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Quengelige Teenager, von ihren Hormonen überrumpelt

Gespräch mit dem Hörbuchschaffenden Jan Lindner

Jan Lindner überrascht weiter © Michael Bader

Jan Lindner ist seit vielen Jahren ein Literaturaktiver. Auch beim ihm hat Corona einen Cut gesetzt, ihn zum Umdenken und Andersmachen bewegt. Daraus entstanden großartige Hörbücher. Bei einem sprach sogar Ahoi-Redakteur Volly Tanner mit ein.

Grund genug, nachzuhaken. Und Faszinierendes zu erfahren. Volly Tanner sprach mit ihm:

 

Ahoi: Guten Tag, Jan Lindner. Glückwunsch. Dein Hörbuch „Romeo & Julia: Reanimiert“ ist seit dem 20. August 2023 in der Welt. Braucht es denn so dringend eine Reanimation der Romantik?

Jan Lindner: Ich finde schon. Es ist erstaunlich, wie sich Themen und Wendungen in Shakespeares Original auf den Alltag im 21. Jahrhundert anwenden lassen. Im Grunde waren Romeo und Julia schon damals quengelige Teenager, die von ihren Hormonen überrumpelt wurden. Leider hindert die etwas altbackene Sprache viele Menschen daran, sich wirklich mit diesem faszinierenden Stoff auseinanderzusetzen. Gerade Schülerinnen und Schüler, die ja explizit thematisiert werden. Also habe ich mir erlaubt, das Ganze sprachlich aufzulockern und ins digitale Zeitalter zu holen.

 

Ahoi: Hörbücherhören hat den großen Vorteil, dass man dabei insbesondere problemlos abwaschen kann. Auch eine unter die Räder des Fortschritts kommende Kulturtechnik. Das Abwaschen. Nun erscheint das Hörbuch aber im Podcast „Hörbücher zum Einschlafen“ und ist anderthalb Stunden lang. Da muss ich ja fast schon wieder aufstehen. Was gibt es denn noch in diesem Podcast?

Jan Lindner: Oh, so wie ich mir gerne sprachlich angestaubte Werke zu Gemüte führe, praktiziere ich nach wie vor die, wie Du sagst, etwas eingerostete Kulturtechnik des Abwaschens. Währenddessen höre ich dann gerne auch Podcasts, genau wie beim Kochen. Das Schöne ist ja, dass man das Audioformat portionsweise konsumieren kann. Ich höre gerade das 17-stündige Hörbuch zu „The Shining“ – bis ich damit durch bin, wird so manche Gabel gespült sein. 

Das „Zum Einschlafen“ ist auch nicht unbedingt eine Handlungsanweisung. Übereinstimmenden YouTube-Kommentaren zufolge bietet sich meine Stimme aber auch dazu an. In dem Podcast gibt es sonst jeden Sonntag ein Märchen oder Literaturklassiker – u.a. von Grimm, Andersen, Kafka oder Conan Doyle.

 

Ahoi: Wer war denn alles involviert? Ich durfte auch kurz ran – die anderen Beteiligten sind dahingegen richtige Stimmen-Sterne. Aber wer???

Jan Lindner: Insgesamt waren 15 Sprecherinnen und Sprecher an „Romeo & Julia: Reanimiert“ beteiligt. Ich bin in verschiedenen literarischen Szenen aktiv, wodurch ich dankenswerterweise auf einen breiten Pool an hervorragenden Stimmen zurückgreifen konnte. Christian von Aster oder Roman Israel bspw. kenne ich über Lesebühnen, Sandra Eckardt und Marita Ando sind Schauspielerinnen, Johannes Bundemann und Micha Köhler kommen von Radio Mephisto, Bonny Lycen und Nils Matzka (Romeo) vom Poetry Slam, Henriette Schreurs (Julia) ist professionelle Sprecherin.

 

Ahoi: Auf Deiner Facebook-Seite berichtest Du über viele Neuerungen: „… das erste Mal 10k Abos auf YouTube, das erste Mal in den Top 3 der Spotify Fiction-Charts, das erste Mal eigenes Merchandise, das erste über einen Verlag veröffentlichte Hörbuch.“ Das müssen wir mal auseinandernehmen. Mit was bist Du denn in den Charts? Wie lang hat es gedauert, 10.000 Follower zu bekommen und wie viele davon sind gekauft? Was für Merch-Kram kann ich haben und was ist das für ein Verlag, bei dem welches Hörbuch erschien?

