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    Gegen die Angst, seid nicht stille!

    Gespräch mit der Autorin Doris Liebermann

    Das Buch in Tanners Arbeitsraum © Volly Tanner

    Es gibt wichtige Bücher, man muss sie nur aus dem Wust an Überflüssigen herausziehen. Doris Liebermann hat solch ein Buch geschrieben, welches Leipziger Historie rund um das „geheime Tonband“ von Pannach, Kunert und Fuchs zum Thema hat. Ein heute unbedingt empfehlenswertes Buch, schließlich zeigt es wie totalitäre Strukturen Menschen vernichten. Wir sollten wachsam bleiben. In jede Richtung. Ahoi-Redakteur Volly Tanner sprach mit der Zeitzeugin, Autorin, Betroffenen und Herausgeberin Doris Liebermann:

     

    Ahoi: Guten Tag, Doris Liebermann. Gerade erschien im Mitteldeutschen Verlag von Ihnen das Buch „Gegen die Angst, seid nicht stille – Das geheime Tonband von Pannach, Kunert und Fuchs“. In seiner Detailvielfalt ist es ein beklemmendes Zeugnis der DDR-Wirklichkeit, bezogen auf drei nicht ganz so staatskonforme Künstler. Wieso haben Sie sich gerade mit diesen drei Künstler auseinandergesetzt?

    Doris Liebermann: Gerulf Pannach, Christian Kunert und Jürgen Fuchs wurden Ende August 1977 ohne Prozess aus der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen nach West-Berlin ausgebürgert. Ein paar Monate später kam ich aus Jena auch nach West-Berlin. In Jena hatte es nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 Massenverhaftungen gegeben, mein Lebensgefährte wurde als einer von acht sogenannten „Rädelsführern“ einer Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung verhaftet. Auch diese Jenaer wurden wie Gerulf Pannach, Christian Kunert und Jürgen Fuchs ohne Prozess nach West-Berlin ausgebürgert. Im Westen hatte es große Proteste gegen die Verhaftungen der jungen Leute gegeben, organisiert hatte sie das West-Berliner Schutzkomitee „Freiheit und Sozialismus“. Dieses Komitee wurde von namhaften Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern unterstützt, z. B. Heinrich Böll, Max Frisch, Romy Schneider, Yves Montand, Simone Signoret. Es wäre eine internationale Blamage für die DDR geworden, wenn sie die jungen Künstler und die acht Jenaer verurteilt hätte, nur weil sie sich für einen demokratischen Sozialismus eingesetzt hatten. In das Ausbürgerungspaket gehörten auch die Angehörigen, also auch ich.

     

    Ahoi: Und dann dort?

    Doris Liebermann: In West-Berlin lernte ich bald Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert kennen. Ich habe Lesungen von Jürgen Fuchs besucht und die großartigen Konzerte von „Pannach & Kunert“. Bei unserer Vorgeschichte waren nicht viele Worte nötig, um uns zu verstehen. Wir wurden bald Freunde.

    2010 habe ich dann ein Hörbuch mit Gedichten und Prosa des Schriftstellers Jürgen Fuchs herausgegeben. Er ist 1999 gestorben, Gerulf Pannach schon 1998.

    Jürgen Fuchs: Das Ende einer Feigheit | Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (bundesstiftung-aufarbeitung.de)

    Als ich im Audioarchiv des Deutschlandradios nach Aufzeichnungen von Jürgen Fuchs suchte, fand ich dort auch eine Kopie der Aufnahme des „Leipziger Tonbandes“, eben jenes „geheimen Tonbandes“, auf dem Pannach, Kunert und Fuchs im Oktober 1976 ihre Lieder und Texte in Leipzig aufgenommen hatten. Das war zu einer Zeit, als alle drei in der DDR wegen ihrer kritischen Texte und Songs nicht mehr veröffentlichen und auftreten konnten. Jürgen Fuchs war 1975 kurz vor Abschluss seines Psychologie-Studiums von der Jenaer Universität relegiert worden, im gleichen Jahr war die Leipziger Kultband „Renft“ verboten worden, bei der Christian Kunert als Keyboarder gespielt hatte. Pannach durfte nicht als Song-Interpret auftreten, und Versuche, das Duo „Pannach & Kunert“ zu etablieren, wurden von den Funktionären verhindert.

     

    Ahoi: Wie fühlte sich diese Zeit damals an?

