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Gewässer-Hotspot Leipzig

Wassersport-Paradies Leipzig

Der Leipziger Gewässerverbund mit gefluteten Tagebauseen, Flüssen und Industriekanälen ist für Wassersport so vielfältig und attraktiv geworden, dass der Standort boomt und immer voller wird. Doch der Ausbau stockt.

Wassersport-Paradies Leipzig
Unterwegs im Wassersport-Paradies Leipzig © Lutz Brose

Es ist ganz still an diesem Mittwochmorgen auf dem Karl-Heine-Kanal. An manchen Stellen treiben noch hauchdünne Eisschollen auf dem 3,3 Kilometer langen Wasserlauf im Westen Leipzigs. Doch die Sonne wärmt schon. Nur die zackigen Kommandos von Manfred Heine, der zufällig den gleichen Nachnamen wie der Industriepionier Karl Heine trägt, der den gleichnamigen Kanal Mitte des 19. Jahrhunderts erbauen ließ, schallen übers Wasser.

Wie an jedem Mittwoch ab acht Uhr ist Heine mit seinem selbst entworfenen und gebauten Ruderkatamaran mit sieben Ruderern zwischen 50 und 70 Jahren auf den Leipziger Gewässern unterwegs. „In die Auslage!“, ruft Steuermann Heine seiner Besatzung zu. „Markus, machst du auch noch mit?“, foppt er einen Hochschul-Professor, der ganz vorn an den Riemen sitzt.

Verwunschene Szenerie auf dem Karl-Heine-Kanal

Um den Reporter zusteigen zu lassen, lässt Manfred Heine kurz am Steg anlegen. Das Manöver folgt einer diszipliniert und konzentriert vorgetragenen Choreografie. Jeder weiß genau, wann sie oder er die Riemen einzuholen hat. Dann geht es mit gleichmäßigen Schlägen Richtung Lindenauer Hafen. Auf dem Wasser sind um diese Zeit nur Graureiher unterwegs, sonst ist es idyllisch still und leer. Viel besser als mit Sonnenschein, Sport, den Sprüchen des Leipziger Originals Manfred Heine sowie der verwunschen schönen Szenerie auf den Leipziger Wasserwegen inmitten von Industriedenkmälern kann ein Frühlingstag in Leipzig nicht beginnen.

„Es ist diese Kombination aus Naturerlebnis und Sport, die das Rudern so reizvoll macht“, sagt der Professor, Mitglied im Gesundheitssportverein Dr. Heine e. V. Zur Bekräftigung bläst Gründer Manfred Heine in das zerbeulte Nebelhorn, das um seinen Hals hängt. Wassersport ist gut für das Gemüt und den Rücken. Normalerweise zumindest, denn Heine wurde auf dem Boot schon mal so heftig von einem Schwan gerammt, dass ihm drei Querfortsätze der Wirbelsäule brachen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Es sind auch Originale wie Manfred Heine mit seiner weltweit einzigartigen Bootskonstruktion, die den stetig wachsenden Wasser(sport-) Standort Leipzig ausmachen. Längst ist Leipzig nicht nur Sportstadt, sondern auch pulsierendes Zentrum einer einzigartigen Gewässerregion. Ab Ende Mai überzeugen sich davon Experten aus aller Welt bei der World Cannels Conference, die in diesem Jahr in Leipzig und damit erstmals in Deutschland stattfinden wird. Dass das internationale Forum in der Messestadt Station macht, ist ein Ritterschlag für Leipzigs Gewässer.

Leipzig ist ein wahnsinnig attraktiver Standort für Wassersport geworden – das hat man sich vor 30, 40 Jahren nicht ansatzweise vorstellen können, als noch die stinkenden, bräunlichen Phenol-Schaumkronen auf der Pleiße schwammen. Heike König, Grüner Ring Leipzig

Leipzigs Gewässer in Zahlen

261,9 km² Seenlandschaft werden in Mitteldeutschland bis zum Jahr 2050 entstehen (aktuell: 221,4 km²).

250 km wassertouristisch nutzbare Fließgewässer existieren im Leipziger Neuseenland, 518 km in Mitteldeutschland.

