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Leistungssport in der Krise

Quo Vadis, Sportstadt Leipzig?

Neunter Platz – das schlechteste Ergebnis Deutschlands bei Olympischen Sommerspielen seit der Wiedervereinigung. Tokio hat uns im vergangenen Sommer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die SPORT STADT LEIPZIG hat sich mit sieben Leipziger Akteuren aus dem Sport an den runden Tisch gesetzt und diskutiert, wo die Gründe für die Talfahrt liegen und wie man die Trendwende einläuten kann.

Leistungssport in der Krise

Unsere Gäste:

Heiko Rosenthal, Bürgermeister und Beigeordneter für Umwelt, Klima, Ordnung und Sport der Stadt Leipzig
Stefan Sadlau, Olympiastützpunkt Sachsen, stv. Leiter und Standortkoordinator Leipzig
Heike Fischer-Jung, Vorsitzende des Fördervereins Sportstadt Leipzig, Wasserspringerin (Olympische Bronzemedaillengewinnerin 2008)
Martin Schulz, Paratriathlet, Goldmedaillengewinner Olympische Spiele 2021 und 2016
Annekatrin Thiele, Ruderin, Goldmedaillengewinnerin Olympische Spiele 2016, Silber 2012 und 2008
Frank Embacher, Leipziger Landestrainer Schwimmen, SSG
Kay Vesely, Bundesstützpunkttrainer Kanurennsport

SPORT STADT LEIPZIG:

Ulf Tippelt, Direktor des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig, bilanzierte nach den Olympischen Spielen gegenüber dem MDR: „Sport spielt in Deutschland mit Ausnahme des Fußballs eine viel zu geringe Rolle.“ Können Sie dem zustimmen?

Frank Embacher: Tatsächlich ist der Stellenwert des Leistungssports zurückgegangen, auch was die Motivation anbelangt. Dazu kommt, dass es weniger Talente gibt. Wir haben nicht mehr die Manpower, um in Kindergärten oder Schulen nach talentierten, sportinteressierten Kindern zu suchen. Wir warten darauf, dass Kinder in die Vereine kommen. Das ist zu wenig. Wir haben definitiv Reserven.

Stefan Sadlau: Da stimme ich zu. Wir haben in den letzten 10 bis 15 Jahren mit einem Bedeutungsverlust des Leistungssports zu tun. Mit Blick auf unser Spitzensport-Team stelle ich fest, dass wir von den Athleten zehren, die schon lange dabei sind. Von unten kommt zu wenig nach. Dazu kommt, dass die Kinder und Jugendlichen heute eine viel größere Angebotspalette haben als noch vor 20 Jahren. Der Sport muss sich um die Kinder reißen.

Heike Fischer-Jung: Dass es weniger Talente gibt, ist eine Entwicklung der letzten zehn Jahre. Ein Trend ist auch, dass viele vor dem angeblichen Druck im Leistungssport zurückschrecken. Es gilt, dem Leistungssport ein besseres Image zu verschaffen, bei dem auch vermittelt wird, was der Mehrwert des Leistungssportes ist, zum Beispiel der Zusammenhalt und das Erlernen sozialer Kompetenz.

Heiko Rosenthal: Aus meiner Sicht hat der Leistungssport in Leipzig mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil wir uns unserem „Sportstadt-Bewusstsein“ wieder mehr zugewandt haben. Klar hat RB Leipzig dabei einen wesentlichen Akzent gesetzt. Aber das beantwortet nicht die Frage, wie wir bei den Olympischen Spielen abgeschnitten haben. Leistungssport wird über die Vereine in die Schulen, zu den Kindern getragen. Und wenn dieses Bindeglied nicht funktioniert? Da sollten wir aus meiner Sicht mehr Projekte zwischen Schulen und Vereinen anschieben – auch um gegenzusteuern, denn Schulsport wird immer stärker reduziert. Letzteres ist allerdings kein kommunales Problem.

SPORT STADT LEIPZIG:

Wie können wir den Spitzensport wieder attraktiver machen?

