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Das ganze Leben ist Improtheater

Gespräch mit Moritz Riemer vom Improtheater Action&Drama

Theater ist keine kommunikative Einbahnstraße. Und gerade Improtheater lebt vom Austausch mit dem Publikum. Leipzig war vor Jahren ein Hotspot im Improtheater-Universum. Durch Corona hat sich auch hier das Angebot spürbar ausgedünnt. Ahoi-Redakteur sprach mit Moritz Riemer, der mit dem Team von Action&Drama weitermacht und weitermacht und weitermacht …

Das ganze Team vom Action&Drama ganz voller Action und Drama © Eva-Maria Schneider

Ahoi: Guten Tag, lieber Moritz Riemer. Du bist Teil des Improtheaters Action&Drama. Euch gibt es schon seit 2009 als festes Ensemble. Kannst Du uns bitte etwas über das Action&Drama-Team sagen. Wer ist dabei und wo habt Ihr Eure Theater-Skills her?

Moritz Riemer: Hallo lieber Volly. Wie schön, eine Runde mit dir zu plaudern! Action&Drama war seit jeher mehr Sammelbecken als ganz fest abgegrenztes System. Deswegen sieht das Publikum bei uns immer wieder Gastauftritte von geschätzten Kolleg*innen, die unsere Vorstellung von gutem Impro teilen. Wenn es um die Kerngruppe geht, ist da zuerst Alexander Eckardt zu nennen – Gründungmitglied und Improdinosaurier. Als ich vor knapp 20 Jahren mit der spontanen Kunst angefangen habe, stand er damit schon regelmäßig auf der Bühne. Außerdem Alena Kallauke, Impromusikerin durch und durch, eine der ganz wenigen in Leipzig. Dazu kommen noch Julian Affeld und Mandy Skierlo, zwei Menschen, bei denen es einfach Spaß macht, ihnen auf der Bühne zuzugucken. Wobei Mandy gerade eher die Moderation übernimmt, weil sie das deutlich besser kann als der Rest. Und ich bin auch noch dabei.

Das Handwerkszeug haben wir alle auf die gleiche Art bekommen, da ist man im Improvisationstheater in einer komfortablen Situation: Ein paar der nationalen und internationalen Koryphäen des Fachs bieten ihre Weisheiten regelmäßig in Workshops und Kursen an. Dort waren wir und dann haben wir geübt, geübt, geübt.

 

Ahoi: Ich erinnere mich nur noch in Fetzen an 2009, nur noch soweit, dass da in Leipzig gerade Theaterhochzeit war, selbst ich habe mich mit einem Theaterstück „Nie wieder in die Stille zurück“ im LOFFT eingemischt. Doch warum habt Ihr Euch zusammengetan?

Moritz Riemer: Vielleicht war der Hintergedanke damals gar nicht so verschieden. Du hast das Scheinwerferlicht auf Menschen gerichtet, die in geschichtlich turbulenten Zeiten eine wichtige Rolle gespielt haben, darin aber oft komplett übersehen werden. Uns ist, natürlich weit weniger bedeutungsschwanger, aufgefallen: Wir sitzen regelmäßig in einer der vielen, kleinen Leipziger Improtheater-Shows und genießen geniale Sachen von genialen Darsteller*innen, die außerhalb der Szene einfach niemand kennt - Julian ist da das beste Beispiel. Daran wollten wir etwas ändern. Und so haben Alex und ich uns zusammengetan, um Events zu organisieren, die diesen Leuten im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne geben. Daraus hat sich dann mit der Zeit ein festes Ensemble mit eigener Spielphilosophie entwickelt.

 

Ahoi: Improtheater lebt ja von der Liveshow. Was habt ihr während der Coronazeit getan? Wie geht Improtheater in Verschlusszeiten? Im Underground der Kultur?

Moritz Riemer: Es ging kaum bis gar nicht. Wir haben in den Zeiten mit strengen Regeln pausiert und ansonsten waren es kleine Probengruppen mit vielen Tests. Keine Gemeinschaftsevents, Kurse nur in den warmen Monaten draußen, zwei Auftritte in zwei Jahren. Fiese Zeit.

 

Ahoi: Du erwähntest gerade Eure Action&Drama-Spielphilosophie. Kannst Du uns da bitte mehr dazu sagen?