In Leipzig gibt es 240 km Gewässer (nicht alle wassertouristisch nutzbar), 104 Standgewässer mit 459 ha Wasserfläche und 50 km Uferlänge.

19.548 Boote wurden 2021 von Mitte Mai bis Ende Oktober an den Schleusen Connewitz und Cospuden gezählt, davon 19.473 muskelbetrieben.

Etwa 70 Millionen Euro hat die Stadt seit 1990 in den Ausbau der Gewässer investiert.

Überregional noch Geheimtipp

Seit der Wende entwickelte sich die zu DDR-Zeiten für seine verdreckten Flüsse und Kanäle berüchtigte Pleißestadt zu einem Gewässer-Hotspot, der jedoch überregional noch ein Geheimtipp ist und noch jede Menge Potenzial hat. „Leipzig ist ein wahnsinnig attraktiver Standort für Wassersport geworden – das hat man sich vor 30, 40 Jahren nicht ansatzweise vorstellen können, als noch die stinkenden, bräunlichen Phenol-Schaumkronen auf der Pleiße schwammen“, sagt Heike König vom Grünen Ring Leipzig, der hiesigen Stadt-Umland-Kooperation.

Früher habe man Angst um die Leistungssportler haben müssen, die sich als einzige in die mit Chemikalien verseuchten Leipziger Gewässer wagten. Heute drängeln sich Leistungs-, Freizeit-, Gesundheitssportler und motorisierte Ausflugsboote an schönen Tagen auf den Wasserwegen. „Bei allen manchmal widerstreitenden Interessen zwischen Naturschutz, Landschaftsnutzung, Freizeit und Sport auf dem Wasser ist es eine Wahnsinnsleistung, was hier passiert ist und weiter passiert“, sagt König.

Angela Zábojník, die als Leipzigs Wasser-„Guru“ gilt und bei der Stadt für Gewässerentwicklung verantwortlich ist, hatte Anfang der 1990er-Jahre als eine der Ersten die Traute und Vision, Leipzigs Gewässer zu verbinden, als kaum jemand sonst darauf Wert legte.

Paddel-Flashmob eröffnet Wassersaison

Zum Zentrum der Leipziger Wasserwelt soll der Leipziger Stadthafen werden, der nur etwa einen Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. Für zwölf Millionen Euro entsteht hier am Elstermühlgraben bis 2025 ein 4.000 Quadratmeter großes Hafenbecken und ein neues Gebäude. Gerade wird das Gelände ausgebaggert, große Erdberge türmen sich auf. Daneben finden gerade die letzten Arbeiten an der provisorischen Beach-Bar statt, der Betrieb läuft trotz der Bauarbeiten ebenso weiter wie der Paddelverleih und die Motorbootstouren.

Jan Benzien ist als früherer Kanuslalom-Weltmeister auf dem Wasser. Nun steckt er all seine Energie in den Wassersport-Standort Leipzig und verantwortet den Ausbau des Stadthafens. „Du startest hier zentral in der Stadt, kommst an Villen und Industriearchitektur vorbei, durch den Floßgraben ins Grüne, wo das Wasser ganz klar ist und die Bäume ein Dach bilden, zum Cospudener See, wo fast Ostseefeeling herrscht“, schwärmt er. „Diese Vielfalt, die wir hier in Leipzig auf einer Wasserstrecke von nur zehn Kilometern haben, sucht ihresgleichen.“

Wie jedes Jahr eröffnete der Stadthafen die Saison mit einem Paddel-Flashmob. Die Flotte von etwa 75 Booten – Benzien auf einem SUP in der Mitte – paddelte bis zur Bootsrutsche an der Schleuse Connewitz und zurück. Es ist nach zwei harten Corona-Sommern auch der demonstrative und heiß ersehnte Start in eine möglichst normale Leipziger Wassersaison.

