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    Was wäre ich ohne mein Seismografenherz?

    Gespräch mit der Künstlerin Laura Liebeskind

    Laura Liebeskind © @Vidyofilms

    Am 20. April 2024 feiert die Leipziger Künstlerin Laura Liebeskind das Erscheinen ihres neuen Albums „Dionysos“. Da musste natürlich, schließlich durfte Ahoi-Redakteur Volly Tanner schon Material davon in seiner Radiosendung spielen, dringend nachgefragt werden. Und so entspannt sich ein E-Mail-Interview mit all seinen sprachlichen Windungen, die im ganz normalen Gespräch untereinander wahrscheinlich anders klängen. Nun ist es aber so und so soll es auch bleiben:

    Ahoi: Guten Tag, Laura Liebenskind. Dein neues Album „Dionysos“ feiert am 20. April 2024 Premiere im Leipziger Kupfersaal. Ich durfte ja schon etwas hineinhören. Das ist ganz großes Material. Glückwunsch! Nun wissen wir ja alle, dass um Dionysos auch ein Kult bestand, der sogenannte Dionysos-Kult. Es ging um Fruchtbarkeit. Euripides schrieb darüber auch ein heißes Drama – Die Bakchen. Von welcher Seite näherst Du Dich auf dem Album dem griechischen Gott?

    Laura Liebeskind: Lieber Volly, ich freu mich ganz doll über Dein Kompliment und Dein Interesse. Also, Dionysos ist ja der griechische Gott für ganz vieles: der Gott des Weines, des Rausches, des orgiastischen Feierns und damit auch des Chaos, der Kreativität und Sexualität. Sein Counterpart ist für gewöhnlich der Gott Apollon, der für das Rationale, das Konsistente und die Weitsicht steht.

    Nun rückte eines Tages Friedrich Nietzsche auf den Plan und sagte, dass Apollon viel zu überschätzt und Dionysos viel zu unterschätzt sei. Wir bilden uns ja alle ein, wir wären ach so schlau, aufgeklärt, bedacht und vernünftig.

    Doch wo kämen wir hin, wären wir erstens ohne Emotionen, Gegenwärtigkeit, Kreativität und Instinkt. Und vor allem: Wieviel Apollon dürfen wir uns wirklich zuschreiben, bei all dem Mist, den wir Menschen immer wieder verzapfen auf der Welt?

    Für mich hat alles seinen Platz. Gefühl und Kopf sind beides Mittel, die Welt zu erschließen. Was am Ende wirklich Ausschlag gibt, ob man „vernünftig”, „fair”, „herzlich” oder „gerecht” handelt, hat oft eher etwas damit zu tun, ob man mit dem eigenen Ego umgehen kann, in seiner Mitte ist und aus tiefstem Herzen das Richtige für sich selbst und das Zusammenleben mit anderen Wesen tun will.

    Ahoi: Du wirst am 20. April nicht allein sein auf der Bühne. Wer ist denn noch mit dabei und in welcher Rolle?

    Laura Liebeskind: Ich spiele meine Releasekonzerte ja für gewöhnlich mit großer Band. Dieses Mal wird mir aber vor allem das mondëna Streichquartett den Rücken decken. Es sind zum ersten Mal auch einige Songs auf dem Album, die Themenfelder wie Misogynie, Feminismus und weibliche Sexualität ansprechen. Deshalb fand ich es passend, dass wir Mädels den Großteil des Konzerts bestreiten.

    Aber ohne meine männlich gelesenen Freunde möchte ich trotzdem nicht auskommen. Deshalb sind unter anderem auch mein bester und längster Freund Tim Ludwig (bekannt von Byebye) und darüber hinaus jede Menge Videoprojektionen mit am Start.

    Ahoi: Ich mag das Lied „HSP (Wenn ich lieb)“ sehr. Du hast hier ein essenzielles Thema in Dein Repertoire aufgenommen. Wie kam es dazu?

    Laura Liebeskind: Ich freu mich sehr, dass du den Song ansprichst. Er kam zu Stande, weil ich an einem bestimmten Punkt ins Reine mit mir selbst gekommen bin.

