Mitte August im Leipziger Zentrum-Süd. Etwa 20 Bauarbeiter werkeln auf einem Rohbau in der Shakespearestraße 17 und 18. Hier baut die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft auf einer alten Brache 65 Zwei- bis Vierraumwohnungen. Auf den ersten Blick eine ganz normale Baustelle.
- Wohnen
Schrecklich verseucht?


Alte Fässer im Hinterhof
Doch der Eindruck täuscht. Am nördlichen Rand der Grube bedecken blaue Abdeckplanen eine Fläche von gut 3 x 20 Metern. Am 9. März wurde entdeckt, dass sich hochgiftiges Chrom(VI)-oxid mit Regenwasser in Pfützen in der Grube sammelt. Der Stoff kann zu schweren Verätzungen und chronischen Vergiftungen führen, gilt als krebserregend.
Ein Anwohner berichtete von verendeten Vögeln und einem metallischen Geschmack im Mund. Nach Recherchen von MDR und Ahoi stammt das Chrom aus einer ehemaligen Galvanikwerkstatt in der Paul-Gruner-Straße 29. Alte Fässer und Kanister stapeln sich unter freiem Himmel, nur wenige Meter von einem gemütlichen Hinterhofgärtchen, einer Fahrradgarage und Parkplätzen entfernt.
Auf einem Schild an einer verwitterten Holztür steht „Wolfgang Bär – Verchromung – Vernickelung – Metallschleiferei“. Die südliche Mauer des maroden Gebäudes grenzt an die Baugrube. In diesem Bereich kam – offenbar durch die Baggerarbeiten – das Gift zum Vorschein. Besteht eine Gefahr für Anwohnerinnen und Anwohner? Kann der Stoff gar ins Grundwasser einsickern?
Das Amt für Umweltschutz sagt: „Nein.“ Die Kontamination sei „auf den Bodenbereich innerhalb des Galvanikgebäudes beschränkt“, nur der Boden unterhalb der Werkstatt sei mit Chrom verunreinigt. Die Belastung entstand offenbar schon zu DDR-Zeiten. Aktuell trete von der Werkstatt kein Chrom VI aus. Eine Gefährdung von Menschen außerhalb des Gebäudes ist laut der Behörde nicht gegeben. Bei einer Nachmessung des Grundwassers im Abstrom des Galvanikstandortes Ende März hätten Chrom und Chrom VI unterhalb der Nachweisgrenze gelegen.
Die Leipziger Rechtsanwältin Annett Albrecht ist im Schwerpunkt Umwelt- und Abfallrecht tätig. Sie sagt: „Bei den Niederschlägen der letzten Monate ist nicht auszuschließen, dass der Schadstoff ins Grundwasser oder auf anderem Weg in die Kanalisation eingetragen werden kann.“ Ob dann eine tatsächliche Gefährdung vorliegt, hängt laut der Expertin von der Schadstoff-Konzentration ab.

Die Pumpen stehen still
Anwohner haben beobachtet, dass die Giftpfützen in der Grube im regenreichen Frühjahr mehrere Wochen vor sich hin sickerten. Ein Anwohner, der anonym bleiben möchte, berichtet: „Seit Mitte März ist nichts passiert, außer das sporadisch einige Seitenwände der Baugrube mit einer Folie abgeklebt wurden und das ein, zweimal das vergiftete Wasser in einen Container auf der Baustelle gepumpt wurde.“
Die LWB stellt das anders dar und teilt mit: „Es wurden Sofortmaßnahmen zum Auffangen der Flüssigkeit getroffen, um eine unkontrollierte Ausbreitung zu verhindern.“ Es folgen weitere Sicherungsmaßnahmen. Ein Blick auf die Baustelle. Mitte August waren nach Regenfällen große, grünliche Pfützen in der Grube unterhalb der Galvanikwerkstatt zu sehen. Die Pumpen, die das Wasser absaugen sollen, standen an diesem Tag still. An einem Zaun sind Warn- und Verhaltenshinweise für das Arbeiten im kontaminierten Bereich angebracht.

Bronchitis, Asthma und Geschwüre
Eine mögliche Gefahr durch Chrom VI sind Verwehungen von belasteten Bodenpartikeln. Diese könnten laut Anwältin Albrecht länger eingeatmet zu Bronchitis, Asthma und Geschwüren an den Schleimhäuten führen. Nach Informationen von Ahoi und MDR sollen Arbeiter die Baugrubenwand rund acht Wochen nach der Entdeckung des Gifts mit Schutzfolie abgedeckt haben.
Bewohner eines Nachbarhauses der ehemaligen Werkstatt erhielten erst Anfang April ein Schreiben von der Hausverwaltung – drei Wochen nachdem die Chrom-Verseuchung vom Labor bestätigt wurde. Für Anwältin Albrecht „muss dringend etwas unternommen werden. Die Abfälle auf dem Gelände der ehemaligen Galvanikwerkstatt müssen fachgerecht beseitigt werden.“
Die Fässer, in denen laut Umweltamt Reinigungswässer aus der Werkstatt lagern, sollten bis Ende August entsorgt werden. Ein Abriss des Gebäudes sei nach Bodenschutzrecht nicht erforderlich. Die Hausverwaltung warnte ihre Mieter vor gelben Ausblühungen im Ziegelmauerwerk der Galvanik. „Ein direkter Kontakt ist zwingend zu vermeiden.“ Die Stelle war monatelang nur mit rot-weißem Absperrband „gesichert“.
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