Ausbau der Verbindungskanäle stockt

Für die Leipziger und Tagesausflügler, die immer mehr auch nach Leipzig strömen, gibt es bereits jetzt von Paddeln und SUP, Rudern und Drachenbootfahren über Wasserski und Wildwasser-Rafting bis zu Segeln, Surfen und Kiten umfangreiche und spannendeMöglichkeiten, den Tag auf den Leipziger Flüssen, Kanälen und Seen zu verbringen. Und um den Leistungssport auf dem Wasser voranzutreiben, beginnt etwa dieses Jahr der Ausbau des Bootshauses am Klingerweg, um den Anforderungen des Bundesstützpunktes für Kanurennsport gerecht zu werden.

Allein, die Verbindung der Leipziger Gewässer, die bis 2030 abgeschlossen sein soll, um auch für Wasserwanderer ein noch attraktiverer Standort zu werden, dauert viel länger als gedacht. So sollte etwa der Harthkanal, der Cospudener und Zwenkauer See verbinden soll, längst fertig sein. Doch das millionenschwere Bauprojekt stockt, weil die versprochenen Gelder von Land und Bund nicht wie im Zeitplan vereinbart fließen. Das betrifft auch die Verbindung zwischen Pleiße und dem Markkleeberger See und dem Störmthaler Kanal zwischen Störmthaler und Markkleeberger See, die schon eröffnet war, nun jedoch wegen Böschungsrutschungen seit einem Jahr gesperrt ist.

„Die Wunder dauern eben manchmal etwas länger, man muss einen langen Atem haben“, sagt Heike König vom Grünen Ring und appelliert: „Wir brauchen einen Schulterschluss aller Protagonisten in der Region und müssen immer wieder laut in Richtung der sächsischen Landesregierung betonen, dass man nicht auf halber Strecke aufhören kann.“ Dazu brauche es auch den „dringenden Wunsch des Sports“, dass der Gewässerverbund Leipziger Neuseenland auch wirklich in seiner Gänze genutzt werden kann.

Die Verbindung des Lindenauer Hafens zum Saale-Leipzig-Kanal ist dringend notwendig, um das Gewässersystem zu erweitern und zu entlasten. Heiko Rosenthal, Sportbürgermeister

Zukunftsmusik: Elster-Saale-Kanal

Auch die Verbindung zwischen Elster-Saale-Kanal, wo bei Burghausen die Ruder-Leistungssportler trainieren, und dem Lindenauer Hafen ist noch Zukunftsmusik. Doch sogar Sportbürgermeister Heiko Rosenthal betont, dass diese „dringend notwendig“ sei, „um das Gewässersystem zu erweitern und zu entlasten.“

Noch muss Manfred Heine mit der Besatzung seines Ruderkatamarans am Ende des Hafenbeckens in Lindenau stets wenden, weil die etwa 50 Meter über die Straße zum Kanal fehlen. Doch Optimist Heine sagt: „Ich glaube daran, dass der Durchbruch kommt.“ Für das im Sommer ohnehin überlastete Wassernetz, sei der Zugang zum Kanal ein dringend nötiges Ventil. Heine weiß ebenso wie Angela Zábojník, Heike König, Jan Benzien und all die anderen Protagonisten der Wasser(sport-)stadt Leipzig, dass sich Wasser-Visionen in Leipzig lohnen.

Meilensteine der Gewässerentwicklung in Leipzig

1994 Internationale Konferenz zur Entwicklung der Bergbau-Folgelandschaft unter Federführung des damaligen Regierungspräsidiums
1998 Erste Planungen für Schleusen, Häfen und Gewässerverbindungen in einer grauen, noch ungefluteten Landschaft im Auftrag des Grünen Rings Leipzig
2000 Flutung des Tagebaus Cospuden
2002 Entschlammung des Floßgrabens als Verbindungsgraben des gefluteten Cospudener Sees mit der Pleiße und damit mit dem Wasserweg in die Stadt Leipzig hinein
2004 Beginn der Offenlegung des Elstermühlgrabens und damit des Kurses 3 in den Nordosten der Stadt zur Saale
2006 Inbetriebnahme der Schleuse Cospuden – erste Schleuse im Leipziger Neuseenland
2011 Inbetriebnahme des gesamten Kurses 1 und der Schleuse Connewitz
2013 Inbetriebnahme der Kanupark-Schleuse
2015 Inbetriebnahme der Gewässerverbindung Karl-Heine-Kanal – Lindenauer Hafen

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