„Wer die Karte erstellt, hat die Deutungshoheit”

Ein antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text abgeschabt oder abgewaschen und das danach neu beschriftet wurde“, so nennt man laut Duden „Palimpsest“. Und so lautet auch der Titel einer fortlaufenden großformatigen Werkreihe Luise Ritters, an der sie seit drei Jahren arbeitet. Allerdings sind es hier keine Texte, die überschrieben werden, sondern feine Zeichnungen von Orten, die sie seit ihrer Kindheit kennt.

Von Erinnerung zu Utopie

Leipziger Straßenzüge und Plätze holt Luise Ritter zeichnerisch so in die Gegenwart, wie sie diese in Erinnerung hat. „Mentale Kartierung“ nennt sie das – der Elsterstraße, des Brühls oder des Richard-Wagner-Platzes beispielsweise. Wie sah sie diese aus ihrem jugendlichen Blickwinkel und wie haben sie sich seither verändert? Diese haarscharfen Beobachtungen setzt sie als Jetzt-Ebene darüber, akribischen Architekturzeichnungen gleich. Dabei entstehen multiperspektivische Ansichten, die sie im Anschluss mit freien farbigen, visionären Elementen ergänzt. „Die hellgraue Bleistift- linie kennzeichnet die Gegenwart, der dunkelgraue Strich die Vergangenheit und die teils flächigen Farbstiftformen die Zukunft“, fasst sie zusammen.

Kollektive Stadtpläne

Orte aus ihrer Erinnerung zu zeichnen, machte Luise Ritter zu ihrer Profession. Das gesamte Spinnereigelände und die JVA Magdeburg hat sie beispielsweise kartografiert. Seit 2016 arbeitet sie zudem partizipativ und involviert Bewohner aus Leipzig, Meinersen oder zuletzt Saalfeld-Rudolstadt in ihre Stadtraum-Erforschungen. Gemeinsam wird dann gezeichnet und über Straßenverläufe diskutiert. „Darüber kommen die Leute zum Reden.“ [evg]