    Wie gesagt haben Gefühle ja manchmal einen schlechten Ruf und ich habe mir lange Zeit eingeredet, ich würde über meinen Gefühlen stehen (müssen), weil ich den Eindruck hatte, diese Gefühle zu haben, macht mich klein. Aber so denkt eigentlich nur das Ego. Es ist viel ehrlicher und auf der Seelenebene auch ‘nützlicher’, sich zu erlauben, diese Gefühle relativ angstfrei zu fühlen und sich zu fragen, was sie mir sagen wollen.

    Mir sagen sie: Ich bin wirklich eine Logik liebende Person. Aber was wäre ich ohne mein Seismografenherz, das mir schon so viel über die Welt verraten hat und mir vor allem den Weg geleuchtet hat, hin zu den Menschen, zu der Berufung und dem Lebensstil, mit dem ich mich am wohlsten fühle und glücklich bin.

    Ahoi: Zu jedem Album gibt es immer einige Hardfacts – da wären unter anderem: Wo erscheint es (Label)? Wer hat es produziert? Wie ist der Vertrieb angedacht? Kannst Du uns bitte etwas schlauer machen in diesen Hinsichten?

    Laura Liebeskind: Ich veröffentliche unter meinem eigenen Label Laura Liebeskind. Produziert wurde das Album von Marius Fietz alias Farjus, selbst Singer-/Songwriter aus Berlin und Marcel Stroh von der Popakademie Mannheim. Ich bin bislang eine One-woman-show, weshalb auch der physische Vertrieb nur über meine Homepage stattfindet.

    Ahoi: Gibt es eine Tournee? Wenn ja, gibt es schon Termine? Unsere Leserschaft ist ja nicht nur auf Leipzig beschränkt.

    Laura Liebeskind: Die meisten Gigs finden in Leipzig und Umgebung statt, aber ich spiele auch in Berlin und anderen Städten und bin immer für ein gut organisiertes Wohnzimmerkonzert zu haben. Da kann man einfach mal auf meiner Homepage www.lauraliebeskind.de nachschauen.

    Ahoi: In der PM zum Album steht: „Nun, drei Jahre später kommt ein Album raus, dass ich mir schöner nicht hätte erträumen können, weil ich den Sound liebe, in meinen Texten ganz viel Celler Schule schwingt und weil es ganz doll widerspiegelt, was in den letzten drei Jahren bei mir los war: Ich bin gesund geworden.“ Was ist denn die Celler Schule und wovon bist Du gesundet?

    Laura Liebeskind: Das sind zwei riesige Fragen auf einmal und da ich hier ungern meine bedrückende Gesundheitsgeschichte auspacken will, sage ich nur eines: Es ging mir über ein Jahrzehnt extrem schlecht und lange wusste niemand, wieso.

    Aber Wunder können doch noch geschehen, denn mit viel Disziplin und etwas Glück bin ich wieder auf die Beine gekommen. Und ich konnte mir so Späßchen wie die Celler Schule erlauben: ein von der GEMA gestiftetes Textdichter:innenseminar, für das ich mich sieben Jahre lang beworben hatte, um 2022 endlich zu den zehn Auserlesenen zu gehören, die von Personen wie Anna Depenbusch, Sebastian Krämer oder Edith Jeske gecoacht wurden.

    Das hat mein Leben nachhaltig und drastisch verändert. Persönlich und musikalisch. Denn wann fährt man in meinem Alter schon noch einmal auf Klassenfahrt mit neun unbekannten Gleichgesinnten, die aufgrund der starken Liebe zu Musik und guten Texten und aufgrund der intensiven zwei gemeinsamen Wochen inklusive Flaschendrehen zu lebenslangen Freundinnen und Freunden werden?

    Ahoi: Einige Deiner Skills hast Du Dir in Glasgow am Royal Constervatoire of Scotland erworben, andere anderswo. Wie war es in Glasgow? An Deinen anderen Studienorten Berlin und Wien war ich ja schon.

