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Gespräch mit der SAIDA-Geschäftsführerin Simone Schwarz

Aktiv gegen Genitalverstümmelung

Simone Schwarz, Geschäftsführerin SAIDA international © SAIDA e.V.

In unserer aufgeheizten Mediendemokratie kommen viele wichtige Themen allzuoft unter die Räder, während kreuz und querfinanzierte Kampagnen die Diskussionen bestimmen. Und obwohl allein in Deutschland derzeit 100.000 Mädchen und Frauen leben, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, wird hier kaum darüber gesprochen. Ahoi möchte hier aufklären und lässt Simone Schwarz zu Wort kommen, die mit ihrem Verein SAIDA das Thema aktiv in Afrika und Deutschland bearbeitet. Ahoi-Redakteur Volly Tanner führte ein E-Mail-Interview mit ihr:

Ahoi: Guten Tag, Simone Schwarz. Sie sind die Geschäftsführerin der Organisation SAIDA International. Wer sind Eure Adressaten?

Simone Schwarz: SAIDA adressiert Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind. Eine weitere wichtige Gruppe sind Fachkräfte und politische Entscheider:innen, die fundierte Informationen über diese geschlechtsspezifische Gewaltform brauchen. Nicht zuletzt sprechen wir die breite Öffentlichkeit an, denn zur Abschaffung von Genitalverstümmelung brauchen wir alle!

Ahoi: Und SAIDA an sich? Was ist das für ein Verein?

Simone Schwarz: Auf Arabisch heißt Saida „die Glückliche" - ein sehr passender Name für unseren Verein, finden wir! Wir sind 2010 angetreten, um die Situation von Frauen und Kindern in Burkina Faso entscheidend zu verbessern. Burkina Faso liegt in Westafrika und gehört zu den zehn ärmsten Ländern weltweit und rangiert noch hinter Afghanistan. Wir helfen dort Frauen und Kindern dabei, ihre grundlegenden Rechte zu sichern. Das heißt zum Beispiel: Schutz vor Genitalverstümmelung, Kinder- oder Zwangsehe und Ausbeutung. Wir sind überzeugt: Der Schlüssel zur Bewältigung von Armut und Elend liegt in der Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt und Unterdrückung. Das schaffen wir durch die Kombination konkreter Hilfen und Informationskampagnen. Besonders stolz sind wir auf unser Mädchenschutzprogramm, dank dessen zahlreiche Mädchen in Burkina Faso unversehrt aufwachsen und Bildung genießen können.

Auch in Uganda sind wir aktiv: Wir unterstützen unseren Partnerverein Msichana beim Projekt #PadEveryGirl, das Schülerinnen Menstruationshygiene und Sexualaufklärung sichert und klären auch über Genitalverstümmelung auf, die in einigen Regionen des Landes immer noch verbreitet ist.

Ahoi: Aber wie partizipieren wir hier in Deutschland an den Erfahrungen in Afrika?

Simone Schwarz: Die Erfahrungen aus diesen Ländern sind ganz wichtig für die Arbeit der SAIDA Fachstelle bei Genitalverstümmelung hier in Deutschland. Seitdem es den Verein gibt, erreichen uns auch die Anfragen von Frauen, die betroffen sind oder zum Beispiel Lehrerinnen, die befürchten, dass ein Mädchen in den Sommerferien der Genitalverstümmelung unterworfen werden soll. Uns war sofort klar, dass wir unsere Expertise nutzen müssen, um den Betroffenen hier in Sachsen und darüber hinaus adäquate Hilfe anzubieten. Das geht nicht ehrenamtlich.

Ahoi: Das verstehe ich gut. Nur ist das mit der staatlichen Förderung so eine Sache …

Simone Schwarz: Diese Arbeit muss professionalisiert werden und dazu braucht es natürlich finanzielle Mittel. Der Weg bis zur ersten Förderung war allerdings recht lang. 2018 ist es dann gelungen, die SAIDA Beratungsstelle offiziell zu gründen. Seitdem helfen wir Müttern, ihre Töchter vor der Fortführung dieser Gewalt zu schützen, bilden Fachkräfte fort, versorgen betroffene Mädchen und Frauen. Dazu haben wir in Kooperation mit dem Klinikum St. Georg 2019 das SAIDA Kompetenzzentrum geschaffen, das jetzt die zentrale Anlaufstelle für die medizinische Versorgung in Mitteldeutschland ist. Übrigens feiert das SAIDA Kompetenzzentrum dieses Jahr schon sein 5-jähriges Bestehen.

Ahoi: Welche Hilfen bietet ihr Betroffenen von Genitalverstümmelung an?

