Der erste Blick auf baufällige oder schon verfallene Gebäude währt meist nur kurz, was gibt es hier schon noch zu sehen, mag man denken. Wer allerdings die Ansicht noch etwas auf sich wirken lässt, dem offenbaren sich vor seinem geistigen Auge schnell Fantasiegedanken, wie das Haus oder das Areal wohl einmal ausgesehen haben könnte und was sich hier so abspielte. Leipzigs sogenannte „Lost Places“ laden ein, die Geschichte dieser Orte zu entdecken und auf spannende Erlebnistour zu gehen.
- Kultur
10 Lost Places in Leipzig

1. Wo Geschichte die Menschen einholt: die Stasi-Zentrale in Leipzig
Vor über 1000 Jahren gründeten an der Stelle der ehemaligen Stasi-Zentrale slawische Siedler die Stadt Leipzig, eine erste Burg entstand. Das letzte Gebäude vor der Erbauung der Überwachungszentrale war die Matthäikirche mit Kirchhof, die im zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauern ausgebombt wurde. Nach dem Krieg entstand dann am Ende die 20 000 Quadratmeter große Zentrale der Stasi mit allem, was eine seinerzeit moderne Diktatur zur Sicherung ihrer Macht benötigte.
Den Schrecken verlor das Gebäude der Staatssicherheit und Volkspolizei erst nach der Friedlichen Revolution von 1989, am 4. Dezember wurde der Ort der Unterdrückung schließlich von Bürgerrechtlern besetzt.
Adresse: Die Stasi-Zentrale, Zentrum, Dietrichring 24, 04109 Leipzig, Informationen und Öffnungszeiten unter www.runde-ecke-leipzi.de

2. Prunkvolle Badelandschaft mit eleganter Anmutung im alten Stadtbad
Knapp 90 Jahre bot das ehemalige Stadtbad Leipzigs, früher Nordbad genannt, puren Badespaß für Männer und Frauen, zu Kaisers Zeiten noch fromm getrennt. Wer Geld hatte, genoss die zahlreichen Angebote, die einem heutigen Spa in wenig nachstehen würden, wer wenig Geld hatte, wusch sich hier oder legte ein paar Bahnen im 32 Meter langen Hauptschwimmbecken zurück.
Damals bahnbrechend war die Wellelanlage mit Brechern bis zu einem Meter Höhe. Vom Badebetrieb dazumal ist leider nichts mehr übrig geblieben, die Feuchtigkeit setzte der Bausubstanz stark zu. Heute erfreut der Bau noch als Location für Events und Partys.
Das alte Stadtbad, Zentrum-Nord, Eutritzscher Straße 21, 04105 Leipzig

3. Abfahrt nach Eilenburg und ins Gruselreich
Mitten im dicht besiedelten Stadtteil Reudnitz zieht sich der etwas verwilderte Lene-Voigt-Park in ost-westlicher Richtung. Doch nicht als Ort der Erholung ist der Grüngürtel einst entstanden, sondern als Abfahrts- und Ankunftsort für die Züge von und nach Eilenburg.
Im Zuge der Zentralisierung des Bahnverkehrs durch den neuen Leipziger Hauptbahnhof ab 1915 verlor der Regionalbahnhof seine Bedeutung, 1942 war dann Schluss mit den Verkehren. Am Ende entstand dann doch eine grüne Erholungs- sowie Spiel- und Sportstätte im Grünen, inklusive Gruselfaktor in den drei noch stehenden historischen Bahngebäuden.
Lene-Voigt-Park, Reudnitz, 04137 Leipzig

4. Nach 26 Jahren Nutzung schon „lost“ – die katholische Kirche St. Trinitatis am Rosental
In der Innenstadt im Krieg weggebombt, in den 70er Jahren aus dem Zentrum herausgeplant an den Rand des Waldstraßenviertels erlebte der Neubau der katholischen Kirche ein in Nutzungszeiten von Gebäuden gerechnet eher kurzes Gastspiel in Leipzig. Nach 26 Jahren war bereits klar, hier entsteht ein neuer „Lost Place“ für Leipzig.
Mittlerweile ist das Hauptgebäude dem Rohbau neuer Wohnungsgebäude gewichen, lediglich der Turm steht noch. Ob er sich gut in die entstehenden Luxuswohneinheiten einfügen wird, bleibt jedem selbst zu entscheiden.
Ehemaliger Kirchturm der katholischen Kirche St. Trinitatis, Emil-Fuchs-Straße 7, 04105 Leipzig
5. Früher nach Leipzig, heute in die ganze Welt
Einer der kuriosesten Orte in Leipzig ist sicher das ehemalige Dorf Kursdorf im Nordwesten von Leipzig gelegen. Beschaulichkeit, bäuerliches Leben und Ruhe waren hier einmal früher zuhause. In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde bereits der Flughafen gebaut, damals noch in annehmbarer Entfernung.
Doch spätestens mit dem Autobahnbahn durchschnitten die Fernstraßen die Felder der Bauern, und der Ausbau des Flughafens zum Interkontinental-Airport vertrieb bis 2017 dann die letzten Einwohner des ehemals geruhsamen Dörfchens. Welcome to Ghost City.
Kursdorf, Landkreis Nordsachsen, 04435 Schkeuditz