    Laura Liebeskind: Glasgow war eine wunderbare Schule für mich. Ich hatte außergewöhnlich gute Schauspiel-, Gesangs- und Tanzlehrer:innen, die mir endlich ein paar langgehegte Fragen beantworten konnten. Da so ein Musical Theatre Performance Studium aber echt zeit- und energieintensiv ist und ich ein sensibles Früchtchen bin, habe ich nicht sehr viel von Glasgow und Schottland gesehen. Ich weiß nur, dass nirgendwo grüneres Gras wächst, die Leute super herzlich und die Straßenmusiker:innen eine Wucht waren und ich sehr gern mehr rumgereist wäre.

    Ahoi: Gibt es Dich eigentlich noch im Theater?

    Laura Liebeskind: Es ist gerade ein wenig verhext. Ich würde so gern mal wieder am Theater der Jungen Welt oder einem anderen Sprechtheater spielen, aber bisher kommt immer etwas dazwischen. Dafür schreibe ich gerade Texte und Songs für ein schönes Musical am Friedrichstadtpalast in Berlin. Hinter den Kulissen also. Auch mal ganz schön.

    Ahoi: In „Balladen, Balladen“ besingst Du das Gefühl vieler Menschen, dass all die Paraden und das Waffengeklirre von Menschen gemacht wird, die nichts, aber auch gar nichts mit einem selbst zu tun haben. Wie gesund ist Rückzug? Die Leute, die profitieren, schreien mich ja aus allen Medien an: „Positioniere Dich!“. Aber ich habe gar nicht genug und sichere Informationen, um mich zu positionieren. Eigentlich meinen die doch: „Reihe Dich bei uns ein!“. Das will ich aber gar nicht.

    Laura Liebeskind: Oh, das sind viele angespielte Fragen auf einmal. Ich versuche es mal so: Ich habe mich noch nie eingereiht. Weder in der Schule noch im Studium oder in meinen Songs. Eigentlich gerade, weil ich denke, dass es prinzipiell möglich ist, genug Informationen für eine differenzierte Meinung oder zumindest ein Verständnis für eine Situation zu sammeln, egal in welchen Zeiten.

    Aber es braucht einen hohen persönlichen Einsatz, Recherche, Offenheit, Egofreiheit und Austausch - vielleicht auch mal etwas Rückzug - und ist im Grunde ein lebenslanges Puzzlespiel, weil es auch mit der Frage zu tun hat: Wie ist der Mensch? Wie funktioniert Wahrheit? Was ist wahrscheinlich?

    Ehrlich gesagt, kommt es da, so komisch es klingen mag, meiner Meinung nach manchmal gar nicht so sehr auf Details an, denn Dinge und Dynamiken wiederholen sich im Laufe der Geschichte immer und immer wieder, was ein wichtiger Hintergrund für die Bewertung von Informationen ist.

    Die Positionen, die bei so einer Abwägung herauskommen, sind sicher häufig keine, die auf ein Plakat oder in ein Hashtag passen und für die man sich von der eigenen Peergroup Belohnungsapplaus abholen kann. Sie erfordern Frustrationstoleranz. Und vielleicht auch, dass man eine Weile einfach erstmal nicht eindeutig weiß, wie zu reagieren ist, aber dafür sind ja Zuhören, Reden und Austauschen da.

    Im Zweifel ist mir lieber, wenn Leute sagen: Ich weiß es einfach gerade nicht, als große und gefährliche Parolen zu schwingen. Leider werden solche Positionen in unserer derzeitigen Medienlandschaft, durch unser Konsumverhalten und schieres Menschsein nicht gerade befördert und wurde es vielleicht auch noch nie.

    Aber ich habe in anderen Ländern schon deutlich schlimmere Medienlandschaften kennen gelernt und halte es für meine Pflicht, dem Land, der Demokratie, der Welt und meiner eigenen Vorstellung von Moral gegenüber, weiterhin mein möglichst faires, ehrliches und informiertes Selbst zu geben. Ich denke, dass ist der einzige Weg.

    Ahoi: Danke, liebe Laura, für Deine Zeit, Deine Worte und Deine Hoffnung machende Musik.

    Laura Liebeskind im Netz:
    ​​​​​​​www.lauraliebeskind.de​​​​​​​

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