Simone Schwarz: Wir bieten zunächst psychosoziale Beratung durch unsere Sozialpädagoginnen an. In der Beratung können die Frauen ihre Nöte und Leiden artikulieren. Sie erzählen uns, was ihnen widerfahren ist und welche akuten Probleme sie haben. Die Genitalverstümmelung hat schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Betroffenen, sowohl körperlich als auch seelisch. Deswegen arbeiten wir mit einem multidisziplinären Ansatz. Wenn die Frauen – manchmal mit ihren kleinen Kindern – dazu noch monatelang oder gar jahrelang auf der Flucht sind, erfahren sie noch weitere Gewalt, die sich ebenfalls negativ auswirkt, wie Sie sich vorstellen können.

Ahoi: Ich erlas mir, dass in Deutschland 100.000 Mädchen und Frauen leben, die betroffen oder bedroht von Genitalverstümmelung sind. Sind das mehr geworden in den letzten Jahren? Wie kann solch eine Gewalttat in Deutschland überhaupt toleriert werden? Wie ist die Gesetzeslage?

Simone Schwarz: Ja, das stimmt, die Zahl an betroffenen Frauen, die hier leben, ist gestiegen, das sehen wir auch an den Fallzahlen der SAIDA Beratungsstelle. Wir beraten viele Frauen aus Ländern wie Somalia und Eritrea, wo die Verbreitung der Praktik besonders hoch ist.

In Deutschland ist Genitalverstümmelung selbstverständlich verboten, seit 2013 auch mit einem eigenen Straftatbestand. International ist die Praktik geächtet. Viele Herkunftsländer verfügen über Gesetze zur Beseitigung der Praktik, Burkina Faso etwa hat bereits 1996 ein solches Gesetz verabschiedet. Das Problem ist in vielen Ländern die Umsetzung oder vielmehr der Grad der Bereitschaft zur Umsetzung. Wenn es kaum Ermittlungen und Verurteilungen gibt, erscheinen Gesetze als Papiertiger. Deswegen suchen immer noch Familien in Europa Schutz, weil sie ihre Mädchen vor der Verstümmelung bewahren wollen. Wir als Fach- und Beratungsstelle unterstützen die Familien dabei. Wir setzen stark auf die Sensibilisierung der Fachkräfte und der Öffentlichkeit, damit die gefährdeten Mädchen in Deutschland geschützt sind. Denn der Druck der Herkunftsfamilien kann sehr hoch bleiben, auch wenn die Mädchen hier aufwachsen oder sogar hier geboren sind.

Ahoi: Wie können Menschen Eure Arbeit unterstützen?

Simone Schwarz: Wir sind auf die Unterstützung durch Spender:innen angewiesen. Denn auch wenn es gelingt, staatliche Förderung zu mobilisieren, können wir unsere Projekte in Deutschland und im Ausland nur mit Hilfe von Spenden umsetzen. Außerdem freuen wir uns immer über ehrenamtliche Helfer:innen, die uns bei unseren Veranstaltungen unterstützen, denn wir sind ein kleines Team mit vielen Aufgaben. Und nicht zuletzt ist es eine große Unterstützung, wenn unsere Arbeit bekannt gemacht wird!

Ahoi: Der SAIDA e. V. hat seinen Hauptsitz in Leipzig. Wie kam es dazu?

Simone Schwarz: Einige der Gründungsmitglieder, zu denen ich gehöre, hatten und haben ihren Wohnsitz in Leipzig. Wir dachten, Leipzig ist eine große Stadt mit einer offenen Gesellschaft, das passt. Und tatsächlich haben wir hier großen Zuspruch und Unterstützung von der Stadt erfahren. Wir profitieren auch sehr von Leipzigs zentraler Lage in Mitteldeutschland, denn wir beraten Frauen in ganz Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Ahoi: Welche Veranstaltungen stehen denn demnächst auf dem Planer bei Euch?

Simone Schwarz: Zum Internationalen Tag „Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“ am 6. Februar starten wir das Forum FGM, eine neue Plattform für Information, Austausch und Vernetzung. Das Forum FGM wendet sich an Fachkräfte, Medienvertreter:innen und Betroffene bundesweit. Über diese Plattform bieten wir künftig regelmäßig Schulungen und Diskussionen an. Unser Ziel ist die Einführung von Qualitätsstandards für Beratung und Versorgung, damit die Mädchen und Frauen bundesweit angemessene Hilfe bekommen.

Ahoi: Danke, liebe Simone Schwarz für Ihre Zeit und Ihr Engagement.

SAIDA im Netz:
https://saida.de/

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