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Interview: Autor Gerhard Pötzsch

„Es zählt einzig Wort und Sprache“

Der Mann hat ein wirklich bewegtes Leben. Und schreibt liebevoll daraus hervor. Politischer Aktivist, Schriftsteller, Jobwechsler, Radiogründer. Gerhard Pötzsch hatte schon viele Professionen. Als mittlerweile 70-Jähriger publizierte er soeben „Zwischenzeitblues“, Teil zwei einer Roman-Trilogie. Ahoi-Redakteur Volly Tanner fragte den Kultleipziger aus.

Gerhard Pötzsch an der Ecke Merseburger-/ Marktamtsstraße in Lindenau, die in seinem neuen Roman eine wichtige Rolle spielt © Volly Tanner

Ahoi: Guten Tag, lieber Gerhard Pötzsch. Gerade kam dein neues Buch „Zwischenzeitblues“ beim Mitteldeutschen Verlag heraus. Wobei viele Menschen nicht wissen, dass du schon seit 1980 im Literaturgeschäft bist. Jetzt, mit 70 Jahren, schreibst du wundervoll lyrisch, wortreich und elegant. Ein selten gewordener Stil zwischen all den auf Plots und Schnelligkeit hingeschriebenen Büchern. War es einfach, den Verlag dafür zu begeistern?

Ein Verlag muss seine Produkte verkaufen. Der Markt ist brutal. Ein Buch, welches sich heutzutage im ersten Jahr nicht rechnet, ist tot. Aber manchmal geht mit dem einen oder anderen Verleger (gottseidank!) doch der Literaturliebhaber durch. Er sagt dann: Gut jetzt! Ich hatte gleich beim ersten Gespräch vor Jahren angekündigt: Es werden drei Bücher und es wird zehn Jahre dauern. Im Grunde liege ich nach „Taschentuchdiele“ (2015) jetzt mit „Zwischenzeitblues“ voll im Plan. Nein, das war nicht einfach.

 

Ahoi: Und um was geht es eigentlich im Buch – und nicht zu viel spoilern, Maestro.

Mein Protagonist, Bernd Klapproth, verspürte schon immer diese trunken machende Sehnsucht, in der „Welt eine Heimat“ zu finden. Und er befragt sich nun, ob ihm dies geglückt sei. Die in „Zwischenzeitblues“ verhandelte Zeitspanne beginnt mit dem Tod von Jimi Hendrix, und endet am Grab von Boris Pasternak, in Peredelkino bei Moskau.

 

Ahoi: Schaut man sich deine Vita an, ist da auch viel Wechsel in den Tätigkeiten. Was war Dir in Deiner Arbeitszeit das Wichtigste?

Freiheit! Wann immer ich vor der Wahl zwischen Freiheit und der Sicherheit einer Anstellung stand, habe ich die Freiheit gewählt. Das führte allerdings dazu, dass ich während meiner Berufstätigkeiten in der Zeit der DDR, nicht ein einziges Mal Jahresendprämie erhalten habe. Dafür hätte ich ja ein komplettes Jahr auf einer Arbeitsstelle ausharren müssen. Das ist mir nie geglückt. Nach den politischen Umbrüchen 1989 war ich dann dauerhaft selbstständig oder freischaffend.

 

Ahoi: Du hast den Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene inne. Für Gefangene? Wieso denn dies?

Mitte August 1968, im Angesicht des durch die Warschauer Pakt-Staaten immer weiter strangulierten „Prager Frühlings“, wollte ich, kurz vor Ultimo und samt zwei damaligen Freunden, dem Leipziger Kleinstadtmief dann doch lieber in die verlockende und weite Welt entfliehen. Das ging schief. Der gescheiterte Versuch brachte für jeden von uns 15 Monate Knast. Über diese Zeit schrieb ich viele Jahre später das Hörspiel „Der war das ganz allein“. Die zuständige Jury fand es preiswürdig.

 

Ahoi: Du lebst in Leipzig. Ist Leipzig ein gutes Pflaster für Literaturschaffende?

Ach, eigentlich: ja. Es gab und gibt hier das berühmte Literaturinstitut. Dessen Existenz habe ich viel zu verdanken, und all die Zeit lang auch stets zu schätzen gewusst. Mit Helmut Richter, Bernd Leistner und Peter Gosse, meinen ehemaligen Dozenten, spielte ich viele Jahre später monatlich einmal Skat. Das waren neben dem Kartensport natürlich auch immer Abende, an denen die schöne Welt der Literatur rumminiert wurde. Mit Peter bin ich, nachdem Bernd und Helmut nun leider nicht mehr da sind, auch heute noch nach wie vor befreundet. Und ja, es gibt in der Stadt auch wieder etliche Verlage – und ab und an trifft man halt sogar jemanden...

Aber Schreiben ist und bleibt eine einsame Angelegenheit. Dabei hilft weder aufgescheuchtes Getue oder ein brüllend lauter Handlungszirkus auf dem Papierbogen. Bei Literatur, jedenfalls wie ich sie verstehe, zählt einzig Wort und Sprache.

Ahoi: Wie kommt das Buch aber jetzt zu den Lesern? Lesungen gibt es ja gerade nicht ....

Es wird wieder Lesungen geben! Bis dahin bleiben vorerst nur die Mund-zu-Mund-Propaganda, Interviews, Besprechungen, Rezensionen, Postkarten, Flyer, Plakate, Abholservice – und auch die heute wohl unerlässlich notwendigen sozialen Netzwerke, samt all den diversen Vertriebssystemen im Netz. Es bleibt das „Trommeln in der Nacht“ und die Hoffnung darauf, das „Zwischenzeitblues“ alterslos und deshalb fürderhin – nach der Wiederkehr eines vielleicht doch gelegentlich halbwegs normalen gesellschaftlichen Zusammenlebens – auch noch up to date ist, und hin und wieder gelesen wird.

 

Ahoi: Was wünschst du dir vom Literaturbetrieb? Was kann anders werden? Alles?

Eigentlich nichts Besonderes – vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit für Literatur.

 

Ahoi: Danke, Gerhard – und viel Aufmerksamkeit für dein wirklich warmherziges Buch sei dir von mir gewünscht.

Danke, Volly 

Gerhard Pötzsch

„Zwischenzeitblues“, Teil zwei einer Roman-Trilogie

www.mitteldeutscherverlag.de

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