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Kolumne

Eine Seite Vernunft

Arne Linde ist Galeristin der ASPN-Galerie und blickt auf ein sehr ruhiges Kunstjahr zurück. Was kommt nach der Zeit des Innehaltens?

Arne Linde
Arne Linde leitet die ASPN-Galerie in der Baumwollspinnerei seit 2005. © Arthur Zalewski

Kunst muss an die Luft - Fenster auf!

An Kunst begeistert mich, dass sie das Gegenteil von kleinkariert und vorhersehbar ist. Sie zählt nicht die Stellen hinterm Komma, sondern reißt die Fenster auf und sucht nach der Unendlichkeit. Sie kommt vom graden Weg ab, erforscht das Unterholz und stellt unbequeme Fragen. Kunst ist unvernünftig, fest gefügte Strukturen reißt sie behände ein.“

Als vor mehr als einem Jahr die Pandemie uns alle zum Innehalten zwang, galt das auch für die bildende Kunst. Die Arbeit in den Ateliers wurde unterbrochen, geplante Ausstellungen auf Eis gelegt und Kunsträume geschlossen. Wir alle starrten auf Infektionszahlen, sorgten uns um die Gesundheit von Familie und Freundeskreis und nach ein paar Wochen dann auch um unsere wirtschaftliche Situation. Ja, wir haben im letzten Jahr alle gelitten, und – schlimmer noch – die tatsächlichen Auswirkungen von einem Jahr Pandemie-Pause werden für die Kunstwelt jetzt erst richtig spürbar: Geplante Ausstellungstermine stauen sich und die nächsten Monate scheinen schon übervoll, wobei unklar ist, was überhaupt stattfinden kann.

Die Konten aller Beteiligten leeren sich weiterhin stetig. Psychisch macht sich eine ungeheure Erschöpfung breit und parallel dazu sucht der ausgebremste Tatendrang nach Wegen, sich zu entfalten. Die Vernunft hat alle Hände voll zu tun, die divergierenden Kräfte im Zaum zu halten.

Es ist nun möglich, dass Kunsträume wieder öffnen. Wir werden wieder Ausstellungen sehen und jenseits von Bildschirmen Kunst wahrnehmen! Und wir werden auch noch etwas erleben, was mich mit großer Neugier und Vorfreude erfüllt: Corona wird gewirkt haben auf die Prozesse in den Ateliers und Denkräumen, in den Werkstätten und Kollektiven. Wir werden über Digitalität und Ängste zu sprechen haben, über Gerechtigkeit und Solidarität in Gesundheitsfragen, über Klimawandel, darüber, was Familie ist, und über das Phänomen, dass ein winziges Virus uns vor Augen geführt hat, dass wir ein einziges globales Biom und Ökosystem sind.

Wir werden damit konfrontiert sein, dass der Stille der letzten Monate eine intensive und ungestüme Phase folgt, in der Kunst tut, was sie tun muss: hinterfragen, revoltieren, Fenster aufreißen! Wir werden lernen, laborieren und debattieren und es wird sehr, sehr lebendig werden! Räume auf für neue Diskurse und frische Luft herein (das soll ja ohnehin auch gegen Viren helfen) – was für eine ermutigende Perspektive!

Arne Linde leitet die ASPN-Galerie in der Baumwollspinnerei seit 2005.
Derzeit ist eine Einzelausstellung von Jochen Plogsties zu sehen.
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