nicht. Schon allein aus dem Grund, dass ich zu unbekannt bin, um eine solche Mühe zu rechtfertigen.


Ahoi: In Deinem Buch finden sich feine philosophische Gedanken – wie auf Seite 128 die von Herbert und seiner Sicht auf eine gerechte Welt oder auch auf Seite 217. Dem gegenüber steht ein absurdes, sich selbst moralisch überhöhendes Apparatschickdenken der Kommunisten und Parteibüttel. All dies, als ob Schweijk wieder auferstanden wäre. Was hat Dich zu diesem Thema gebracht?


Das Thema ist ein wenig mit der Geschichte meines eigenen Großvaters verknüpft, der in den Zwanziger Jahren in der KP aktiv war, und Zeit seines Lebens stolz darauf gewesen ist, dafür einige Woche inhaftiert worden zu sein. Außerdem war er ein begeisterter Radfahrer, Zigarre rauchend, versteht sich. Der Schweijk–Charakter hat mich schon immer fasziniert, das behutsame Lächeln über die Welt, die Relativierung der Wichtigen. Leute wie ihn gibt es mehr als man denkt, und sie bewegen auf ihre subtile, humorvolle Weise mehr als alle machtbeflissenen Bonzen zusammen.


Ahoi: Auch die Figur der Anita hat viele Fäden in ausgewählte Frauen von heute. Ein Buch mit Tiefen, sozusagen, die aber immer beschmunzelt werden dürfen. Wie kommt dieses Buch nun aber zu den Leserschaften?


Frauen wie Anita kenne ich natürlich auch aus dem wirklichen Leben. Ich wollte ja keine idealisierten Figuren darstellen, sondern Menschen wie dich und mich. Und das Menschsein macht eben auch aus, dass es groteske, alberne, komische Züge aufweist. Generell sollte es ja von Anfang an ein lustiges, satirisches, und trotzdem ein wenig tiefsinniges Buch werden. Wie es nun zu einer Leserschaft kommen soll ist keine leichte Aufgabe, zumal es mit Lesungen noch immer nicht gut aussieht. Es gab einige gute Rezensionen, unter anderem im „Kulturabdruck“, bei „aufgeblättert“, und ich hoffe, dass dadurch eine gewisse Neugier entsteht. Das gilt natürlich auch für Deinen Beitrag im „Ahoi“!


Ahoi: Vom Carpathia-Verlag habe ich noch nie etwas gehört, glaube ich. Jedenfalls ist er mir noch nie aufgefallen. Kannst Du uns etwas über den Verlag erzählen?


Mein vorletztes Buch, „Bubble Gum 69“ hatte ich ja im Eulenspiegel Verlag veröffentlicht, aber dort hatte man kein Interesse am „Großvater“. Also habe ich einen neuen Verlag für das Manuskript gesucht. Der Carpathia–Verlag war mir durch Titel wie „Die unverhoffte Genesung der Schildkröte“ aufgefallen, was meiner Vorstellung von originellen Texten schon sehr entsprochen hat. Mit Robert S. Plaul, dem Verleger, habe ich einen total literaturbegeisterten Freund gewonnen, dessen Enthusiasmus für Sprache und Geschichten auch im Buchgeschäft beinahe einmalig ist. Das Layout, das Lektorat, ist mit soviel Liebe und Engagement realisiert worden, dass ich auch an dieser Stelle noch einmal von ganzem Herzen “Danke” sagen will.


Ahoi: Du hast jahrelang für ein Leipziger Stadtmagazin geschrieben, Dein Musical „The Love Experience“ wurde 2018 im WERK II uraufgeführt, Deine Töchter wohnen mit ihren Familien in Leipzig. Du kannst also aus Erfahrung berichten und wertschätzen. Wie siehst Du Leipzig? Was ist gut und was ist schlecht und was kann man wie besser machen?


Es stimmt. Ich habe durch die Buchmesse, durch „Leipzig liest“ und auch durch die Musicalaufführungen im „Werk 2“ und im „Geyser Haus e.V.“ einige künstlerische, und seit einigen Jahren auch familiäre Verbindungen nach Leipzig. Ich habe Leipzig immer als eine sehr junge, total lebendige und lebenswerte Stadt empfunden. Kritik kann ich an dieser Stelle eigentlich nicht äußern. Die Mieten sind wohl sehr hoch. Aber das Problem besteht in allen angesagten Städten dieser Welt. Für einen Provinzler wie mich ist die Möglichkeit, in Leipzig wahrgenommen zu werden, ohnehin so eine Art Ritterschlag.


Ahoi: Schlußendlich stellt sich in Deinem Buch die Frage, ob man mit einer Bombe – also mit dem Herbeiführen von Leid und Schmerz – eine bessere Welt bauen kann. Kann man?


Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Die Spirale der Gewalt ist endlos. Das sollte mittlerweile jeder begriffen haben. Was wir brauchen ist Menschlichkeit. Peace and Love, lieber Volly!

Ahoi: Danke, lieber Lothar.

Lothar Becker

Buch: Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen

Erhältlich beim Carpathia-Verlag

 

« zurück
zur aktuellen Ausgabe