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    Erich in Berlin sollte von nichts wissen

    Gespräch mit der Künstlerin Marlen Riedel

    Im Herzen Leipzig, mittenmang auf dem Leuschner-Platz, prangt der ehemalige Bowlingtreff, der derzeit einer neuen Nutzung zugeführt wird. Marlen Riedel und ihre Freundinnen machen daraus ein Kunstprojekt, welches am Freitag, dem 8. Juli 2022 erstmals einmalig Premiere feiert. Schauen wir mal und hören wir zu. Ahoi-Redakteur Volly Tanner hinterfragte:

    BU: Frau Riedel sinniert über neue Projekte. Hoffentlich ist genug Geld im Fördertopf! © thomasbaerphotography.com

    Ahoi: Guten Tag, Marlen Riedel. Du bist in die künstlerische Leitung des Projekts „BowlingTREFF“ involviert, welches am 8. Juli 2022 Premiere feiert. Was ist das denn für ein Projekt?

    Marlen Riedel: Hi Volly, schön mit dir zu plaudern. Unser Projekt „BowlingTREFF“ ist ein performativer Audiowalk am Wilhelm-Leuschner-Platz. Das heißt, dass man bei uns an einem Ort herumläuft mit Kopfhörern auf den Ohren, Stimmen und Musik hört, ganz ähnlich wie in einem Hörspiel und das Ganze hat natürlich einen direkten Bezug zum Leuschi, bzw. zum ehemaligen Bowlingtreff Leipzig. Die Menschen, die bei uns zuhören und mitlaufen, erfahren etwas zur Geschichte aber auch zur Gegenwart und Zukunft des Bowlingzentrums, welches seit 1997 leer steht.

     

    Ahoi: Und warum wurde der Bowlingtreff auf dem Leuschner Platz Objekt der Begierde? Wie kam es gerade dazu, hier den performativen Hörspaziergang stattfinden zu lassen?

    Marlen Riedel: Na ja, es wird dir vielleicht auch so gehen: Man stolpert so drüber, man fährt an ihm vorbei, man sieht ihn unfreiwillig, wenn man an der Haltestelle auf die Linie 8 wartet…. Der Bowlingtreff und sein herausragendes, achteckiges Gebäude sind schon immer präsent im Stadtbild und auf der Brache mitten in der Innenstadt. Manche wissen es, manche wissen es nicht… ein bisschen mystisch, ein bisschen lost place. Klar war da für uns: Da müssen wir hin, da müssen wir rein, da müssen wir Geschichte aufdecken und Geschichten entdecken.

     

    Ahoi: Wer ist denn noch mit im Team?

    Marlen Riedel: Ja, das ist meine tolle Kollegin Johanna Dieme, mit der ich bereits den Audiowalk am Cospudener See gemacht habe vor einigen Jahren, der hieß „Verschlungene Dörfer“ und beleuchtete die Vielschichtigkeit des Ortes Cospudener Landschaftspark. In unserem Team ist außerdem noch Hannah Sieben, sie ist unsere Produktionsleiterin und schaut, dass alles fristgemäß beendet wird und finanziell nichts aus den Rudern läuft. Außerdem haben wir eine ganz tolle und engagierte Assistentin: Lisa Kilger. Ohne sie wären wir auch manchmal ein echter lost place.

     

    Ahoi: Im Einlauftext, den ich lesen durfte, wird der Bowlingtreff als „steingewordener Widerstand“ bezeichnet. Welche Geschichte verbirgt sich denn dahinter?

    Marlen Riedel: Ich darf natürlich nicht spoilern, aber eigentlich wissen die Urleipzigerinnen und Urleipziger: der Bowlingtreff ist ja ein unterirdischer Schwarzbau gewesen. Also eigentlich hat quasi fast jede Leipzigerin und jeder Leipziger daran mitgewerkelt. Das hatte nicht nur den Grund, dass am Ende des Baus nicht nur das Geld ausging und die Zeit auch, sondern, dass auch die DDR-Hauptstadt Berlin keinen Wind von der ganzen Sache kriegen sollte. Erich in Berlin sollte nicht wissen, dass in Leipzig so ein Freizeitkoloss gebaut wird. Deswegen hat man hier und da ein paar Sachen verheimlicht. So. Mehr gibts dann aber im Audiowalk davon! Sonst verrate ich noch alles hier.

     

    Ahoi: Das Projekt wird vom freiraus e.V. bearbeitet. Von diesem Verein haben ja jetzt – außer die Fördergeldgeber! – die wenigsten Menschen in Leipzig schon gehört. Was ist das für ein Verein? Welche Richtung verfolgt er?

