Eine Seite Unvernunft, bitte!

Manchmal vor den Vorstellungen gehe ich durch das Theaterfoyer und sehe, wie Kinder und Jugendliche geduldig zur 2G-Plus-Kontrolle anstehen, wie sie Maske tragen und Abstand halten, weil das die Regeln sind, die uns allen auch sichere Kulturveranstaltungen und kulturelle Bildung wieder ermöglichen. Ich beobachte und denke: „Sie sind so unglaublich vernünftig, die Kinder.“

Die Erwachsenengesellschaft ist mit den Bedürfnissen von jungen Menschen in den letzten zwei Jahren nicht gerade zimperlich umgegangen. Sie hätten allen Grund, erbost zu sein, und trotzdem – die junge Generation kommt mir aktuell oft solidarischer, vernünftiger, geduldiger vor als die erwachsene. Man kann nur hoffen, dass ihr Unvernunft und Übermut nicht völlig abhandenkommen.

Denn: Unvernunft ist auch Neugier. Wer neugierig Neues in die Welt bringen will, der muss jenseits ausgetretener Pfade gehen, ausprobieren und sich hier und da vom in uns Menschen verankerten Übermut lenken lassen. Kindsein heißt, Leben und Grenzen austesten dürfen. Was davon vernünftig oder unvernünftig ist, merken wir am eigenen Scheitern und durch die Reaktion anderer auf unser Tun.

Dieses Spannungsfeld ist nicht selten das Geheimnis guter Geschichten auf der Bühne. Der Verstand der Heldin sagt: „Tu es nicht, es ist unvernünftig!“, Herz oder Bauch oder beide sagen: „Mach es trotzdem!“. Was dann passiert, verfolgen wir gebannt als Publikum oder wir erfahren als Spieler:innen die herausfordernde emotionale Situation und ihre Folgen sogar selbst. Theater und kulturelle Bildung können im sicheren Rahmen des „So-tun-als-ob“ andere Perspektiven aufs Leben bieten. Spielerisches Ausprobieren gibt uns die Erfahrung, etwas ganz ohne „Verwertungslogik“ zu tun, die Vernunft mal in die große Pause zu schicken, Schulstoff-Nachholen auszuknipsen und mit Mut übermütig zu sein.

Deswegen an dieser Stelle, nein, kein Aufruf zur Anarchie, aber ein Aufruf zu etwas mehr kindlicher und kreativer Unvernunft! Wozu natürlich auch gehört, dass die Erwachsenen Rahmenbedingungen schaffen, die das Kindern und Jugendlichen auch in pandemischen Zeiten ermöglichen …