Moritz Riemer: Grundgedanke der Philosophie ist, dass Improvisationstheater nicht anderthalb Stunden Show lang immer nur lustig sein muss. Wir glauben, unsere Kunst ist immer dann am besten, wenn die Darsteller auf der Bühne das tun können, was sie gerade in diesem Moment inspiriert. Durch das Setup des Improtheaters sind das öfter komische Sachen, aber eben nicht immer. Manchmal erscheinen spontan so abgründige, traurige oder liebevolle Situationen, die es sich zu erkunden lohnt. Und auch sie sollen ihren Platz haben. In Shows von Action&Drama wurde schon der Atem angehalten, wurden Augenbrauen hochgezogen und Tränchen verdrückt. Dass das passieren kann, ist uns wichtig. Danach lacht es sich dann auch wieder umso befreiter.

 

Ahoi: Ihr gebt auch Kurse. Für wen, wann und wie läuft sowas ab? Und schlussendlich: Was bringt es den Teilnehmenden überhaupt?

Moritz Riemer: Die Kurse sind zwei Stunden in der Woche, in denen man die eigene verspielte Seite entdecken und ausleben kann, in denen Fehler völlig egal sind, in denen man mit den anderen zusammen in den Moment eintaucht und den Alltag darüber vergisst. Das tut den meisten Menschen gut, ob sie nun 12 oder 92 Jahre alt sind. Für sie alle soll es die Möglichkeit geben, Improtheater zu spielen, das ist unsere Mission. Und die Nachfrage ist groß: Seit man wieder Theaterproben machen darf, sind unsere beiden Kurse unter der Woche komplett ausgebucht, sodass wir seit dem 24. April noch einen weiteren am Sonntagnachmittag anbieten können.

 

Ahoi: Faszinierend finde ich ja, dass Ihr Euch auch Unternehmen widmet. Wie kam es den dazu? Und mit wem habt Ihr schon improvisiert? Und was bringt es gerade Unternehmen?

Moritz Riemer: Die Idee entstand aus Unternehmensworkshops heraus, die wir selbst noch als Arbeitnehmer besucht haben. Bei manchen von ihnen herrschte danach blanke Ernüchterung und Ratlosigkeit unter den Kollegen. Was soll das jetzt gebracht haben? Diesen Zustand kann ich mir nach ein paar Stunden Improtheater mit dem Team kaum vorstellen. Nicht nur, dass man hier automatisch diverse Dinge übt: Schlagfertigkeit, Körpersprache, Präsentation vor Publikum usw. Zusätzlich sind die Stunden auch immer ein Gruppenerlebnis, bei dem man sich auf eine innigere und fröhlichere Art begegnet als das im Büroalltag jemals möglich ist.

 

Ahoi: Euer Haupthaus ist das Dachtheater im Haus Steinstrasse. Stand da nicht ein Umzug an oder bin ich da auch dem falschen Dampfer? Wie stehen denn in der Steinstraße gerade die Aktien?

Moritz Riemer: Ja, Volly, es scheint wirklich so weit zu sein, das Haus Steinstraße zieht in den fernen Westen. Das Dachtheater war Heimat für mehrere Improtheatergruppen, durch die geräumige Bühne und den kurzen Abstand zum Publikum ideal für spontanes Spielen. Ein wirklicher Verlust für die Szene.

 

Ahoi: Von Impro könnt Ihr ja bestimmt nicht wirklich alle Eure Kühlschränke füllen, Windeln kaufen und angstfrei in die Zukunft schauen. Gibt es noch so richtig langweilige Brotjobs? Wenn ja, welche?

Moritz Riemer: Einerseits: Ja. Mandy, Alex und Alena arbeiten pädagogisch, Julian und ich psychotherapeutisch. Anderseits sind wir in diesen Jobs so oft dabei, Multitasking zu machen, spontan Idee aufzugreifen und weiterzuentwickeln, nach dem Flow zu suchen usw. Unsere Arbeit ist an vielen Stellen Improtheater. Das Leben ist an vielen Stellen Improtheater.

 

Ahoi: Danke, lieber Moritz – und Euch allen im Theaterboot, Zukunft und Freude am Tun.

Moritz Riemer: Ein dickes Dankeschön zurück. Bleibt so bunt wie Ihr seid.

Improtheater Action&Drama im Netz:

www.actionunddrama.de

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