//
//
  • Leipzig engagiert sich
  • Kunst
Thomas Locher

Eine Seite Vernunft

Erst die Corona-Pandemie, jetzt Krieg in der Ukraine – Thomas Locher, seit 2017 Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst, über die Reaktion der Leipziger Kunstakademie auf unvernünftige Zeiten.

Thomas Locher
Thomas Locher © Erich Malter

Kunst liegt nicht falsch

Die allgemeine Meinung über Künstler und ihre ästhetischen Methoden ist immer noch die: Es bedarf einer großen Portion Unvernunft und irrationalem Sein, um künstlerisch handeln zu können. Das ist natürlich ein Irrtum. Zwar handeln Künstler auch unvernünftig, aber nichts ist vernünftiger als die Kunst selbst.

Die Kunst selbst kann nicht falsch liegen, hat sie doch eine Distanz zur Wirklichkeit und markiert durch diesen Abstand zur Realität, zur Politik und zur Geschichte einen ganz eigenen und unverwechselbaren Raum. Und ebendieser Raum ermöglicht die ästhetische, sinnliche und intellektuelle Erfahrung, die wir als Gesellschaft brauchen, um diese Wirklichkeit zu erfassen und zu verstehen.

In diesen Tagen ist es die Wirklichkeit selbst, die uns mit ihrer Unvernunft bedrängt, die uns mit ihren Krisen und Konflikten, erst mit der Pandemie und nun mit einem unsäglichen Krieg in Europa, herausfordert. Die Welt scheint völlig aus den Fugen geraten zu sein.

Ist nicht die Wirklichkeit, wie wir sie gerade erleben müssen, völlig verrückt geworden? Eigentlich haben wir doch ganz andere und wichtigere Aufgaben zu bewältigen; wir müssten uns sofort den drängenden Fragen des Klimawandels, der Nachhaltigkeit und der Gerechtigkeit widmen.

Als eine kleine, moderne Kunsthochschule mit etwas mehr als 500 Studierenden – ausgestattet mit traditionsreicher Geschichte – reagieren wir als Institution ganz unmittelbar auf den Krieg in der Ukraine.

Mit der Unterstützung des Freistaates versucht die ganze Hochschule – unsere Studierenden, unsere Lehrenden und alle Mitarbeitenden –, geflüchtete Kunststudierende, ganz besonders die, die aus der Ukraine zu uns kommen, an unserer Hochschule in verschiedene Studiengänge aufzunehmen.

Durch die Akademie für transkulturellen Austausch, die 2016 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig als Studienangebot für Menschen mit Fluchtgeschichte im Bereich Bildende Kunst und Grafikdesign gegründet wurde, verfügt die Hochschule über eine bewährte Struktur und mittlerweile über das Wissen, dass ein solches Studienangebot funktioniert.

In den letzten Jahren durften wir mit großer Freude dabei sein, wie die ersten AA-Studierenden erfolgreich ihr Studium absolviert haben.

Thomas Locher, geboren 1956 in Munderkingen, studierte an der Akademie der Künste in Stuttgart. Von 2008 bis 2016 war er Professor an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Seit 2017 ist er Rektor der HGB. Er ist Mitglied im Deutschen Künstlerbund und hat u. a. in Wien, Berlin, München und Köln ausgestellt.

« zurück
zur aktuellen Ausgabe