Martin Schulz: Es muss sich lohnen, den anstrengenden Weg als Leistungssportler zu gehen. Erfolgreiche Sportler sollten mehr Anerkennung erhalten und aus dieser Position heraus eine Vorbildfunktion einnehmen, denn Vorbilder sind wichtig für Kinder. Auch beim Übergang vom Sport- ins Berufsleben gibt es Optimierungsbedarf im Spitzensport. Dazu müssen wir die kommunalen Unternehmen ins Boot holen.

Annekatrin Thiele: Ja, die duale Ausbildung muss erleichtert werden. Dazu ist es nötig, mit Universitäten und kommunalen Unternehmen Kooperationen zu verbessern beziehungsweise anzustreben. So kann der berufliche Druck vom Sportler genommen werden, denn viel zu viele Athleten brechen ihre sportliche Laufbahn beim Übergang von der Schule zum Studium beziehungsweise zur Ausbildung ab.

Frank Embacher: Anerkennung geht mit Aufmerksamkeit einher. Ein einfaches Beispiel ist die mediale Präsenz, denn damit könnte man die Sportler bekannter machen und deren Leistungen honorieren. Doch wenn man die hiesigen Zeitungen aufschlägt, geht es nur um Fußball. Die anderen Sportarten finden in den Medien nicht statt, was extrem schade ist.

SPORT STADT LEIPZIG:

Große Hoffnung, um die Talfahrt aufzuhalten, lag auf der Leistungssportreform 2016: Strukturen sollten verschlankt werden und die Athleten mehr im Vordergrund stehen. Für Leipzig hat dies dazu geführt, dass die Stadt „nur noch“ ein Standort innerhalb des Olympiastützpunktes Sachsen ist. Zündet die Reform noch oder ist das eine Sackgasse?

Stefan Sadlau: Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Reform zu hinterfragen. Wir haben die Strukturen verändert, aber in Sachen Trainer beispielsweise ist nichts passiert. Es gibt zwar Regionaltrainer, die unter anderem talentierte Kinder sichten sollen, aber die Trainer werden in den Vereinen gebraucht, weil überall Personal fehlt.

Heiko Rosenthal: Es wäre sinnvoller gewesen, wir hätten den Olympiastützpunkt in Leipzig behalten. Denn wir haben hier den einmaligen Standort der Sommersportarten im Leistungssport in Sachsen. Gefragt sind wir dahingehend, wie wir den Standort im Chor der Konkurrenz der Wintersportorten herausheben können.

Kay Vesely: Wir haben genug Kinder, die bei uns trainieren. Doch uns fehlt komplett der Unterbau – materiell und personell. Wir brauchen gut ausgebildete Trainer, die die Kinder professionell betreuen. Wenn wir die Besten sein wollen, dann brauchen wir das beste Umfeld, die besten Trainer, die besten Sportler. Selbst in der Spitze haben wir einen akuten Trainermangel. Es klemmt an allen Ecken und Enden.

Martin Schulz: Mein Bundestrainer ist zu 80 Prozent mit Bürokratie beschäftigt. Seine eigentliche Aufgabe – das Training am Mann – fällt hinten runter. Da sind schon so wenige Trainer da und die, die da sind, können sich nicht um das Tagesgeschäft kümmern. So kann es nicht besser werden.

Annekatrin Thiele: Ich verbinde mit der Leistungssportreform nichts Positives. Es geht mir vor allem um die gerechte und wertschätzende Bezahlung der Trainer. Ein Rudertrainer ist nicht weniger wert als ein Fußballtrainer. Wir fangen jetzt an, uns im Ausland Trainer zu suchen. Und das, obwohl wir genug Sportstudenten haben. Aber für 500 Euro mehr im Monat macht den Job halt auch keiner. Es geht mir um die Aufwertung des Trainerberufes.

SPORT STADT LEIPZIG:

Ein viel diskutiertes Thema ist auch die sportliche Infrastruktur, Stichwort Sportstätten.

Martin Schulz: Trainingsstätten sind ein leidiges Thema. Allein für meine Sportart kann ich sagen, dass wir mehr Schwimmbecken brauchen. Da sollten wir uns als Sportstadt als Vorreiter abheben.