    Marlen Riedel: freiraus e.V. realisiert Kunst- und Kulturprojekte in einer Gesellschaft der Vielheit - fast immer im Format side specific, also außerhalb des klassischen Theaterraumes. Dabei bewegen sich die Künstler:innen des Vereins durch die ganze Stadt im direkten Kontakt mit den Beteiligten und Themen. Die Projekte reichen von theaterpädagogischen Konzepten mit brisanten Inhalten, die vor allem Selbstbestimmung und Beteiligung im Fokus haben bis hin zu künstlerischen, performativen, biografisch, dokumentarischen Ansätzen, die Erfahrungsräume für Zuschauende öffnen. Zuletzt war freiraus mit einem klimapolitischen Kunstprojekt Thunfisch TV mit Kindern und Jugendlichen in der Stadt unterwegs. Die Ergebnisse von diesem Projekt sind auf einem Youtube Channel Thunfisch TV zu sehen. Und auch in unserem aktuellen Projekt BowlingTREFF sind wir ja mitten in der Stadt anzutreffen.

     

    Ahoi: Du selbst bist in Zwickau geboren, mittlerweile jedoch schon lange etablierte Künstlerin hier in unserer Stadt. Wie kam es, dass Du hierherzogst und was hat Dich gehalten?

    Marlen Riedel: Ich hatte Heimweh, damals, als ich lange in der Schweiz gewohnt habe und da fiel mir nichts Besseres ein, als nach Sachsen zu ziehen. Ich habe mich hier selbstständig gemacht und arbeite seitdem in so vielen verschiedenen Bereichen, ich weiß nicht, ob mir das in jeder anderen Stadt gelungen wäre. Außerdem habe ich natürlich privat hier auch einiges an Geschichte aufgebaut und sich davon zu trennen und Neues aufzubauen, das fällt mir dann scheinbar gar nicht mal so leicht. Wenn hier immer mehr Brachen bebaut und weniger Alternativen erhalten werden, dann werde ich hoffentlich den Mumm haben und wegziehen.

     

    Ahoi: Als Künstlerin, die Du ja bist, bist Du extrem abhängig von Fördertöpfen. Wie ist das eigentlich bei Dir: Kommt erst der Fördertopf und Du schreibst die Idee dazu oder kommt erst die Idee und dann suchst Du den Fördertopf? Und wie viel künstlerische Freiheit bleibt eigentlich, wenn der Staat der Finanzier der Projekte ist? Oder sehe ich als alter Punkrocker dies alles falsch?

    Marlen Riedel: Das kommt ganz darauf an, ob gerade Pandemie ist, auf den Kontostand und auf die Ideen. Manchmal habe ich ganz punkig die Idee: Das wäre geil zu machen, da habe ich jetzt Bock drauf. Und dann wird’s eben kompliziert. Woher nehmen, das viele Geld. Und dann muss ich schauen, wo beantrage ich Geld und wieviel überhaupt und was lässt sich von meinem künstlerischen Ziel überhaupt mit diesem Geld verwirklichen. Manchmal ist es aber auch andersrum, in Pandemiezeiten gab es ja ganz schön viele Fördertöpfe die da aufploppten in einer Geschwindigkeit: Soviele Projekte konnte ich gar nicht realisieren. Ich hatte vor dem Danach Angst. Wenn jetzt so viel Geld ausgeben wird, für Kunst, Kultur, Selbstständige etc.: Was passiert dann in fünf Jahren? Gibt es dann überhaupt noch Kulturförderung? Wenn ja, für wen? Für welche Art von Kultur? Eine Situation, die eh schon Angst macht, könnte noch unangenehmer werden. Ich habe schon Projekte absagen müssen, da zu wenig Fördergelder…. Das tut weh und motiviert auch nicht besonders.

     

    Ahoi: Gibt es eine Nachverwertung des Hörspaziergangs? Kann man sich das Ganze vielleicht auch unabhängig anhören? Wie macht ihr das?

    Marlen Riedel: Vorerst ist das nicht geplant. Wir werden mit Video und Performance arbeiten, an unseren Aufführungen. Das heißt, wenn du so willst: einmalige Geschichte, von der der Abend auch leben wird. Das macht unsere Arbeit spannend und stellt sie heraus. Meinen letzten Audiowalk „Der Hafen“, den kann man anhören über die tolle guidemate App. Am Lindenau Hafen kann man dann autark umherlaufen und dabei den Geschichten lauschen, da kann man sich vorher die Datei sogar offline verfügbar machen, wenn du also mal wieder nicht weißt am Sonntag was du so tun sollst: Gehe spazieren. Und lausche.

     

    Ahoi: Danke, liebe Marlen, für Deine Zeit und die von Dir eingebrachten Denkanstöße in Kunst.

    Marlen Riedel im Netz:

    www.marlenriedel.de

     

    Audiowalk „BowlingTREFF“ im Netz. Der freiraus e.V.:

    www.facebook.com/perfomativeKunst

     

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