    Doris Liebermann: Es herrschte eine Atmosphäre der Bedrohung, und die drei ahnten, dass sie auch verhaftet werden könnten. Um etwas von ihren Arbeiten zu dokumentieren, um nicht einmal namenlos hinter Gittern zu verschwinden, nahmen sie im Oktober 1976 in Pannachs Wohnhaus in Leipzig das „geheime Tonband“ auf. Es ist gewissermaßen der Kulminationspunkt ihrer Arbeiten. Das Band wurde in den Westen geschmuggelt. Als die drei dann ein paar Wochen später tatsächlich verhaftet wurden, hat es zuerst der Hessische Rundfunk, dann der RIAS gesendet. Diese RIAS-Sendung lag danach ungenutzt all die Jahre im Archiv. Ich wusste, dass das „geheime Tonband“ 1977 dank Wolf Biermann auch als Schallplatte unter dem Titel „Für uns, die wir noch hoffen“ bei CBS erschienen und dass diese schon lange vergriffen war. Deshalb dachte ich, man müsste das „geheime Leipziger Tonband“ neu herausgeben. Immer wieder hatte ich Leute getroffen, die in der DDR die Übertragungen durch den RIAS oder den Hessischen Rundfunk gehört hatten und die sich daran erinnerten, wie beeindruckt sie von den Liedern und Texten von Pannach, Kunert und Fuchs gewesen waren.

     

    Ahoi: Und daraus wurde etwas?

    Doris Liebermann: 2013 habe ich dann zusammen mit Bodo Strecke in dessen kleinem Label Marktkram das „geheime Leipziger Tonband“ als 3fach CD neu herausgegeben, wieder unter dem Titel „Für uns, die wir noch hoffe“. Leider ist diese 3er CD inzwischen aber auch schon wieder vergriffen.

    Für Uns,die Wir Noch Hoffen. - Gerulf Pannach, Christian Kunert, Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach, Christian Kunert: Amazon.de: Musik-CDs & Vinyl

    Im Zusammenhang mit der Neuherausgabe hatte ich schon viel schriftliches Material gesammelt. Es wurde die Basis für das Buch. Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, welche Berge an Stasi-Akten mich erwarteten, nachdem ich bei BStU (Stasi-Unterlagen-Archiv) Einsicht zu Pannach, Kunert und Fuchs beantragt hatte. Es ist kaum zu fassen, wie die Stasi die drei jungen Künstler in den Vernehmungen gequält hat. Die Krönung war dann die Begründung, mit der die Ermittlungsverfahren nach neun Monaten U-Haft in Berlin-Hohenschönhausen kurz vor der Ausbürgerung der drei eingestellt wurden: „Der Sozialismus hat sich entwickelt, die Straftat [das geheime Leipziger Tonband] habe keine schädlichen Auswirkungen mehr“.

     

    Ahoi: Regierungen, die abwertend und ausgrenzend auf kritische Geister reagieren, sind immer mit einem Bein im Totalitarismus. Da ist permanente Wachsamkeit angesagt. Faszinierend trotzdem, dass die DDR so extrem auf das Tonband und die Protagonisten reagierte. War dies wirklich nötig? Oder nur eine fanatische Art von Paranoia?

    Doris Liebermann: Obwohl ich die Zeit damals selbst erlebt habe, muss ich nach der konkreten Beschäftigung mit den Stasi-Akten von Pannach, Kunert und Fuchs sagen, dass ich nachträglich fassungslos darüber bin, wie die DDR-Mächtigen ihre besten Leute kaputt gemacht haben. Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach waren erklärte Sozialisten, Jürgen Fuchs sogar eine Zeitlang SED-Mitglied (bis er wegen seiner Prosa und Lyrik ausgeschlossen wurde). Aufrechte, kluge, engagierte junge Leute, die nicht gegen die DDR waren, sondern sie nur freier, freundlicher und mit mehr Menschenrechten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Reisemöglichkeiten wünschten. Im Grunde wollten sie einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, so wie es im Prager Frühling 1968 in der Tschechoslowakei versucht worden war. Dieser Prager Frühling wurde bekanntlich von den Panzern des Warschauer Paktes niedergewalzt. Pannach, Kunert und Fuchs wurde in den Verhören vorgeworfen, die Position des Prager Frühlings zu vertreten. Das war 1976/77 in der DDR ein Schwerverbrechen, „staatsfeindliche Hetze“, darauf standen zwei bis zehn Jahre Haft.

    Letztlich aber ist das massive Vorgehen gegen die drei ein Zeichen dafür, wie schwach die DDR war und welche Angst die Funktionäre hatten. Sie konnten nicht einmal Kritik von jungen Leuten ertragen, die sich ausdrücklich für das Land einsetzten.

     

    Ahoi: Der Kleingeist der Bonzen, das Duckmäusertum und die Angepasstheit ziehen sich durch das ganze Buch. Wie kann solchen Entwicklungen jedoch begegnet werden? Auch heute gibt es ja diese menschlichen Untugenden zuhauf.

