Warum braucht es heute noch Museen?
Im täglichen Terminstress und den eingeschliffenen Bedeutungsroutinen gerät zuweilen aus dem Blick, warum es uns Museumsleute und solche nichtkommerziellen Begegnungsorte überhaupt braucht. Die durch die Pandemie erzwungenen Schließungen sowie die vor uns stehenden gesellschaftlichen Umbrüche und bereits spürbaren seelischen Verwerfungen haben das nun mit erwünschter Deutlichkeit klargestellt.
Menschen sind keine Distanzwesen; nahbare Kommunikation, faire Zusammenarbeit und das Aufeinanderbezogen-Sein der Generationen und Geschlechter sind die Essenz unseres Gemeinwesens und die Wurzel aller kulturellen und demokratischen Errungenschaften.
Museen sind unterhaltsame Versachlicher von Diskussionen. Wie die Kontroversen um Corona Beschränkungen, Straßennamen, Zoogründer oder auch das DDR-Erbe zeigen, werden die Frontlinien in der Gesellschaft und Erinnerungskultur auch bei uns schroffer, weicht das Gespräch kontrastierender Interessengruppen verbittertem Schweigen oder ausgerechnet in der Stadt der Friedlichen Revolution der mindestens verbalen Gewalt. Im Museum jedoch erlebt man jenseits der eigenen Echokammern augenfällig, dass nicht alle Dinge sind, was sie scheinen, und es sogar Spaß machen kann, Verschiedenheit auszuhalten und kultivierten Meinungsstreit als Bereicherung zu sehen.
Museen sind Laboratorien des Zusammenhalts einer Stadtgesellschaft. Wenn wir ab Mai 2021 unser Projekt „Kennzeichen L“ zeigen, dann erkunden wir, wo unsere Identifikationsklammern und Bruchlinien liegen und wie es in und nach der Krise mit unserem Zusammenleben, mit unserer Mobilität und Natur und nicht zuletzt unseren gefährdeten Innenstädten weitergehen soll.
Museen sind außerschulische Lernorte, die Schulen und Kindergärten entlasten können und mit kreativen Vermittlungsformaten spielerisch Zugänge auch zu scheinbar abstrakten Themen finden.
Schließlich sind Museen (T)Raumschiffe der Inspiration, die eine Welt jenseits von Ratio, Anstandsregeln und Zahlenkurven eröffnen. Wenn es in meiner barocken Lieblingskantate heißt „Vernunft, was willst du dazu sagen?“ – dann sehe ich das als Anstiftung, gegen alle Resignation neu anzufangen und von einer lebenswerten Stadt der Zukunft zu träumen. Lassen wir uns im Angesicht der Schöpfungen und Irrwege früherer Generationen von den eigenen offenen Möglichkeiten verzaubern – wir im Museum stehen jeden Morgen dafür auf!