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Anja Pioch

Die bescheidene Fussball-Rebellin

Anja Pioch von Roter Stern Leipzig ist als eine von wenigen Frauen in Deutschland Teil einer Männermannschaft. Für die einstige Bundesliga-Spielerin ist das keine große Sache, aber die Signalwirkung ist enorm.

Anja Pioch
Gruppenbild mit Dame: Piochs blaues Oberteil stammt noch aus ihrer Bundesliga-Zeit in Jena © Thomas Fritz

Gerade spielen!“ „Ihr müsst den Raum besser nutzen!“: Es ist ein lauer Sommerabend, als Anweisungen wie diese über den Kunstrasenplatz von Roter Stern Leipzig am Goethesteig im Ortsteil Dölitz-Dösen hallen. Sie stammen von Anja Pioch, Trainerin der Ü35-Herren bei den Sternen und absolute Fußball-Expertin.
Die 42-Jährige hat in der Saison 2009/10 beim damaligen FF USV Jena Bundesliga-Luft geschnuppert und mehr als 250 Zweitliga-Partien, unter anderem für den VfB Leipzig und den 1. FC Lok Leipzig, auf dem Buckel. Seit 2011 sitzt sie, mit einer zweijährigen Unterbrechung, in der Stadtliga Leipzig auf der Bank der Alten Herren des RSL. Als Frau im Männerbereich – ob als Trainerin, Schiedsrichterin oder Funktionärin – ist Pioch eine absolute Ausnahmeerscheinung. 51 Jahre nach Aufhebung des Frauenfußballverbots in Westdeutschland.

Seniorenbereich der Männer als Grauzone

Und das ist noch längst nicht alles. Was Pioch im vergangenen Herbst tat, kann mit Fug und Recht als Teil einer kleinen Geschlechterrevolution im Fußball bezeichnet werden: Sie stand mit den Ü40-Herren in zwei Pflichtspielen auf dem Platz, bevor der Spielbetrieb durch die Corona-Pandemie abgebrochen werden musste. Ganz offiziell. Pioch hatte vom Spielausschuss des Fußballverbands der Stadt Leipzig (FVSL) die Genehmigung erhalten, die Geschlechterbarrieren einzureißen – nach einem monatelangen Gang durch die Instanzen. Über die Details verliert sie nicht viele Worte. Sie freut sich einfach, dass ihrem Antrag am Ende stattgegeben wurde. Laut DFB dürfen Mädchen mit Erlaubnis der Erziehungsberechtigten bis zur U17 bei den Jungs mitspielen, darüber ist das nicht mehr erlaubt. Andere Länder wie die Niederlande sind da wesentlich weiter. „Der Seniorenbereich der Männer ist eine Grauzone“, sagt Pioch. Dort gibt es kein explizites Verbot. Frauen, die in Leipzig beim vermeintlich starken Geschlecht mitspielen, könne man aber an den Fingern einer Hand abzählen, berichtet die 1,60 Meter große Mittelfeldspielerin.

Intermezzo bei Turbine Potsdam

Aber wie ist es, mit 21 anderen Männern auf dem Platz zu stehen? „Mir macht das einfach sehr viel Spaß, Fußball ist meine Passion“, sagt Pioch. Was ihr an Wucht und Athletik abgeht, macht sie durch Technik und Spielintelligenz wieder wett. Natürlich hilft da auch die exzellente Ausbildung im höherklassigen Fußball. Sogar Turbine Potsdam, vor zehn, fünfzehn Jahren deutscher Serienmeister, wollte die gebürtige Leipzigerin haben. Doch nach nur drei Monaten ging Pioch zurück nach Sachsen. Sie kam mit der wenig wertschätzenden Ansprache von Coach Bernd Schröder nicht zurecht.
Wertschätzung, das ist ihr ganz wichtig, als Mitspielerin und als Trainerin. Sie lobt, verbessert, gibt Korrekturen, nimmt die Spieler mit. Das Draufhauen nach alter Schule liegt ihr fern. „Ich bin mit mir im Reinen, was die Entscheidung gegen Potsdam betrifft, aber einige in meinem Umfeld sahen das als verpasste Chance“, berichtet Pioch. Später in Jena ging ihr Traum von der 1. Bundesliga doch noch in Erfüllung. Highlight war das DFB-Pokalfinale gegen den FCR Duisburg vor 40.000 Fans in Köln. Das 0:1 verfolgte sie von der Bank aus. Die ersten Schritte im Fußball hatte sie als Zehnjährige bei Lok Engelsdorf im Leipziger Osten zurückgelegt. In einem Jungenteam.

Für mich ist das ganz normal, mit Männern zu spielen und Männer zu trainieren. Fußballerin Anja Pioch

Dumme Sprüche ignoriert sie

Nun, mehr als 30 Jahre später, schnürt sie noch einmal die Schuhe. In der neuen Saison für ihr Ü35-Team Ende August steht das erste Spiel im Kalender. Nach ihrem Karriereende 2010 hatte sie hin und wieder bei den RSLLadys ausgeholfen, wenn der Kader zu dünn war. „Ich bleibe in erster Linie Trainerin“, betont Pioch. Eine, die mit einem lauten Organ und ihrem Taktikwissen an der Seitenlinie auffällt.
Eine Frau, die Männern Anweisungen gibt, damit kommt eine Minderheit offenbar nach wie vor nicht zurecht. Ein älterer Herr, Fan einer gegnerischen Mannschaft, empfahl ihr einmal, doch bitte zurück an den Herd zu gehen. Eine Provokation? Echte Überzeugung? Pioch blieb unaufgeregt. „Ich habe mich umgedreht und gelächelt“, sagt sie. „Für mich ist es ganz normal, mit Männern zu spielen und Männer zu trainieren. In der Stadtliga kennen mich alle seit vielen Jahren, die Akzeptanz ist hoch und schlussendlich sagt dieser Spruch viel über ihn und nichts über mich aus.“
Pioch blickt von einer Bank auf das Spielfeld und sieht ausschließlich: Männer. Als Vorreiterin fühlt sie sich trotzdem nicht. Das Wort ist ihr zu groß. „Aber ich kann verstehen, dass das von außen so gesehen wird.“ Anja Pioch, die bescheidene Fußball-Rebellin.

Mehr Infos unter
www.roter-stern-leipzig.de

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