    Doris Liebermann: Ich glaube, der Titel des Buches sagt es: „Gegen die Angst, seid nicht stille“. Es ist ein Vers aus einem Song des katalanischen Sängers Raimon, ein Song gegen die Franco-Diktatur in Spanien. Gerulf Pannach hat die Nachdichtung davon gemacht.

     

    Ahoi: Wie kam es, dass Ihr Buch im mdv herauskam?

    Doris Liebermann: Mit dem Mitteldeutschen Verlag bin ich schon länger verbunden. Dort erschien 2008 die Biographie des Ex-Leipziger Malers Hans-Hendrik Grimmling, an der wir beide zusammen gearbeitet hatten. Grimmling ist ein bedeutender Maler. Er ist 1986 nach West-Berlin ausgereist. Zuvor hatte es heftige Auseinandersetzungen um den „1. Leipziger Herbstsalon“ gegeben, eine halblegale Ausstellung im Messehaus am Markt 1984, die sechs Leipziger Künstler (Günter Firit, Günther Huniat, Olaf Wegewitz, Frieder Heinze, Lutz Dammbeck und Hans-Hendrik Grimmling) in Eigenregie gegen den staatlich verordneten Kulturbetrieb organisiert hatten. Die Besucher waren begeistert von dieser unkonventionellen Ausstellung, die unabhängig vom Verband Bildender Künstler zustande kam, die Funktionäre zutiefst empört. 2015 ist mein Buch über den „1. Leipziger Herbstsalon“ unter dem Titel „Ein Piratenstück“ ebenfalls im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen. Alle sechs Künstler erzählen darin von ihrem „Piratenstück“ von 1984.

     

    Ahoi: Sie veröffentlichen viel Material aus Privatarchiven. Ich frage mich immer wie es kommt, dass solche Archive entstehen. Wie kam es dazu?

    Doris Liebermann: Wahrscheinlich hat sich nur das Wort eingebürgert. Man könnte auch „Privatbesitz“ oder „privat“ sagen. Der Nachlass von Amrei und Gerulf Pannach befindet sich inzwischen im Archiv der DDR-Opposition bei der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin. Das ist ein richtiges Archiv mit Archivaren, die sich gut auskennen. Lilo Fuchs, die Witwe von Jürgen Fuchs, hat den Nachlass ihres Mannes auch in das Archiv der DDR-Opposition bei der Robert-Havemann-Gesellschaft gegeben, er wird dort gerade archiviert. Wenn jemand etwas sucht, kann er/sie künftig dort anhand von Findbüchern und Signaturen recherchieren.

     

    Ahoi: Auch die jetzige Demokratie ist bedroht, in nicht kleinem Maße von innen, von denen, die ihre eigene Pfründe sichern, die bonzenhaft agieren und Kunst und Medien nutzen, um nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Gerade hier kann Ihr Buch Warnung sein. Was kann das Buch noch? An wen ist es eigentlich gerichtet?

    Doris Liebermann: Es richtet sich an Menschen, die sich mit der Geschichte der DDR, insbesondere der Kulturgeschichte, auseinandersetzen. Die DDR wird heute oft verklärt dargestellt. Dass sie eine Diktatur war, macht das Buch deutlich.

     

    Ahoi: Ihre eigene Lebensgeschichte ist geprägt von Brüchen, Sie wurden aus der DDR ausgebürgert, haben sich damals gegen die Biermann-Ausbürgerung engagiert. Mit Ihrer Sicht aus dem Heute in die Zeit zurück: Wie viel Anteil hatte die „Jenaer Gruppe“ um Jürgen Fuchs am Ende der DDR?

    Doris Liebermann: Die Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung waren der Anfang vom Ende der DDR. In Jena formierte sich1976 der Widerstand, er ging auf die nächste Generation über, die Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre. Die Jenaer haben einiges dazu beigetragen, dass es zur Friedlichen Revolution 1989 kam. Aber sie haben dafür auch einiges einstecken müssen: Verhaftungen, Schikanen, viele wurden zur Ausreise gezwungen. An die 200 junge Jenaer sind in den 1970er und 80er Jahren nach West-Berlin gekommen. Unser Freund Matthias Domaschk starb 1981 in der Stasi-U-Haft Gera, unter Umständen, die bis heute nicht geklärt sind. Leider ist heute in Jena kaum noch etwas von dieser Zeit bekannt.

     

    Ahoi: Und die Relevanz heutiger Kultur? Was können, was müssen Künstler heute tun, um wahrhaftig zu sein?

    Doris Liebermann: Wenn sie wahrhaftig sind, dann sind sie es, dann hören sie auf ihr Herz und ihren Verstand und verraten oder verkaufen ihre Überzeugungen nicht.

     

    Ahoi: Danke, liebe Frau Liebermann, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

    Doris Liebermann: Und ich danke für das Interesse.

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