//
//
  • Stadtleben
Kolumne

Eine Seite der Vernunft

Volker Bremer, Geschäftsführer der „Leipzig Tourismus und Marketing GmbH“, organisiert mit seinem Team seit 2009 das Lichtfest Leipzig am 9. Oktober. Eine Veranstaltung, die immer wieder auch persönliche Erinnerungen an die Friedliche Revolution in ihm weckt.

© Philipp Kirschner

Der 9. Oktober in Leipzig

Als sich am 9. Oktober 1989 nach dem Frie­densgebet in der Nikolaikirche rund 70.000 Menschen in Leipzig versammelten, um für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren, saß ich gemeinsam mit Freunden staunend vor dem Fernseher in Bremen. In den „Tagesthemen“ wurden bewegende Filmaufnahmen gezeigt und der Moderator Hanns Joachim Friedrichs sagte, dass ein italienisches Filmteam der Redaktion das Material zugespielt hat. Wir fragten uns damals: Wie kamen die Italiener hinter den „Eisernen Vorhang“ nach Leipzig? Heute wissen wir, dass die Film­ aufnahmen von der entscheidenden Montagsdemonstration von Siegbert Scheffke stammen, der unter größter Gefahr vom Turm der Reformierten Kirche drehte.

Diese aufwühlenden Bilder ließen mich nicht mehr los. Ich fragte mich, hoffend und besorgt zugleich, was wird aus der DDR? Welcher Weg ist der richtige? Umso größer war die Freude, dass die Demonstrationen in der damaligen DDR mit ihrem Ruf „Wir sind das Volk!“ friedlich verliefen und am 9. November 1989 überraschend die Berliner Mauer fiel.

Dass ich viele Jahre später mit meiner Familie nach Leipzig ziehen werde und mit meinem Team und vielen engagierten Partnern jährlich am 9. Oktober das Lichtfest ausrichte, war damals für mich unvorstellbar. Der Tag der Friedlichen Revolution ist deshalb ein ganz besonderer Tag, bei dem die Freude über die vielen Möglichkeiten, die sich heute bieten, überwiegt. Auch wenn das diesjährige Licht­fest sich den Herausforderungen der Corona­-Pandemie stellen muss, bleiben für mich die berühmten Worte Rosa Luxemburgs „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ prägend.

Leipzig hat 1989 gezeigt, dass man mit Vernunft und friedlichen Mitteln auch eine gewaltbereite, maro­de Staatsmacht stürzen kann. Ich wünsche mir, dass dieser Geist noch stärker in die heutige Zeit ausstrahlt und Schlag­ zeilen über Gewaltexzesse nicht mehr die Nachrichten do­minieren. Diesen Geist symbolisieren beim Lichtfest am 9. Oktober die vielen Kerzen, die Ruhe, Frieden und Wärme ausstrahlen. Ein wichtiges Signal, das wieder von Leipzig ausgeht, Mut macht und über Ländergrenzen hinweg zum Nachdenken anregen soll.

Volker Bremer ist seit 2006 Geschäftsführer der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH und für das touristische Marketing der Leipzig Region verantwortlich

« zurück
zur aktuellen Ausgabe