Frank Embacher:Wir sind an einem Punkt, an dem wir nicht mehr weiterkommen. Es fehlt an Schwimmhallen. Die Uni-Schwimmhalle nutzen alle, auch die Flossenschwimmer, die Triathleten, die Breitensportler. Eine Halle ausschließlich für den Leistungssport würde extrem helfen.

Heiko Rosenthal:Spitzensport nebst Trainingsstätten werden von Bund und Land finanziert. Wir sitzen am Katzentisch, sind Bittsteller. Wir können nur das finanzieren, was wir im städtischen Haushalt möglich machen können. Und wir tun das Möglichste, obwohl dies nicht unsere Pflichtaufgabe ist. Beispielsweise finanzieren wir eine neue Schwimmhalle mit 13 Millionen Euro komplett selbst. Bund und Land geben nichts dazu.

Kay Vesely:Wir haben im Kanurennsport keinen Nachwuchsmangel und auch unsere Bedingungen sind gut. Wir können uns mit dem, was wir hier in Leipzig haben, gegenüber anderen Stützpunkten durchsetzen.

Stefan Sadlau: Rund 500 Millionen Euro Bundesmittel sind im Zuge der Reform und entsprechend des Zyklus 2016 bis 2021 geflossen. Das Geld ist nicht an die Basis gelangt. So können wir nicht erwarten, dass mehr Medaillen fließen. Ich weiß, dass dieses Budget nicht erhöht wird. Das heißt: Das gleiche Geld wird an weniger Sportarten fließen, um mehr Erfolg zu haben. Wir werden eine Ausdünnung der Hochleistungssportarten bis 2032 um etwa 25 Prozent erleben.

SPORT STADT LEIPZIG:

Ausdünnung ist kein populäres Thema. Dennoch: Sollten wir uns als Stadt auf Sportarten wie Schwimmen, Kanuslalom oder Radsport konzentrieren, die in der Medaillenausbeute hoffnungsvoll sind?

Heike Fischer-Jung: Auch wegen der begrenzten Mittel müssen wir uns in Leipzig auf Kernsportarten konzentrieren, also auf Kanu, Schwimmen, Rudern, auch auf Leichtathletik. Hier nenne ich beispielhaft den harten Weg der Konzentration, den Großbritannien erfolgreich beschritten hat. Denn wenn der Kuchen nicht größer wird, wird es für die einzelnen Sportarten immer weniger.

Heiko Rosenthal:Von Turnen und der Rhythmischen Sportgymnastik haben wir uns bereits verabschiedet. Für Hockey und Radsport ist die Förderung auf Null gesetzt. Sollen wir jetzt noch die sechs Bundesstützpunkte, zum Beispiel Judo, Finswimming, Handball Frauen und Männer, Volleyball streichen? Nein, das ist nicht das, was wir als Sportstadt Leipzig wollen. Aber wir können es nur in dem Rahmen finanzieren, wie wir es uns aus dem kommunalen Haushalt heraus leisten können.

Fazit

Bereits während der Interviewrunde und auch im Nachgang wurde deutlich, wie willkommen der initiierte Dialog bei allen Teilnehmern ist. Vereins- und sportartenübergreifend stehen viele Protagonisten im Spitzensport vor denselben Herausforderungen und sind bereit, sich diesen gemeinsam zu stellen. Die Motivation, sich als Sportstadt-Leipzig-Familie darauf zu konzentrieren, was konkret in der Stadt verbessert werden kann, ist enorm. Klar wurde auch, dass es etliche Ideen gibt, zum Beispiel eine Art Shuttleservice zum Kindertraining zur Entlastung der Eltern oder ein Sportcampus, auf dem die Einzelsportler wieder stärker in Kontakt kommen.

Um die brennenden Themen zu bündeln und in die entsprechenden Ausschüsse und Arbeitsgremien einfließen zu lassen, sollen künftig in regelmäßigen Abständen Gesprächsrunden stattfinden. Als dringlichste Aufgabe kristallisierte sich zunächst die Trainerproblematik heraus, die sich grundlegend auf alles Weitere – Erfolg der Top-Athleten oder Nachwuchsgewinnung – auswirkt.

Das Gespräch führten Heike Fiedler und Katja Junghans

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