6. Vor 120 Jahren erbaut und schon lange Geschichte
1905 begann der Bau des Bahnbetriebswerks in Wahren, fernab des innerstädtischen Treibens der pulsierenden Stadt an der Pleiße. 90 Jahre später herrschte bereits wieder Stille zwischen den zahlreichen Gebäuden der damaligen Reichs- beziehungsweise Bundesbahn.
Wer gerne auf fotografische Entdeckungstour geht, sollte möglichst früh oder spät durch das verlassene Gelände streifen, wenn die einfallende Sonne oder der Sonnenuntergang faszinierende Lichtverhältnisse erzeugen.
Zwischen Wahren und Lützschena, Nähe Erich-Thiele-Straße, Leipzig-Lützschena

7. Gruselgefühl und Spuk ab Mitternacht
Ob es tatsächlich spukt, ist nicht zweifelsfrei belegt, aber ein gewisses schauriges Gefühl befällt die Besucher beim Anblick dieser vom Zerfall gezeichneten Villa. 1900 wurde sie für den Fabrikanten Robert Andrich erbaut, der schon vier Jahre später gestorben sein soll und somit wenig Vergnügen an seinem neuen Zuhause hatte.
Zu DDR-Zeiten kamen noch 100 Garagen hinzu, doch auch die Autos aus dieser Zeit, die dort wohl parkten, gehören seit langem der Vergangenheit an. Den Rest holt sich nun die Natur zurück, ein Schicksal, das der Ort mit fast allen „Lost Places“ in Leipzig teilt.
Lindenthal, Gustav-Adolf-Allee, 04158 Leipzig

8. Das Rittergut, das vom Tagebau fast verschluckt wurde
Bis ins 14. Jahrhundert reicht die Geschichte des Anwesens in Gaschwitz zurück. In der landschaftlich reizvollen Pleißen-Aue gelegen war es im 19. Jahrhundert noch von einem weitläufigen Schlosspark umgeben, mit allerlei Teichen und künstlichen Flussläufen, die von kleinen Brücken überspannt wurden.
Mit dem stetigen Ausbau des Tagebaus in der Region ging auch die Zeit des Rittergutes Gaschwitz seinem Ende zu, 1925 verkauften die letzten Eigentümer das Areal schließlich der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW), also der Kohleindustrie.
Gaschwitz, Landkreis Leipzig, Cröbernsche Straße 12A, 04166 Markkleeberg

9. Leipzig verlorene Hoffnung an eine Tiefseehafenanbindung
Vom Lindenauer Hafen über die Weiße Elster über einen Kanal zur Saale und von dort bis zur Elbe nach Hamburg, so war der ursprüngliche Projektplan vor 170 Jahren. Heute stehen verfallende Großspeicher und ein nicht vorhandener Kanal für das einstige Mega-Projekt Lindenauer Hafen.
Seinen Reiz hat das Areal trotz allem für Entdecker verfallender Orte nie verloren, am Wasser gelegen, mit seinen mächtigen und weithin sichtbaren Bauten, die nie die Ladung eines Frachtschiffes in ihrem Inneren aufnehmen mussten.
Lindenauer Hafen, zwischen Schönau und Lindenau, 04205 Leipzig

10. Willkommen in Leipzigs einstigem Industrieviertel Nummer 1, in Plagwitz – heute Ort der Industriekultur
Nirgends in Leipzig stehen und standen wohl so viele alte Fabriken, von denen manche wie die alte Maschinenfabrik noch heute Eindrücke aus dieser Zeit vermitteln. In wenigen Jahren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in dem alten Dorf Plagwitz bei Leipzig über hundert Fabriken aus dem Boden gestampft, tausende Arbeiter schufteten hier für mehr oder weniger armseligen Lohn.
Viele der alten Bauten sind mittlerweile auch in schicke neue Wohnbebauung verwandelt worden, einige jedoch wie die alte Maschinenfabrik wartet auch heute noch auf neugierige Entdecker, um Zeugnis der strapaziösen Vergangenheit abzulegen.
Leipzig-Plagwitz, Zschochersche Straße 78, 04229 Leipzig
Alle Orte und noch viele weitere finden sich im Buch von Marius Mechler, Lost & Dark Places Leipzig, Bruckmann-Verlag, ISBN 978-3-7343-2504-5