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  • Stadtgeschichte
Kolumne

Eine Seite Vernunft

Gesine Oltmanns wurde besonders durch ihr mutiges Plakat „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ auf der ersten Leipziger Montagsdemo im September 1989 bekannt. In ihrem Beitrag schreibt sie über die Vernunft, im Gedenken an unvergängliche Geschichte groß zu denken.

Gesine Oltmanns
Gesine Oltmanns © Rainer Justen

Ein vernünftiges Denkmal

Folgt man den einschlägigen Definitionen, bedeutet vernünftig zu sein, einsichtig, besonnen und überlegt zu handeln. Menschen gewinnen Einsichten, erkennen Zusammenhänge, bilden sich ein Urteil und treffen dann vernünftige Entscheidungen. In der Geschichte der Philosophie wird die Vernunft als die Grundlage für Erkenntnis und Erkenntnisgewinn betrachtet.

Insofern sind die Beschlüsse des Bundestages und des Leipziger Stadtparlaments für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig sinnvoll und mehr als vernünftig.

Geschichte vergeht nicht. Sie begleitet uns in Erinnerungen, in der Gegenwart und ist überaus bedeutsam für die Zukunft. Es gibt mehr als 100.000 Kriegerdenkmäler in Deutschland, nach Erinnerungsorten für eine positive Geschichte muss man allerdings suchen.

Der 9. Oktober 1989 in Leipzig hat den gewaltfreien Verlauf der Friedlichen Revolution, des Sturzes der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland, besiegelt. Einer der glücklichsten Momente der gemeinsamen deutschen Geschichte hat alles auf den Kopf gestellt, was durch Unterdrückung und staatliche Gewalt unveränderbar schien.

Am Anfang des revolutionären Herbstes vor 34 Jahren stand der Gründungsaufruf des oppositionellen Neuen Forums, ein Aufruf zum Dialog zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Staat und Volk, ein Aufruf zum Reden, Zuhören und gemeinsamem Streiten für Reformen in der DDR. Dieser Aufruf hat viele aktiviert und auch beflügelt. Solidarität und Zivilcourage prägten die Wochen im Herbst und Winter 1989/90 in Ostdeutschland.

Diese Erzählung des gewaltfreien Widerstands, der ein ganzes System zum Stürzen brachte, der den Eisernen Vorhang schmelzen ließ, ist auf jeden Fall ein Denkmal wert. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal hat die Chance, aus der Geschichte heraus Orientierung in den gesellschaftlichen Prozessen der Gegenwart und Zukunft zu vermitteln.

Durch die künstlerische Auseinandersetzung und mit dem fertigen Denkmal werden wir auch wichtige Impulse für den von den Philosophen gemeinten und geforderten Erkenntnisgewinn erlangen. Zum Beispiel die Einsicht, dass es möglich ist, Demokratie gemeinsam zu erlangen und diese auch zu beschützen. Das ist in Zeiten von Populismus und anwachsender Demokratiefeindlichkeit umso wichtiger.

In diesem Sinne ist es vernünftig, groß zu denken und verantwortungsvoll diesen neuen Prozess für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Hand zu nehmen.

Gesine Oltmanns wurde 1965 im Erzgebirge geboren. In den 1980er-Jahren engagierte sie sich in oppositionellen Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Leipzig. Nach 1989 arbeitete sie bis 1994 bei der Gauck-Behörde. Ab 2009 war sie im Kuratorium der Stiftung Friedliche Revolution aktiv. Im Juni 2015 ist sie aus dem Kuratorium ausgeschieden und in den Stiftungsvorstand berufen worden. Seither gilt ihr Engagement vor allem Stiftungsprojekten wie der Revolutionale mit dem Internationalen Runden Tisch sowie dem Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal.

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