Verschenkekisten gehören zum Leipziger Straßenbild dazu. Was nicht mehr benötigt wird, aber noch in gutem Zustand ist, schmeißen viele Leipziger nicht weg, sondern stellen es in Kartons vor ihre Haustüren. Bei Stadtspaziergängen, besonders an Sonntagvormittagen, lassen sich so kleine Schätze an Büchern, Klamotten, Spielzeug und Inventar entdecken.
In der Eisenbahnstraße befindet sich die größte Verschenkekiste der Stadt. Der gleichnamige Verein hat das Prinzip „Verschenken und Mitnehmen“ von der Straße in ein Ladengeschäft überführt. „Den Kreislauf-Gedanken, dass Dinge nicht im Müll landen, sondern weitergenutzt werden können, finden wir total charmant“, erklärt Mitinitiatorin Anja Scherber. Der Verein versteht sich als Umweltschutzprojekt mit sozialen Komponenten, das auch Leute unterstützt, die etwa über wenig Einkommen verfügen.
„Soziale Kontrolle“
„Dafür brauchte es einen wetterfesten Standort und etwas soziale Kontrolle“, damit kein Müll angeboten wird, sondern brauchbare Gegenstände, die angenommen und sortiert werden, sagt Anja Scherber. Im Eingangsbereich finden sich Bücher, Spielzeug, kleine Elektrogeräte und Geschirr. In den hinteren Räumen der mit 80 Quadratmetern großen Ladenfläche hängen wie in einem Secondhand-Laden hunderte Kleidungsstücke und in einem extra „Kinderzimmer“ auch Klamotten für Kinder. Maximal zwei Einkaufstaschen darf jeder vorbeibringen und mitnehmen, was jedoch nicht aneinander gekoppelt ist. Vormittags kommen etwa 20 bis 30 Leute vorbei, an den Nachmittagen zwischen 70 und 80 innerhalb weniger Stunden.
Die Idee zu dem Projekt kam Mit- initiatorin Anja Scherber und ihren Vereinskollegen, weil der Umsonstladen auf der Eisenbahnstraße vor ein paar Jahren schloss. Das Quartiersmanagement ermutigte Scherber und Co., einen solchen Laden neu zu eröffnen. Zehn Interessierte trafen sich zur Gründungsversammlung Anfang 2020 und setzten das Projekt einfach um. Seit Juli 2022 ist die Verschenkekiste in der Eisenbahnstraße 109 zu finden. Dort darf der ehrenamtlich geführte Verein nun unbefristet bleiben.
Flair wie im Stadtteilladen
Der Laden hat sich in kurzer Zeit auch zum Begegnungsort im Kiez entwickelt. In den gemütlichen 70er-Jahre-Sesseln beim Plausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fühlt sich der Besuch wie in einem Stadtteilladen oder Kiezcafé an. Manche Familien kommen mit ihren Kindern einfach zum Spielen vorbei. Etwa 40 Ehrenamtliche bringen den Vereinin verschiedenen Arbeitsgruppen voran und teilen sich die Schichten mit zwei festen Öffnungszeiten (dienstags und freitags) sowie weiteren (je nach Kapazität). Mittlerweile ist die Verschenkekiste auch bei Stadtteilfesten dabei, organisiert Secondhand-Modenschauen und ist fester Teil der Szene auf der Eisenbahnstraße.
Obere Einkommensschicht fehlt
Studentische Besucher kommen ebenso wie Familien mit Migrationshintergrund und Anwohner des Viertels. „Uns fehlt die obere Einkommensschicht“, sagt Anja Scherber, „die könnte auch mal vorbeikommen. Es geht schließlich darum, Dinge im nachbarschaftlichen Kreislauf zu belassen.“ Das nächste große Projekt ist bereits in Planung. Zwei Häuser weiter soll Ende des Sommers ein Leihladen entstehen, in dem man sich Outdoor-Equipment, Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Kostüme und Brettspiele kostenfrei ausleihen kann.