Jan Lindner: Momentan sind meine beiden Podcasts „Hörbücher zum Einschlafen“ und „Creepypasta zum Einschlafen“ in den Top 10 der Spotify Fiction-Charts. Die ersten 10.000 Abos bei YouTube habe ich mit meinem Horrorgeschichten-Kanal geknackt, gut zwei Jahre nach Kanaleröffnung. Bei dem gibt es jetzt auch das Merchandise. Wie viele Follower erkauft sind? Natürlich alle! Und zwar mit Fleiß, Konsistenz, Publikumsinteraktion und, während Corona, bis zu vier neuen Hörbüchern pro Woche. 

Bei dem Hörbuchverlag handelt es sich um „Audio4You“, der sich darauf spezialisiert hat, die Bücher von Selfpublisher*innen zu vertonen. Dort habe ich bisher vier Werke umgesetzt, zuletzt das 24-Stunden-Hörbuch zum Gruselroman „Gaias Wächter: Der Mond des Jägers“ von Britta Strauss, das u.a. auf Spotify gestreamt werden kann.

 

Ahoi: „Romeo & Julia: Reanimiert“ ist ja eigentlich ein Theaterstück. Gibt es das noch auf der Bühne?

Jan Lindner: Ich hoffe! Es war schon mehrere Male kurz davor. U.a. gab es Interesse vom Leipziger Theaterpack und eine Anfrage einer Regisseurin des Staatsschauspiels Dresden. Das hat sich aber jeweils zerschlagen. Zum einen kam Corona dazwischen, zum anderen liegt es womöglich auch an der inszenatorischen Herausforderung – immerhin ist das Stück komplett gereimt und beinhaltet 16 verschiedene Rollen. Durch Mehrfachbesetzungen z.B. halte ich es dennoch als absolut machbar. Für Anfragen hinsichtlich der Uraufführung bin ich weiterhin offen.

 

Ahoi: Und Dich selbst? Wie geht es weiter mit dem Lesebühnen-Jan?

Jan Lindner: Seit Corona habe ich mich weitgehend aus der Lesebühnen-Szene zurückgezogen, vor allem aus dem Poetry Slam. Mit dem Studiomikrofon zu Hause fühle ich mich einfach wohler. Das heißt aber nicht, dass ich gar nicht mehr auftrete. U.a. findet noch jeden zweiten Donnerstag im ungeraden Monat unsere „Lesebühne Pinzette vs. Kneifzange“ im Beyerhaus statt, die ich mit der Autorin Mariann Gaborfi veranstalte.

 

Ahoi: Deine Hörmeisterei ist wirklich erfolgreich. Was gibt es hier demnächst?

Jan Lindner: „Hörmeisterei“ ist sozusagen der Oberbegriff für meine beiden Podcasts. Für „Creepypasta zum Einschlafen“ schreibe ich aktuell immer mal wieder eigene Gruselgeschichten. Da soll auch irgendwann ein Buch draus werden. Bei „Hörbücher zum Einschlafen“ liegt der Fokus momentan auf Erzählungen von Rilke und Kafka, Sherlock Holmes Detektivgeschichten sowie Märchen von Hans Christian Andersen. Ab 2024 sind dann auch die Werke von Thomas Mann gemeinfrei – da freue ich mich schon drauf!

 

Ahoi: Und der Nicht-Autor Jan Lindner? Ist da noch Platz für etwas ganz Triviales? Spargelschälweltmeisterschaften, Marathonlaufen? Irgendwas? Und wenn ja, was machst Du, wenn Du nicht am Literatur schaffen bist?

Jan Lindner: Die Selbstständigkeit und damit verbundene Arbeit im Homeoffice liegt mir, allerdings gehen mir dadurch auch regelmäßige soziale Kontakte unter der Woche flöten. Ich versuche, dem entgegenzuwirken, indem ich alle zwei Wochen Tennis spiele. Auch gehe ich einmal die Woche joggen. Da ich erst seit Kurzem selbstständig bin, suche ich aber aktuell noch weitere Aktivitäten, die soziale Kontakte einschließen. Gerne noch etwas Sportliches. Aber auch was Ehrenamtliches ist denkbar. Ich bin dran!

 

Ahoi: Danke, lieber Jan. Und jetzt: Weitermachen.

Hinweis: Die nächste Lesebühne Pinzette vs. Kneifzange findet am 14. September um 20 Uhr im Beyerhaus statt. Eintritt sind 7 €, 5 € ermäßigt.

 

Jan Lindner im Netz:

https://www.jan-lindner.de/

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